Eine Frage der Gerechtigkeit

Ein Gespenst geht um in Hessen. Es heißt Straßenbeitrag und erschreckt vor allem jene Bürger, die sich bei der Grundsanierung ihrer Straßen mit Gebühren an den Kosten beteiligen müssen. Von Christoph Zöllner
Oft geht es im Einzelfall um mehrere Tausend Euro. Aber auch die meisten Lokalpolitiker gruselt es, den Wählern diese Ausgaben zuzumuten. Im Frühjahr 2008 sollte in Dietzenbach ein Exempel statuiert werden. Eine umfassende Sanierung der maroden Wiesenstraße stand an, und die Stadt ließ eine Modellrechnung erstellen, wie viel Geld die Anwohner anhand einer neuen Straßenbeitragssatzung beisteuern müssten.
Die alte aus dem Jahr 1979 wich von der gültigen Rechtslage ab und hätte etwaige Gebührenbescheide anfechtbar gemacht. Der Aufschrei der Bürger war groß, das Parlament lehnte die neue Satzung ab. Der damalige Bürgermeister Stephan Gieseler sah das Recht verletzt und klagte gegen die Stadtverordneten, zumal die Kommunalaufsicht die Genehmigung des Haushalts 2008 damit verbunden hatte.
Beispiel Dreieich
Beispiel Dreieich: Auch dort stößt die Einführung einer Straßenbeitragssatzung auf Skepsis bis Ablehnung. Doch Bürgermeister Dieter Zimmer wird in nächster Zeit – ebenfalls auf Druck der Kommunalaufsicht – eine entsprechende Vorlage präsentieren müssen. Die Gebühren sollen den Um- oder Ausbau von Fahrbahnen, von Bordsteinen, Radwegen, Gehwegen, Beleuchtungs- und Entwässerungseinrichtungen, Böschungen, Parkflächen und Grünanlagen teilweise finanzieren.
Beispiel Egelsbach: Offenthaler und Goethestraße sind Paradefälle der jüngeren Zeit, in denen die Sinnhaftigkeit der Satzung die Gerichte beschäftigt hat. Auch unter dem Eindruck juristischer Bruchlandungen der Gemeinde hatte das Parlament im Dezember 2007 das Aus der ungeliebten Satzung beschlossen; Bürgermeister Rudi Moritz allerdings postwendend Widerspruch eingelegt – unter Verweis auf die Finanzsituation und die Kommunalaufsicht. Die Gemeindevertretung stimmte erneut ab, bekräftigte ihr Nein – und Moritz legte zum zweiten Mal Veto ein. Die Suche nach Rechtssicherheit führte zur Klage des Parlaments gegen den Rathaus-Chef.
Beispiel Mainhausen
Beispiel Mainhausen: Dort kämpfen die Mitglieder der Bürgerinitiative „Kanal. Wasser. Straße“ gegen die ihrer Meinung nach zu Unrecht erhobenen Straßenbeiträge. Auch seien diese vielfach wesentlich höher ausgefallen als ursprünglich von der Gemeinde angekündigt. Jörg Böhmer, ein Sprecher der Initiative, berichtete im Mai von Rechnungen von bis zu 14.000 Euro, die Bürgern ins Haus geflattert sind. Böhmer und seine Mitstreiter verweisen auf diverse hessische Kommunen, die die Satzung abgeschafft haben. So etwa Karben im Wetteraukreis. Die Stadt hatte der Kommunalaufsicht gegenüber dargelegt, dass diese Satzung niemals angewendet worden sei. Seit deren Aus liegt das Parlament mit dem Landrat im Clinch.
Bei der Frage, wer wie viel zu berappen hätte, gibt es Unterschiede: Nach einer Mustersatzung des Städte- und Gemeinde-tages zahlen die Eigentümer für Anliegerstraßen 75 Prozent, für innerörtliche Durchgangsstraßen 50 Prozent und für überörtliche 25 Prozent der Baukosten.
Ein Drittel der hessischen Kommunen erhebt keine Straßenbeiträge
Unter Juristen ist umstritten, ob tatsächlich eine Beitragserhebungspflicht besteht. „Frankfurt und Wiesbaden haben keine Straßenbeitragssatzung, in Gießen wurde sie erst eingeführt“, berichtet Jürgen Ullrich, Referatsleiter beim Hessischen Städtetag. Er geht davon aus, dass ein Drittel der hessischen Kommunen keine Straßenbeiträge erhebt. Indes werde aus dem Gebot ein Zwang, wenn es um die Finanzen einer Stadt schlecht bestellt sei. Dabei sieht auch Ullrich ein Gerechtigkeitsproblem. Wenn etwa in Dietzenbach seit 1993 Straßen ausnahmslos mit Steuermitteln finanziert worden sind, und auf einmal wieder die Anlieger zur Kasse gebeten werden, wäre dies ein Systembruch.
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Kein Wunder, dass landauf landab immer wieder anliegerfreundliche Lösungen gesucht werden. So hat sich Hochheim am Main vor vier Jahren gegen Straßenbeiträge entschieden und stattdessen die Grundsteuer B, die letztlich zu Lasten aller Bürger geht, von 270 auf 305 Prozent erhöht. Vom Erlös fließen 310 000 Euro pro Jahr in die Sanierung von Straßen. Eine Lösung, die für Dietzenbach kaum in Frage kommen dürfte: Hier liegt der Hebesatz der Grundsteuer B schon bei 340 Prozent.