Protest am Flughafen: Schlaflose und Aufgeweckte

Schon während der Fahrt zur Montags-Demo gegen den Flughafenausbau und seine Folgen rücken Offenbacher und Frankfurter näherzusammen denn je. Von Marcus Reinsch
Noch ein Euro, noch ein Euro, noch ein Euro. Ist so ein Fahrscheinautomat nicht irgendwann mal voll? Das Exemplar im Zwischengeschoss der Offenbacher Station Marktplatz frisst Münzen, als wären heute alle anderen schwarzgefahren.
So viel Sauerverdientes für den Tarifzonensprung von Offenbach nach Frankfurt, da müsste eigentlich auch mal jemand gegen demonstrieren.
Ist ja nicht so, dass die kleine Großstadt und die große Großstadt weit auseinander wären. Geografisch sowieso nicht, da passt diesseits des Mains bekanntlich kein Blatt dazwischen. Und mit Blick auf die Menschenmassen, die an den Stopps zwischen Offenbach-Marktplatz und Frankfurt-Flughafen zusteigen, drängt sich der Eindruck auf, als wäre alle bisher zelebrierte Distanz nicht mehr als die Erfindung kluger Leute, die mit Seperatisten-Zubehör aller Art gute Geschäfte machen. Jetzt jedenfalls scheinen sich Offenbacher und Frankfurter näher als je zuvor zu sein. Fluglärm ist eben nicht Fußball, da darf man schon mal auf derselben Seite stehen. Und auf dem Weg dorthin in derselben S-Bahn.
Auch Kommunalpolitik ist diesmal gut vertreten
Alle Artikel zum Protest gegen den Fluglärm lesen Sie in unserem Stadtgespräch
In der bleibt gestern Spätnachmittag niemandem etwas anderes übrig, als seinen Nächsten gut riechen zu können. Es ist voll, es ist heiß. Am Marktplatz geht’s noch prima, aber schon zwei Stationen weiter probt jedermann in jeder Hinsicht den Schulterschluss. Mühlberg, Hauptwache, Konstablerwache, Hauptbahnhof... Paul-Gerhard Weiß lernt, an eine Trennscheibe gepresst, wie wenig Platz ein Mensch braucht, wenn es nur sein muss. Der Offenbachs Fluglärmdezernent ist nicht alleine unterwegs zur Fluglärm-Montagsdemo am Flughafen. Bürgermeisterin Birgit Simon und ihre Grünen haben schon eine Bahn früher genommen; CDU-Fraktionschef Peter Freier wird später ebenfalls an der Protestfront gesichtet werden.
Und auch sonst ist die Kommunalpolitik diesmal gut vertreten. Sie hat es offensichtlich satt, als zu unsichtbar im Kampf gegen den Krach vom Himmel geschmäht zu werden. Nadine Gersberg vom SPD-Vorstand hat sich kleine Flugblätter mit in Demonstrantenkreisen eigentlich verpönten Parteilogos an ihre Ohrenschützer gepinnt, der Grünen Sabine Grasmück-Werner sprießen dank kreativen Umgangs mit Blumendraht zwei der roten Karten, die 4000 Offenbacher der Flughafenbetreiberin Fraport und der Landesregierung bei der Offenbacher Menschenkette im Spätsommer zeigten, aus dem Haarreif. Ein Begleiter trägt TV-Bieber-Schildmütze und Bieber-Banner, die Rumpenheimer BI gegen Fluglärm hat sogar noch Sitzplätze ergattert, und wer kein Transparent, einen Spruch an einer langen Holzlatte oder wenigstens einen von der Grünen Luzie Gerharz eben verteilten „Landebahn - Stoppt den Wahn“-Aufkleber hat, kann sich hier ziemlich komisch fühlen.
Protestieren, Empören, Trommeln und Trillerpfeifen, Transparenteschwenken und Bannerspannen
Nur das mit dem demonstrativen Rendezvous von Horst Schneider und Daniel Tybussek in der S-Bahn klappt nicht. War zwar minutiös geplant und vermeldet. Doch Schneider, Oberbürgermeister der im Widerstand schon gut durchtrainierten Offenbacher, musste mittags zum Regierungspräsidenten und Michael Beseler, seinen Kämmerer, mitbringen. Das dauert, weshalb die Herren eine Referentin auf den Bahnsteig schicken und ausrichten lassen, sie würden direkt von Darmstadt zum Flughafen kommen.
Egal. Platz wäre im Waggon sowieso nicht gewesen. Und Daniel Tybussek, dem Bürgermeister der Mühlheimer, die in Sachen Fluglärm nun doch noch aufwachen, sprich: seit Eröffnung der neuen Landebahn nicht nur bei Ostwind ab 5 Uhr morgens gar nicht mehr eingeschlafen sind, kann Schneider auch am Flughafen noch treffen.
Falls er ihn dort findet. In Terminal 1, Abflughalle A, ist es noch viel enger als auf dem Weg dorthin. Nach einer Stunde aufgeregtem Protestieren, Empören, Trommeln und Trillerpfeifen, Transparenteschwenken und Bannerspannen, Umzug durch Halle A und B, Schwitzen und Tropfen gibt es Offenbacher, die den Tybussek irgendwo gesehen haben, und Mühlheimer, die den Schneider irgendwo gesehen haben. Ob sich Tybussek und Schneider gegenseitig gesehen haben, wird nicht ganz klar.
Montagsdemos am Flughafen werden weitergehen und wohl weiterwachsen
Ist auch nicht so wichtig. Es gibt ja das Telefon und darüber hinaus die Gewissheit, dass jede Form des Widerstands aus jeder Stadt und jeder Gemeinde und jeder der mittlerweile rund 80 Bürgerinitiativen in dieselbe Richtung zielt: Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr und nicht nur wie jetzt von 23 bis 5 Uhr. Überprüfung der Anflugrouten zwecks gerechterer Verteilung des Lärms. Vermeidung der Siedlungsbeschränkungen für Kitas, Schulen, Altenheime auf 80 Prozent der Offenbacher Fläche. Und am allerliebsten das Aus für die Planfeststellung der nun schon seit Wochen nervenden Landebahn.
Entscheiden werden das alles die Bundesverwaltungsrichter in Leipzig. Getagt wird im März, dann mit hochdotierten Anwälten und Aktenbergen. Und mindestens bis dahin werden auch die Montagsdemos am Flughafen weitergehen und wohl weiterwachsen. Beim ersten Termin vor zwei Monaten protestierten Hunderte. Vor zwei Wochen waren es etwa Dreitausend. Und jetzt sind es rund 6000. Diese Zahl hat Dieter Faulenbach da Costa hochgerechnet. Der Offenbacher Flughafenberater - gelernter Landvermesser und aus seiner Studentenzeit durchaus mit Demonstrationen vertraut - hat die äußeren Grenzen des Frankfurter Demo-Pulks abgeschritten, 2000 Quadratmeter errechnet und pro Quadratmeter drei Menschen unterstellt.
Die offiziellen Schätzungen liegen etwas darunter, der als Gegenlärm zu verstehende Geräuschpegel im Terminal lässt viel mehr vermuten. Auf jeden Fall ist es so eng und so laut, dass von den auf einer Treppe postierten Rednern wenig zu sehen und so gut wie nichts zu hören ist. Aber die Argumente sind sowieso bekannt und schon lange ausgetauscht. Die Menschen wollen Ruhe und lärmen dafür, die von der Landesregierung umschmeichelte Flugverkehrswirtschaft will Geld - und treibt damit, bei der Demo ist das gut zu beobachten, sogar Leute auf die Barrikaden, die so aussehen, als hätten sie in einem früheren, einem leiseren Leben mal die Landes-CDU gewählt.
Zumindest ist das Plakat, das ein so gar nicht in die Demo-Schublade passender Herr in Banker-Zivil neben sich auf den S-Bahn-Sitz legt, kaum anders zu verstehen: „Meine Stimme kriegt ihr nicht mehr“.