Fernwärme: Gefangen im letzten Monopol

Dietzenbach - Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBZ) klagt gegen die Energieversorgung Dietzenbach GmbH (EVD). Nun hoffen hiesige Fernwärmekunden, dass sich das Blatt für sie wendet. Von Ronny Paul
Dass der VZBZ gegen die Energieversorger EVO und EVD Klage wegen deren Fernwärme-Preispolitik eingereicht hat, ist sozusagen auf Dietzenbacher Mist gewachsen. Die Steinberger Manfred Schaffeld und Karlheinz Kremer haben einen Brief an die Verbraucherzentrale geschrieben und damit den Stein ins Rollen gebracht. Anlass: Die Preiserhöhungen zum 1. Oktober 2015. Schaffeld etwa zahlt nun rund 30 Prozent mehr. Die Verbraucherzentrale hat die Bedenken der Dietzenbacher ernst genommen und wendet sich nun gegen die EVD. Sie klagt an, dass der Dietzenbacher Energieversorger bei der im Oktober 2015 in Kraft getretenen Preisänderung eine neue Preisgleitklausel einseitig in laufende Fernwärmeverträge eingeführt habe. Für die Verbraucherseite besteht vertraglich ein Anschluss- und ein Benutzerzwang. Sprich: Sie haben keine Chance, zu einem anderen Energieanbieter zu wechseln.
Thorsten Kasper vom Berliner VZBZ fragt rhetorisch: „Kann man die Grundlage bei einem festgelegten Preis während des laufenden Vertrages ändern?“ Der VZBZ sieht die Verbraucher gefangen und geht daher juristisch gegen die Energieanbieter vor. Schaffeld erläutert, er habe 1993 beim Bau seines Hauses „Am Stiergraben“ mit dem damaligen Energieversorger Stadtwerke Dietzenbach einen Wärmezulieferungsvertrag abgeschlossen. „Diesen Vertrag haben beide Seiten unterschrieben“, sagt er. Mit dem Wechsel von den Stadtwerken zur EVO und dann vor zwei Jahren zur EVD sollten die neuen Energieanbieter die alten Verträge übernehmen. Auf Nachfrage bei der EVD habe es allerdings geheißen: Die alten Verträge lägen nicht vor, sagt Schaffeld. Jens Hinrichsen von der DL/FW-UDS-Fraktion sieht das kritisch: „Speziell für Dietzenbach ist es mehr als nur bedauerlich, dass Geschäftsführung und Aufsichtsrat der Stadtwerke nicht auf Einhaltung der Vertragsgrundlagen – mittelfristige Preisstabilität laut Business Plan – bestanden haben.“ Der Kommunalpolitiker begrüßt „das Vorgehen engagierter Bürger im Einklang mit der Verbraucherzentrale ausdrücklich“.
Manfred Geske, Sprecher der Dietzenbacher Interessengemeinschaft (IG) Energie, bedauert, dass die Fernwärme dadurch ihren positiven Charakter verliere. Zudem wünsche er sich einen vertrauensvolleren Umgang mit den Kunden: „Die IG ist letzlich traurig, dass es trotz der Bemühungen, vor Ort was zu regeln, zu diesem Weg kommen musste.“ Er hätte sich eine außergerichtliche Lösung gewünscht. Für ihn sei jedoch absehbar, dass das Landgericht Darmstadt zu Lasten der EVD entscheiden werde. Er zieht Beispiele aus Lübeck und Leipzig heran: Dort seien die Fernwärmeverträge mit einer Kündigungsfrist ausgestattet.
Auch der Frankfurter Rechtsanwalt und Energieexperte Werner Dorß prognostiziert ein Urteil im Sinne der Kunden, die im vergangenen Oktober eine einseitige Mitteilung der EVD „Wir ändern das Preissystem“ bekommen haben: „Fernwärme ist das einzige Monopol in Deutschland, die Kunden sind gefangen.“ Wer in Dietzenbach Fernwärme beziehe, könne nicht auf andere Anbieter ausweichen. Er nennt das Netzmonopol im Sinne der Netzökonomie. Der Anwalt moniert zudem, dass neben dem verbrauchsabhängigen Arbeitspreis und dem Mess- und Verrechnungspreis der Leistungspreis verbrauchsunabhängig sei, sprich: Die Kosten werden laut Dorß auch berechnet, wenn der Verbrauch null ist. Geske führt dazu an, dass die Mainova in Frankfurt ihre Fernwärmepreise zum gleichen Zeitpunkt drastisch gesenkt habe. „Gas wäre derzeit wesentlich günstiger“, sagt Geske. Da regenerative Energien die einzige Möglichkeit seien, sich vom Fernwärmezwang zu befreien, spiele er mit dem Gedanken, sich eine Solaranlage aufs Dach zu bauen.
Kremer, der sich wie Schafffeld dem Verein „IG EVO Energie Gravenbruch“ angeschlossen hat, sagt: „Wenn die EVD in die alten Verträge die Brennstoffkosten mit eingebracht hätten, dann hätte es 2015 eine Preisreduzierung geben müssen.“ Die beiden haben sich die Mühe gemacht, Verträge von rund 70 Dietzenbacher Fernwärmekunden zu sichten und auszurechnen, welche Auswirkungen das neue Preissystem hat: 76,4 Prozent zahlen mehr als acht Prozent, 12,5 bis zu acht Prozent mehr. Laut Schaffelds Berechnungen hätten sich die Preise lediglich für 11,1 Prozent der Kunden reduziert, beziehungsweise seien gleichgeblieben.
Schaffeld, Kremer und Geske haben eines gemeinsam: Sie wünschen sich mehr Preistransparenz, eine Wahl zwischen Tarifen beziehungsweise einen Wettbewerb zwischen Anbietern und mehr Kundenservice. Schaffeld sagt: „Wir hoffen, dass der VZBZ die Musterklage gewinnt.“ Da es ein grundsätzliches Thema in Deutschland sei, werde der VZBZ die Klage zur Not bis zum Bundesverfassungsgericht durchziehen. EVD-Geschäftsführerin Lena Blazek sagt, die Klageschrift sei noch nicht zugeschickt worden. Sie habe, ebenso wie die EVO, „keine Zweifel daran, dass die Vorgehensweise rechtens ist“.