Aus den Glocken wurden Waffen

Sprendlingen ‐ Seit einem dreiviertel Jahrhundert überragt das Gebäude der katholischen Kirche St. Laurentius die Bäume in der Eisenbahnstraße. Von Manuel Schubert
Die Gemeindemitglieder blicken auf eine bewegte Vergangenheit zurück, geprägt von Krieg, Wachstum und Einsatz. In dieser Woche feiert die Laurentiuskirche ihr 75-jähriges Bestehen.
Doch der Weg zum Bau war lang: Auf Initiative des für Sprendlingen zuständigen Pfarrers Heinrich Hohenadel aus Langen begann man 1912 erstmals seit langer Zeit, wieder katholische Gottesdienste im traditionell evangelischen Dreieich zu feiern. Nachdem für diese Messen jedoch Orte wie ein Saal der Schillerschule, ein leer stehendes Wirtshaus und eine Kapelle im Saal der damaligen Gewerbeschule herhalten mussten, entschloss sich der neue Langener Pfarrer Johannes Hofmann, für ein eigenes Gebäude zu kämpfen.
Hofmann hielt den Bau einer eigenen katholischen Kirche in Sprendlingen für unbedingt notwendig und machte sich deren

Planung zur Lebensaufgabe. Nach Jahren der Ungewissheit, in denen er mit konsequentem Einsatz - hauptsächlich mittels Bettelpredigten in umliegenden Kirchen - versucht hatte, ein Kapital anzusparen, war es schließlich so weit: 1933 war genug Geld vorhanden; ein Darmstädter Architekt wurde mit der Anfertigung der Baupläne beauftragt und der Grundstein für die erste katholische Kirche in Dreieich seit der Reformation konnte gelegt werden. Noch im selben Jahr kam man im Rohbau und unter freiem Himmel erstmals zur Christmette zusammen, ein Jahr später wurde das Gebäude an der Eisenbahnstraße fertig gestellt. Nachdem Orgel und Glocken ebenfalls zur Verfügung standen und integriert worden waren, konnte die Kirche am 17. November geweiht werden.
In den Anfangsjahren war nicht immer alles einfach
Doch vor allem in den Anfangsjahren war nicht immer alles einfach. Zur Zeit der Erstweihe hatte die christliche Kirche in Deutschland nämlich alles andere als eine sichere Position. Unter Druck gesetzt vom NSDAP-Regime, das bemüht war, den Einfluss der Kirche nach und nach zu mindern, sah man sich außerdem mit dem Vorwurf konfrontiert, man verweigere sich dem „neuen Zeitgeist“. Zudem wurde das Dach der Kirche durch Luftminen stark beschädigt und zwei der Glocken zur Herstellung von Waffen beschlagnahmt. Doch das Dach konnte restauriert, die Glocken - wenn auch deutlich später - ersetzt und die etwas kritische Anfangsphase überwunden werden. So erwies sich St. Laurentius vor allem in der Nachkriegszeit als ein Stück Heimat für viele vertriebene Katholiken, die nach Dreieich strömten.
Als 1957 eine Verdopplung der Mitgliederzahl innerhalb der letzten vier Jahre festgestellt wurde (von 2 000 auf 4 000), entschloss man sich zur Gründung einer zweiten katholischen Pfarrei: St. Stephan fand im Norden Sprendlingens ihren Platz. 1973 folgte die Heilig-Geist-Kirche in Buchschlag. Aufgrund immer bedrohlicher werdenden Personalmangels verordnete das Bistum Mainz 2006 den Zusammenschluss der drei Kirchen zur „Katholischen Pfarrgruppe Dreieich-Sprendlingen“.
Um das Jubiläum gebührend zu feiern, findet am Mittwoch, 17. November, um 17 Uhr eine Vesper statt, der auch der Generalvikar des Bistums Mainz, Dietmar Giebelmann, beiwohnen wird, statt. Am Sonntag, 20. November, folgt ein weiterer feierlicher Gottesdienst.
Zum heutigen Angebot der Kirche St. Laurentius gehören Kinder- und Jugendfreizeiten, Bibelkreise, Vorträge, Familiengottesdienste, natürlich die Erstkommunion- und Firmvorbereitung und vieles mehr.
Pfarrer Erik Wehner zur aktuellen Situation: „Wir befinden uns gerade mitten in einem Prozess, bei dem kirchliche Strukturen sich ändern und vieles zusammenwächst. Diese Entwicklung zeichnet sich auch für die Zukunft ab - einfach wird das sicher nicht.“ Mit dem bisherigen Verlauf sei er „ganz zufrieden“, die Zusammenarbeit der drei katholischen Kirchen könne jedoch noch konsequenter werden. Zweifel hat der Pfarrer, der vor fünf Jahren die Leitung der Gemeinde übernommen hat, aber keineswegs. „Die Zukunft wird umso besser sein, je konsequenter wir an unserer eigentlichen Aufgabe festhalten: das Evangelium zu verkünden, auf Gott zu vertrauen und für die Menschen da zu sein.“