Mikado mit Fliegern in der Kontrollzentrale

Frankfurt - Wenn das System der Start- und Landebahnen das Herz des Frankfurter Flughafens ist, dann ist die „Kontrollzentrale Langen“ der Deutschen Flugsicherung (DFS) sein Gehirn – und die Fluglotsen sind die kleinen grauen Zellen ... Von Michael Eschenauer
„Gib mir Alpha, Foxtrot Romeo 1519, Zulu 345 und Charly, Tango, November 416 rüber. Wir haben ‘nen ziemlichen Stau überm Spessart. Das wird zu dicht. Wir teilen meinen Sektor in zwei Minuten. Alles klar? Delta Lima Hotel 9 Vikor Yankee established. “
Es ist 15.32 Uhr an diesem Dienstagnachmittag, der Wind kommt mit vier Knoten aus Nordost/Ost, der Himmel ist bedeckt, die Betriebsrichtung „07“. Das Herz des Frankfurter Flughafens pumpt im Sprinter-Modus. „1 400 Starts und Landungen haben wir pro Tag. In der Rush Hour, also jetzt, sind es bis zu 90 pro Stunde“. erklärt Kristina Kelek, Sprecherin der Deutschen Flugsicherung (DFS) in Langen.
Zu dieser Tageszeit läuft die Abteilung „Approach Frankfurt“ oder „Anflug Frankfurt“, wo Daniel Müller sein Geld verdient, „im absoluten Peak“. Der 35-Jährige ist seit zehn Jahren Fluglose. Jetzt arbeitet er in der „most busiest Area“, dem geschäftigsten Bereich, den die DFS auf Lager hat. „Approach Frankfurt“ ist kein stilles Tal. Für die Überwachung des Anflugverkehrs auf diesem von Nord nach Süd 74 Kilometer und von Ost nach West 130 Kilometer messenden Gebiet sind 80 Lotsen und Lotsinnen pro Schicht im Einsatz.
Überblick behalten ist das Wichtigste
„Mehrere Dinge gleichzeitig zu tun und die Übersicht zu behalten, ist das Wichtigste bei dem Job“, meint der Aschaffenburger. Die Stimmung unter seinen Kollegen im hinteren linken Eck des fensterlosen 1 700 Quadratmeter großen Raums wirkt locker. Ein kurzer Lacher, ein „Ei Gude Wie?“ – uneitle Professionalität, Konzentration, die ohne Getue auskommt. Was hier passiert, ist vom Ort des Geschehens separiert – und das nicht nur räumlich.
Lebende Wesen, die durch die Luft rasen und die kaum mehr als eine dünne Metallhaut vom Tod trennt, tauchen nur als ruckende Zahlenkombinationen auf. Müller und Kollegen sind Profis in einem Computerspiel. Es geht darum, Ordnung in ein hochkomplexes System sich ständig verändernder Akteure zu bringen. Ein virtuelles Mikado, dessen Holzstäbchen für Dinge wie Abstand, Höhenstaffelung, Tempo, Flugrichtung, Wirbelschleppen und Anflugfrequenz stehen. Es dauert höchstens Minuten, bis eines von ihnen verrutscht. Dann muss alles neu ausgerichtet werden.
Für jeden Flieger ein Täfelchen
Einer der kleinen Helfer von Herrn Müller heißt „Approach Manager“. Das ist der Monitor, der neben dem Wetter-Bildschirm hängt. Er zeigt an, um welche Maschinen sich der Lotse in den nächsten Minuten in dem zugewiesenen Sektor kümmern muss. Ähnlich ist die Funktion jener merkwürdig antiquiert wirkenden, auf einer Metallschiene aufgereihten handbekritzelten Plastiktäfelchen in vier verschiedenen Farben - für jede Himmelsrichtung eine, für jeden Flieger ein Täfelchen.
„Dieses System ist absturzsicher. Unsere elektronischen Systeme sind zwar alle doppelt ausgelegt, aber wenn wirklich mal alles ausfallen sollte, habe ich immer noch diese Kontrollstreifen. Die sagen mir alles, was ich wissen muss,“ erklärt Müller.
Maschinen schieben sich wie Schildkröten über den Schirm
Immer wieder richten sich die Augen des Mannes mit dem Armband aus genietetem Leder auf das Zentrum seines Arbeitsplatzes, jenen großen Radarschirm, wo sich alle an- und abfliegenden Maschinen wie Schildkröten auf blau markierten Flugstraßen vorwärtsschieben.
Müller sieht die zwölf bis 14 Maschinen in seinem Sektor als Zahlengruppen. So steht „DLH53/068/28“, das sich von unten links dem Bahnsystem nähert, für eine Lufthansa-Maschine mit der Flugnummer 53 in einer Höhe von 6 800 Fuß mit einer Geschwindigkeit von 280 Knoten. „CFG 344/092/26 steht für die Condor, Flugnummer 344 in einer Höhe von 9 200 Fuß und einem Tempo von 260 Knoten.
Vier-Augen-Prinzip
Die weißen Schildkröten bewegen sich zur neuen Nordwest-Landebahn, die gelben zur Südbahn. Wird eine Zahlengrupe grün, sollte der Fluglotse aufmerken: Mit dieser Farbe kennzeichnet der Computer Maschinen, die sich unter Umständen einer riskanten Position nähern. Der Abstand der Flugzeuge muss mindestens drei nautische Meilen, also 5 500 Meter betragen, der Höhenunterschied darf nicht weniger sein als 1 000 Fuß oder 300 Meter. Springt die Zahlengruppe auf Rot, ist das Flugzeug zu nahe an einer anderen Maschine oder der Höhenunterschied zu gering. Müller müsste eingreifen.
Um das Spiel wirklich sicher zu beherrschen, wird das Vier-Augen-Prinzip praktiziert. Bei der Überwachung der Sektoren – ihre Größe wird je nach Verkehrsdichte verändert – teilen sich zwei Lotsen die Arbeit: Der Radarlotse hält Funkkontakt zum Flugzeugcockpit, der Koordinator, in unserem Fall Daniel Müller, plant die Flugmanöver und stimmt diese mit den umliegenden Sektoren ab. Wenn es irgendwo klemmt, gibt Müller über seinen Radar-Kollegen Anweisungen an den jeweiligen Piloten durch.
Priorität 1: Sicherheit, Priorität 2: Leistungsfähigkeit von „FRA“
Was kann ein Fluglotse für die Verminderung des Lärms tun? Nach Einschätzung von Müller hat er nur begrenzte Einflussmöglichkeiten. „Priorität haben die Vorschriften der ICAO, der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation, also die Sicherheit. Die Physik ist auch eine Grenze. Manches, was theoretisch eine Lärmminderung bringen könnte, geht halt einfach nicht“, sagt der Fluglotse. Aber auch ein hohes Verkehrsaufkommen erschwere Flugverfahren, die weniger Lärm verursachen. Und bei den Prioritäten komme die Leistungsfähigkeit von „FRA“ gleich an zweiter Stelle hinter der Sicherheit.
So sei zum Beispiel der weniger Fluglärm verursachende allmähliche Sinkflug bei starkem Verkehr wegen der schwierigeren vertikalen Staffelung kaum zu praktizieren, weil man die Maschinen nicht einfach im leisen Leerlauf auf die Landebahn zugleiten lassen könne, sondern wegen der höheren Dichte häufige Brems- beziehungsweise Beschleunigungsvorgänge nötig seien. Beim Abflug seien im vorgeschriebenen Routensystem allenfalls steilere Steigungswinkel praktizierbar.
Das Problem für Offenbach
Das Problem für Offenbach liege darin, dass die Flugzeuge hier bereits in das Instrumenten-Landesystem (ILS) eingerastet seien. Dieses halte sie auf einem Führungsstrahl mit einem Gleitwinkel von drei Grad bis zur Landebahn und lasse für Lärmvermeidung kaum Raum, so Müller. Weil das ILS nur bis zu einer Höhe von 5000 Fuß arbeite, könne man eben beim Anflug die Maschinen nur bis in diese Höhe staffeln. „Bis 35 Kilometer rund um die Landebahn können wir wenig machen“, so der Fluglotse. Vieles müsse auf den letzten zehn Kilometern dem Piloten überlassen werden. So zum Beispiel, wann er das Fahrwerk oder die Landeklappen ausfahre. Letztere vergrößern die Oberfläche der Flügel, so dass der Auftrieb stark genug bleibt, auch wenn das Tempo nachlässt. Krach aber macht beides.