Ein großes Herz für Atheisten

Frankfurt - Die sprichwörtliche Stecknadel hätte jeder der gespannt wartenden Gäste auf den Boden fallen gehört. Wenige Minuten vor Eintreffen des spirituellen Oberhaupts der Tibeter brach in der Frankfurter Paulskirche jegliches Getuschel, Raunen oder auch nur Wispern ab. Von Axel Wölk
Als der Friedensnobelpreisträger schließlich kam, standen alle Besucher in der mit geladenen Gästen gut gefüllten ersten deutschen Volksversammlung. Sie wollten allesamt den Dalai Lama in der Diskussionsrunde zum Thema „Ethik jenseits von Religion?“ sprechen hören. Prominentester Gesprächspartner des Würdenträgers war der reformorientierte Trierer Bischof Stephan Ackermann.
Der Religionsführer brachte seinen Standpunkt auf den Punkt. „Wir müssen die Atheisten auch respektieren.“ Es gebe auf der Welt etwa eine Milliarde Nichtgläubige. Diese ließen sich kaum zum Glauben bekehren. An dieser Stelle setzt die Idee des Dalai Lama an. Er spricht sich für eine säkulare Ethik jenseits von Religionen aus. „Alle Religionen sprechen von Liebe, Zufriedenheit und Vergebung. Der Kern des Säkularismus basiert ebenfalls auf grundlegenden menschlichen Werten.“ Diese säkulare Ethik habe den Grundstein für alle Religionen gebildet. Hier setzte Ackermann einen etwas anderen Akzent. „Ich würde sagen: Die Werte kommen von Gott, daraus entstand die Ethik. Sie sind nicht im Menschen angelegt. Zuerst war nicht die Moral, sondern die Glaubenserfahrung.“
Der Dalai Lama bestritt nicht, dass manche Menschen mildtätiger seien und ihr Essen lieber mit ihren Nächsten teilten als andere. Wer es mit dem Egoismus allerdings zu weit treibe, werde seinen guten Ruf verlieren und dadurch leiden. „Große Firmen erkennen, dass sie sich selbst schaden, wenn sie ihre Beschäftigten ausbeuten“, schlug der Religionsführer einen Bogen zur modernen Arbeitswelt. Währenddessen waren von draußen Demonstranten zu hören, die lautstark gegen die Ablehnung ihres Schutzgeistes Shugden durch den 78-Jährigen protestierten. Der Dalai Lama zeigte sich als großer Befürworter der Wissenschaft. Aktuell arbeitet er unter anderem an einem Projekt mit Forschern der Frankfurter Goethe-Universität zusammen.