Die Weltmeister des „Hamsterrads“

Taunusstein - Die deutsche Metropole des Rhönradsports liegt nicht in der Rhön, sondern im Taunus: Deutsche Meister, Europameister, Weltmeister - unzählige Titel haben die Turner aus Taunusstein schon geholt. Von Susan Schädlich
Sogar der weltweit bedeutendste Rhönrad-Hersteller sitzt in der Kleinstadt.
Das ist doch so wie ein Hamsterrad, oder? Wer Rhönrad turnt, bekommt es regelmäßig mit dieser Vorstellung zu tun: Da macht jemand Mätzchen in einem Rad. „Ich antworte immer: Ja, aber wir turnen darin“, sagt Sarah Metz und lacht. Die 18-Jährige ist zweifache Junioren-Weltmeisterin im Rhönradturnen.

Für ihre Übungen rollt sie das Rad, das größer ist als sie selbst, einige Meter hinter eine dicke, blaue Turnmatte und klettert hinein. Mit einem Tritt auf eine Sprosse bringt sie das Turngerät ins Rollen. Sarah duckt sich, schlüpft aus dem Rad heraus, läuft hinterher und springt kurz vor der Matte wieder auf. Das Rad verlangsamt, die Füße der Turnerin ruhen auf den Radreifen. Sie richtet sich auf, geht, mit dem Rücken zur Matte, in die Knie - springt einen fehlerfreien Salto mit Schraube und steht.
Der Sprung, das ist Sarahs Vorzeigedisziplin. Und die 18-Jährige ist die Vorzeigeturnerin ihres Vereins, des TSV Taunusstein-Neuhof. Gerade hat sich die Abiturientin und zweifache Juniorenweltmeisterin für die Weltmeisterschaften im Juli in den USA qualifiziert. Fünf der zwanzig deutschen Nominierten kommen aus dem Ort im Rheingau. Unter Kennern wundert das niemanden. Unzählige Titel gingen in den vergangenen Jahren hierher: Mehr als 95 im Mehrkampf, 32 Weltmeistertitel, 21 Deutsche Mannschaftstitel. Seit Jahren dominiert Taunusstein den Sport, derzeit gemeinsam mit Bayer 04 Leverkusen.

Nachwuchsprobleme kennt der Verein nicht. „Wir haben eher Wartelisten als zu wenige Kinder“, erzählt Katja Homeyer, die mehrere Gruppen und auch Sarah trainiert. „Die Begeisterung für den Sport wird von Generation zu Generation weitergegeben.“ Homeyer selbst ist dafür das beste Beispiel. Die 44-Jährige ist Doppelweltmeisterin, Europameisterin und vieles mehr - außerdem noch mit einem Rhönrad-Turner verheiratet. Ihre drei Kinder trainieren den Sport. Die zwei älteren dominieren in der Jugendklasse und werden ebenfalls bei der Weltmeisterschaft antreten.
Sogar der weltweit bedeutendste Rhönrad-Hersteller sitzt in Taunusstein - ein Vier-Mann-Schlosserbetrieb, der jährlich etwa 200 der Räder in alle Welt verkauft. „Seit 25 Jahren machen wir das inzwischen“, erzählt Firmeninhaber Oswald Zimmermann. „Auf die Idee kamen wir erst über den Turnverein.“ Der Sport macht aktuell allerdings nur ein Drittel des Absatzes der Firma aus. Den Großteil der Räder verkauft der Betrieb an Künstler oder Zirkusse bis nach Dubai.
Etwa 5000 Aktive trainieren in Deutschland - und das ist gleichzeitig die Weltspitze. Doch selbst hier wurschtelt sich die Randsportart ohne Ligabetrieb eher durch. Weltmeisterschaften finden in diesem Jahr zum zehnten Mal statt und sind noch immer eine weitgehend deutsche Veranstaltung - erst recht, wenn man den Medaillenspiegel betrachtet. Erst seit ein paar Jahren holen ab und zu auch Turnerinnen und Turner aus Japan, den USA und den Niederlanden Titel. „Es freut einen schon sehr, auf einer WM mal eine andere Hymne zu hören“, sagt der Sprecher des Technischen Komitees Rhönradturnen, Henning Henningsen.
Um mehr Zuschauer anzulocken, wurde mittlerweile die Kür zur Musik eingeführt, seit etwa fünf Jahren gibt es die Sprungwertung auch für Frauen. Besonders beliebt ist eine radikale Veränderung: Das Monowheel, eine Art riesiger Hula-Hoop-Reifen, in dem die Sportler turnen und sich oft kostümiert in „Battles“ messen. In diesem Jahr bekommen die Monowheeler erstmals eine eigene WM-Wertung. Um den Titel kämpft auch eine Frau aus Taunusstein mit.
Auch Sarah Metz turnt demnächst außer Konkurrenz: Bei ihrer Abiturprüfung. Sport hat die 18-Jährige gewählt, eine Prüfungssportart ist Rhönradturnen. Nun müssen die Lehrer die Weltmeisterin benoten. Und damit sie wenigstens eine ungefähre Ahnung haben, worauf es bei diesem Sport ankommt, hat eine Abordnung beim Training hospitiert.