„Ich würde lieber sterben“

Steinheim - So etwas wie Normalität hat Daahir Abdullahi Osman in den letzten Tagen erlebt. Endlich. Vor gut zwei Jahren war der 21-Jährige aus Somalia geflohen - nach schweren Misshandlungen. Jetzt hat er Kirchenasyl in Steinheim gefunden. Von Christian Spindler
Seit zehn Tagen lebt Osman in zwei Zimmern im Pfarrhaus der evangelischen Kirchengemeinde an der Ludwigstraße. Und ist wenigstens etwas zur Ruhe gekommen. „Am Sonntag haben wir zusammen Fußball geschaut“, sagt Pfarrerin Heike Zick-Kuchinke. Etwas Ablenkung von der schwierigen Situation des jungen, zurückhaltenden Somaliers, der leise spricht, wenn er von sich und seinem Schicksal berichtet. Ihm droht die Abschiebung nach Italien. Flüchtlinge werden laut Dublin III-Verordnung in das Land abgeschoben, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben.
Die Verhältnisse für Flüchlinge dort sind miserabel. Überfüllte Camps, kaum medizinische Versorgung. Vor allem in Rom und Mailand leben viele in riesigen Slums, sagt der Steinheimer Pfarrer Mario Fischer. In Italien droht Osman die Obdachlosigkeit. „Er würde zum Bodensatz der Gesellschaft gehören“, so Herwig Putsche von der Diakonischen Flüchtlingshilfe Main-Kinzig.
Behandelt wie ein Sklave
Was ist Kirchenasyl?
Kirchenasyl hat religionsgeschichtlich eine jahrtausendalte Tradition. Heute ist es die vorübergehende Aufnahme von Flüchtlingen durch eine Kirchengemeinde, um eine Abschiebung zu verhindern. Ein Sonderrecht für Kirchen gibt es juristisch betrachtet aber nicht, der Staat könnte dennoch die Abschiebung vollziehen. Die kirchliche Nothilfe hat jedoch eine moralische Wirkung und wird in der Praxis fast immer von den staatlichen Behörden respektiert. Bis zum Jahr 2000 soll es in Deutschland 550 Kirchen-asyle gegeben haben. Informationen zum Unterstützerkreis für Daahir Abdullahi Osman gibt es im evangelischen Gemeindebüro in Steinheim (Telefon 06181 61610). Spendenkonto: 5511097 bei der Frankfurter Volksbank (BLZ 50190000), Stichwort Kirchenasyl.
Daahir Abdullahi Osman hat das schon erlebt. Nicht nur in Italien, auch in seiner Heimat Somalia. Dort gehörte er zur Minderheit der Madhibaan, die Diskriminierungen ausgesetzt sind. Nach einem Streit wurde Osman von Stammesangehörigen der Hawye bewusstlos geprügelt. Er sollte lebendig begraben werden. In letzter Minute wurde er gerettet. So steht es in einer eidesstattlichen Versicherung zu Osmans Leidensgeschichte. Die Al Shabaab-Milizen wollten ihn rekrutieren, misshandelten ihn. Das war Anfang 2012. Osman floh: in den Sudan, sechs Wochen durch die Sahara nach Libyen. Sieben Mitreisende wurden offenbar von Organhändlern auf der Flucht getötet. Nach Haft in Libyen wurde der junge Somalier von einem Offizier wie ein Sklave gehalten. Er entkam. Im August 2013 setzte er mit 90 Menschen in einem Schlauchboot nach Lampedusa über. Drei starben unterwegs. Es folgten Auffanglager, überfüllte Flüchtlingscamps in Italien, Menschen zusammengepfercht in Containern. Wie andere Flüchlinge auch, berichtet Osman von unmenschlichen Zuständen. Im Dezember kam der 21-Jährige über Gießen nach Steinheim, lebte dort im Wohnheim. Nun soll er abgeschoben werden. „Ich würde lieber sterben als nach Italien zurückzukehren“, sagt er.
Über ein Netzwerk und die Initiative „Lampedusa in Hanau“, die unter dem Dach der Diakonischen Flüchtlingshilfe 100 Afrikaner aus Somalia und Eritrea betreut, kam der Kontakt zur Kirchengemeinde zustande. Die entschied nach ausführlicher Beratung: Wir geben Daahir Abdullahi Osman Kirchenasyl. Nach der Information aller Behörden ging man gestern an die Öffentlichkeit. Die Pfarrerin: „Wir wollen uns klar positionieren.“ Es müsse sich politisch etwas ändern im Umgang mit den Flüchtlingen.
Backen für den guten Zweck
Zunächst geht es um konkrete Hilfe für Osman, dessen Familie mit acht Geschwistern in Somalia lebt, und der nun das Steinheimer Kirchengelände nicht verlassen darf. Es habe in den letzten Tagen eine große Resonanz gegeben, so die Pfarrerin. Nicht nur aus der Gemeinde. Gestern traf sich ein Unterstützerkreis. Es ging um Kontaktpersonen, Einkäufe, Deutschunterricht. Alles muss organisiert werden. Denn Osman wird wohl noch bis November im Pfarrhaus bleiben. Wenn er nicht abgeschoben wird, beginnt nach einer Frist automatisch sein Asylverfahren an dessen Ende ein Abschiebeschutz, besser die Flüchtlingsanerkennung stehen soll.
„In den nächsten Monaten wird sich etwas entwickeln“, ist die Pfarrerin überzeugt. Wenn erstmal die Abschiebe-Angst gewichen sei, so die Erfahrung von Marion Bayer von der Initiative „Lapadusa in Hanau“, kämen die Flüchlinge, die so viel Schlimmes erlebt haben, etwas zur Ruhe. Daahir Abdullahi Osman würde gerne zur Schule gehen, eine Ausbildung machen. Irgendwas mit Technik. Das ist sein Traum.