„Lärmteppich wie Luftangriff“

Mühlheim/Frankfurt - Als der Zug der rund 2000 Menschen während der letzten Montagsdemo auf dem Terminal 1 des Flughafens lautstark die Runde dreht, schaut ein Ehepaar vom Rand aus zu. Die Frau zeichnet mit der Hand einen Scheibenwischer vor ihrem Gesicht. Von Stefan Mangold
Sie und ihr Mann fühlen sich gestört. Jedoch nicht von irgendeinem Fluglärm, „wir leben in Baden-Baden“. Die Frage, ob auch sie demonstrierten, wenn täglich hunderte von Fliegern über ihr Haus donnerten, wird vereint. „Dann zögen wir weg“, antwortet die Dame leicht jenseits der mittleren Jahre in schwer blasiertem Tonfall.
Einer wie Rudi Eitel, der Mühlheimer Barde, will bleiben. „Oh ich habe solche Sehnsucht, ich verliere den Verstand, ich will endlich wieder Ruhe, ich will ein Lärmschutzwunderland“, singt Eitel von der „Initiative Mühlheim gegen Fluglärm“. Die richtet zum ersten Mal die Montagsdemonstration aus, stellt Ordner und Redner. Heute erscheinen mehr als sonst. Einige haben Ziegel dabei, andere tragen Bau- oder schwere Motorradhelme. Nach den Ereignissen der letzten Wochen in Flörsheim wirkt die Ausstattung weniger als Witz, sondern eher als Notwendigkeit für Freilandaufenthalt in der Gemeinde.
Abgedeckte Ziegel durch Flieger
Die Ziegel stammen nämlich von Dächern, die durch Flieger verursachte sogenannte Luftschleppen in den letzten Monaten partiell abdeckten. Die wiegen zwischen vier und sechs Kilo. „Trifft dich einer am Kopf, dann bist du tot“, betont Carola Gottas, Sprecherin der Bürgerinitiative in Flörsheim. Gottas erzählt von dem fünfjährigen Sohn einer Freundin, der im Garten spielte, während auf dem Nachbargrundstück die Ziegel flogen.
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Bevor das Glück pausiert und es jemandem den Schädel zerhaut, fordert Gottas durch einstweilige Verfügung die Stilllegung der Nordwestbahn und schlägt den Eigentümern der Domizile vor, „bei der Polizei Anzeige zu erstatten“. Die betroffenen Häuser befänden sich sogar sämtlich außerhalb der Zone, für die das Kaufangebot der Fraport gelte. Die Geschosse von den Flörsheimer Dächern geben den Worten Maria Büttners von der Bürgerinitiative (BI) aus Mühlheim einen Sinn, der über den metaphorischen Charakter hinausgeht: „Der Lärmteppich wirkt wie ein Luftangriff.“ Als Erfolg der Protestes der BI wertet Büttner die Aufnahme der Stadt in die Fluglärmkommission.
Montagsdemo am Flughafen
„Die Bahn muss weg“, skandieren die Demonstranten, was durch die besondere Akustik phonetisch fast wie „Die Mauer muss weg“ klingt. Die Forderungen stehen: „Flugverbot von 22 Uhr nachts bis sechs Uhr morgens, Deckelung der Flugbewegungen pro Jahr und Schließung der Nordwestbahn“, resümiert Büttner. Die wartenden Passagiere aus aller Welt, von denen etliche das Geschehen fotografieren, könnten zu Hause von einem typisch deutschen Klischee berichten. Trotz aller Wut herrscht große Disziplin. Chaoten, die über die Stränge schlagen, finden sich auch diesmal nicht.
Dafür Mühlheimer Parteivertreter unterschiedlicher Couleur. Die in der BI engagierte Christdemokratin Erika Sickenberger hätte sich vor ein paar Jahren kaum vorstellen können, einmal gegen die Ergebnisse der Politik ihrer Parteifreunde im Wiesbadener Landtag zu demonstrieren. Die Demo ist Tagesordnungspunkt auf dem Sitzungszettel des Magistrats. Bürgermeister Daniel Tybussek (SPD) ist ebenfalls präsent. Die Genehmigung für die Demonstration gilt zwischen 18 und 19 Uhr. Pünktlich fangen die Proteste an, pünktlich hören sie auf.