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„Als hätte ich Licht gemacht“

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Drei Jahre hat Inci Auth an dem Buch geschrieben.
Drei Jahre hat Inci Auth an dem Buch geschrieben. © Jörger

Obertshausen - „Menschen mit Autismus haben oft Probleme, die sie eigentlich nicht haben müssten“, davon ist Inci Auth, Mutter eines autistischen Sohnes, überzeugt. Von Lena Marie Jörger

Mit ihrem Buch „Sind die Knöpfe spitz? Geschichte und Therapie meines herzkranken autistischen Kindes“ will sie betroffene Eltern, aber auch Lehrer, Therapeuten und Betreuer für das Thema sensibilisieren. Auf dem Küchentisch liegt ein weißes Blatt Papier. In der Mitte prangt ein großer Kreis, daneben ist ein schmales Rechteck abgebildet und oben rechts ein kleinerer Kreis. Es ist unschwer zu erkennen, dass es sich bei den Formen um die Umrisse eines Tellers, Bestecks und Bechers handelt. „Dennis braucht das zum Tischdecken, damit er weiß, wo er was hinstellen soll“, erklärt Inci Auth, Dennis’ Mutter.

Vor gut zehn Jahren wurde bei ihrem Sohn frühkindlicher Autismus diagnostiziert, eine Entwicklungsstörung, die vor allem die Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit betrifft. Doch damit nicht genug. Ein Herzfehler, Epilepsie und eine Skoliose (Wirbelsäulenkrümmung) schränken Dennis weiter stark ein. Dass abgesehen vom körperlichen Handicap mit ihrem Sohn etwas nicht stimmt, hatte Auth schon früh gemerkt. „Er hat oft geschrien und ich habe nicht verstanden warum.“ Heute weiß sie, dass das ein Zeichen von Unsicherheit war. Damals quälen die Alleinerziehende aber Vorwürfe und Selbstzweifel. Ihre Stelle als Sachbearbeiterin kündigt sie bereits kurz nach der Geburt, seitdem kümmert sie sich um ihren Sohn. Ein Fulltime-Job, der sie an den Rande eines Burn-Outs treibt. Unterstützung von staatlicher Seite fehlt. „Für behinderte Menschen wird immer noch viel zu wenig getan“, kritisiert Auth. Sie sucht sich kurzerhand selbst Hilfe, lernt durch die Diplompsychologin Dr. Anne Häußler den TEACCH-Ansatz kennen, eine spezielle Therapieform für autistische Kinder. Schwerpunkt ist dabei die individuelle Förderung jedes Kindes.

„Es geht darum zu schauen, was das jeweilige Kind braucht, um sich in verschiedenen Situationen sicherer zu fühlen“, fasst Auth kurz zusammen. Bei Dennis sind es Bilder und Zeichen, denn Visuelles versteht er besser als Verbales. Für fast jede Situation hat seine Mutter deshalb kleine Kärtchen gebastelt, auf dem Handlungen, Personen oder Dinge abgebildet sind. „Wenn wir unterwegs sind, muss ich zumindest immer einen Block und einen Stift dabei haben, damit ich etwas malen kann, wenn ich mal die Karten zu Hause gelassen habe“, erzählt Auth und fügt schnell hinzu: „Aber TEACCH ist nicht nur Bilder zeigen, denn jedes Kind braucht etwas anderes,“

Für sie ist der Erfolg allerdings sichtbar. „Das ist, als hätte ich das Licht angemacht“, versucht sie zu beschreiben. „Durch die Bilder versteht Dennis Zusammenhänge besser - und ich meinen Sohn.“ Vor knapp drei Jahren zog Dennis in ein Lebenshilfe-Wohnheim in St. Wendel, geht dort in eine Schule für praktisch bildbare Kinder. Inci Auth hat trotzdem nicht weniger zu tun. Jeden Tag kommen ihr neue Ideen, die Dennis dabei helfen können, Alltagssituationen besser zu verstehen. „Ich kann einfach nicht aufhören, weil ich sehe, wie sehr ihm das hilft.“ So dreht sie kurze Videos, malt neue Bildkärtchen oder legt ganze Hefte zu verschiedenen Themen an. „Vor allem Pläne für Arztbesuche sind wichtig, denn die sind für Dennis sehr schwierig.“ Ganz und gar nicht schwierig ist für ihn dagegen Bus-, S- und U-Bahnfahren, denn er liebt es, Menschen beim Drücken von Tasten - oder wie er es nennt, Knöpfen - zuzuschauen. Daher auch der Buchtitel. Jedes Mal, wenn der Junge jemanden beim Tastendrücken beobachtet, fragt er, ob die Knöpfe spitz sind. Warum, das weiß seine Mutter auch nicht. „Er hat irgendwann damit angefangen und es sich angewöhnt.“

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