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Tag der Verschwundenen: Die Hölle daheim

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Mit diesem Plakat suchte die Familie nach dem vermissten Lothar Zepter. Ohne Ergebnis. © p

Obertshausen - Es ist unvorstellbar. Dieser Gedanke schießt einem als erstes durch den Kopf, wenn man Ursula Zepter gegenüber sitzt. Die blonde Frau spricht ruhig, erzählt gefasst von dem Tag, der ihr Leben und das ihrer Tochter komplett veränderte. Von Lena Marie Jörger

Der Tag, der das Grauen zu ihnen nach Hause brachte. 6. August 2000. Als Ursula Zepter nach einer Feier bei Freunden in Inheiden nach Hause kommt, ist ihr Mann nicht da, sein Auto auch nicht. Lothar Zepter war mit Ursula und der gemeinsamen Tochter auf der Feier, fuhr aber früher zurück, weil er am nächsten Tag mit einem Freund verabredet war. Ursula Zepter durchsucht das ganze Gebäude, geht schließlich nach draußen. Im Hof macht sie eine grausige Entdeckung: eine riesige Blutlache auf den Steinplatten. Auch in der Pergola: Blut auf Boden und Wänden.

„Zuerst habe ich nicht daran gedacht, dass das von meinem Mann stammen könnte“, erinnert sie sich. Sie ruft die Polizei. Die durchsucht mit Hundertschaften und Hubschraubern mit Wärmebildkameras die Gegend. Ohne Ergebnis. Nur Lothar Zepters Auto wird ganz in der Nähe gefunden. Als die Beamten den Kofferraum öffnen, bemerken sie auch dort Blutspuren.

Blut in Hof, Pergola und Wagen

Erst Tage später ergibt eine Untersuchung, dass das Blut in Hof, Pergola und Wagen tatsächlich von Lothar Zepter stammt. Und noch viel schlimmer. Als Ursula Zepter am 14. August 2000 – an diesem Tag wäre ihr Mann 49 Jahre alt geworden – einen Termin bei der Offenbacher Kriminalpolizei hat, wird ihr der letzte Rest Hoffnung genommen. „Der zuständige Kriminaloberkommissar sagte mir, dass mein Mann aufgrund der Menge an Blut, die gefunden wurde, ohne ärztliche Hilfe nicht überlebt haben kann.“ Für die gebürtige Offenbacherin ein Schock. Die Polizei fragt in allen Krankenhäusern in der Umgebung nach, ob ein Mann mit entsprechenden Verletzungen eingeliefert wurde. Nichts.

Ein Gewaltverbrechen schließt die Kripo nun nicht mehr aus. Sie geht davon aus, dass Lothar Zepter nach der Bluttat mit seinem eigenen Auto weggebracht wurde. Die Suche wird fortgesetzt. Mit Leichenspürhunden. Zahlreiche Hinweise aus der Bevölkerung gehen ein, auch ein Jahr später noch. Eine heiße Spur ist nicht dabei. DNA-Material, das gesichert wurde, konnte nicht zugeordnet werden. Auch ein Aufruf über „Aktenzeichen XY“ bringt keinen Erfolg. Was das Motiv betrifft, tappen die Ermittler im Dunkeln. Auch Ursula Zepter sucht nach Erklärungen. Aber sie findet keine. „Mein Mann hatte keine Feinde, er bewegte sich nicht in dubiosen Kreisen.“ Die Ungewissheit, was in der Nacht passiert sein könnte, quält sie bis heute. Um zu lernen, mit ihr zu leben, mit dem unvorstellbaren Schmerz umzugehen, beginnt sie eine Traumatherapie. „Ich gehe da ganz pragmatisch ran“, sagt sie. „Entweder ich gehe daran kaputt, oder ich wachse.“ Ursula Zepter blinzelt kurz. „Ich habe nur dieses eine Leben.“

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Neben der Therapie hilft ihr die Kunst. „Sie ist mein roter Faden im Leben“, sagt die Malerin. „Sie hat mich aus dem dunklen Loch geholt.“ Und auch Freunde waren da. Gemeinsam renovierten sie das Atelier neben dem Haus – eine Arbeit, die die Eheleute acht Jahre zuvor gemeinsam begonnen hatten. „Das war unser Projekt.“ Auch am Tag von Lothars Verschwinden arbeiteten die beiden zusammen auf der Baustelle. Nun hat Ursula Zepter die Arbeiten mit Hilfe aus dem Freundeskreis nach ihren und Lothars Vorstellungen zu Ende gebracht. Ein Umzug kam für sie nicht in Frage. „Ich will dem Schwein, das meinen Mann getötet hat, nicht gönnen, dass es uns auch noch unser Zuhause nimmt.“ Natürlich wäre es einfacher, wegzugehen und woanders neu anzufangen, gibt sie zu. „Aber ich bin niemand, der vor etwas davon läuft. Außerdem habe ich keinen anderen Ort zum Trauern.“

Manchmal holt sie das Grauen wieder ein. Jedes Jahr am 5. August. An anderen Jahrestagen. Bei Feiern. „Und wenn ich einen Dieselmotor höre, weil Lothars Diesel auch immer so geklappert hat“, sagt sie. „Das werde ich nie los.“ Dennoch sei es manchmal gut, darüber zu reden. „Das ist eine gute Übung für mich.“ Die Frage, was mit ihrem Mann passiert ist, bleibt offen. Bis heute.

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