Coronavirus im Kreis Offenbach: „Wir stellen inzwischen auch fest, dass sich Menschen ein zweites Mal infizieren“

Die Zahl der Corona-Infektionen explodiert auch im Kreis Offenbach, die Gesundheitsämter sind überlastet. Landrat Oliver Quilling spricht über den Kampf gegen das Virus und äußert beunruhigende Erkenntnis.
- Landrat Oliver Quilling will das Gesundheitsamt entlasten
- 1 500 Kontaktpersonen im Kreis Offenbach in häuslicher Quarantäne
- Zweite Ansteckung mit dem Coronavirus möglich
Offenbach – Um das Gesundheitsamt zu entlasten, hat Landrat Oliver Quilling (CDU) die Fragen unserer Redaktion kurzerhand zur Chefsache erklärt: Im Interview berichtet er in seiner Funktion als Gesundheitsdezernent, wie seine Behörde gegen das Coronavirus ankämpft.
Wie läuft es mit der Kontaktverfolgung?
Die Kontaktverfolgung stellt das Gesundheitsamt vor große Herausforderungen. Einerseits ist die Mitwirkung der positiv Getesteten entscheidend. Andererseits haben diese Personen anders als während des ersten Lockdowns eine Vielzahl an Kontakten. Bei täglich über 100 neuen Fällen ist dies tagesaktuell nicht zu leisten und dauert einfach ein paar Tage.
Wie viele Menschen beschäftigt das Gesundheitsamt, um die Kontakte nachverfolgen zu können?

Über 100 Beschäftigte sind mittlerweile in der Kontaktnachverfolgung. Die Bundeswehr wird uns noch in dieser Woche unterstützen. Außerdem werden Mitarbeiter aus der Landesverwaltung dazu kommen.
Quarantäne für alle Personen, die mit einer positiv getesteten Person im Hausstand leben.
Wie viele Menschen stehen derzeit unter Quarantäne?
Derzeit sind beim Gesundheitsamt rund 1 500 Kontaktpersonen in häuslicher Quarantäne. Seit dem ersten Fall im Kreis, wir sind inzwischen in der 35. Woche, mussten bei uns fast 10.500 Menschen in Quarantäne. Die aktuelle Änderung der Quarantäneverfügung des Landes Hessen kommt uns sehr entgegen. Nunmehr gilt: automatische Quarantäne für alle Personen, die mit einer positiv getesteten Person im Hausstand leben. Dadurch müssen wir nicht mehr jeder einzelnen Person eine eigene Verfügung schicken.
Lassen sich angesichts der hohen Zahlen die Infektionsketten noch lückenlos nachvollziehen?
Nein. Wie auch bereits bundesweit festgestellt, lassen sich die Infektionsketten derzeit nicht immer nachvollziehen.
Wie hoch ist die Quote derer, bei denen sich die Ansteckung nicht mehr zurückverfolgen lässt?
Bundesweit und landesweit liegt die Quote etwa bei 75 Prozent. Letztlich hat dies aber niemand ausgezählt – wir auch nicht. Zu bedenken ist dabei, dass uns gar nicht immer alle Kontaktpersonen, ob bewusst oder unbewusst, genannt werden.
Corona im Kreis Offenbach: Ansteckungen beim Sport?
Nach den Sommerferien waren ja zunächst Reiserückkehrer für einen Großteil der Ansteckungen verantwortlich. Wie ist das nun? Wo stecken sich aktuell die meisten Infizierten an?
Bei privaten Feiern und Veranstaltungen in geschlossenen Räumen haben sich viele infiziert. All diese Infektionsherde hatten auch wir im Kreis Offenbach. Inzwischen ist das Infektionsgeschehen diffus – wie im ganzen Land.
Gibt es auch nachgewiesene Ansteckungen im Sport – also nicht in den Kabinen, sondern bei der Ausübung des Sports selber?
Ob sich Sportler auf dem Sportfeld, am Spielfeldrand oder in der Kabine angesteckt haben, können wir seriös nicht unterscheiden. Vielfach kann schlicht die ursprüngliche Infektionskette von der betroffenen Person selbst gar nicht mehr nachvollzogen werden. Aber es gibt diese Ansteckung im Umfeld von Großveranstaltungen und dazu gehören ebenso Begegnungen beim Sport.
Lässt sich aufgrund der Rückverfolgung eine Aussage über das Ansteckungsrisiko im Freien treffen?
Die Wissenschaft hat erforscht, dass das Ansteckungsrisiko im Freien durch den Windzug gering ist, wenn die Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden. Dafür sprechen auch die niedrigen Zahlen während der Sommermonate.
Corona im Kreis Offenbach: Risikopatienten schützen
Sind Fälle bekannt, wo sich Kinder oder Jugendliche in Kitas und Schulen angesteckt haben?
Wir haben nach Öffnung der Schulen und Kitas in all den Monaten keinen Fall aktenkundig, der weitere Infektionen in diesen Einrichtungen ausgelöst hätte. Insofern nicht auffällig, aber gänzlich auszuschließen ist es nicht.
Was ist die derzeitige Teststrategie des Gesundheitsamtes?
Das Gesundheitsamt des Kreises arbeitet nach der aktuellen Teststrategie des Robert-Koch-Instituts, die seit 14. Oktober gilt und die Testung von symptomatischen Personen priorisiert. Zusätzlich liegt der Schwerpunkt auf dem Schutz der vulnerablen Gruppen, insbesondere den Bewohnern der Alten- und Pflegeheime. In diesen Fällen erfolgt eine Reihentestung von Bewohnern sowie Personal, um weitere Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Sind dem Gesundheitsamt Fälle aus dem Kreis bekannt, wo sich jemand zum wiederholten Male infiziert hat?
Wir stellen inzwischen auch fest, dass sich Menschen ein zweites Mal infizieren, die sogenannten reaktivierten Fälle. Generell ist zu erwarten, wie Berichte aus Spanien zeigen, dass der Virus mutiert.
Das Gespräch führte Niels Britsch