Die Grenze zur Online-Sucht erkennen

Es blinkt, piept und knallt von morgens bis abends. Und nachts. Auf Smartphone, Laptop oder Gaming-PC. Immer mehr Menschen verbringen zahllose Stunden in digitalen Welten. Den Ausgang findet mancher nicht mehr.
Darmstadt-Dieburg – Und in der Pandemie hat vor allem bei Kindern und Jugendlichen der krankhafte Konsum von Medien und Computerspielen stark zugenommen. Kein Wunder, wenn selbst ihre Eltern kaum mehr ohne Smartphone aufs Klo gehen. Knapp fünf Prozent der 12- bis 17-Jährigen werden als mediensüchtig eingestuft, und einer Erhebung der Krankenkasse DAK zufolge gelten über 15 Prozent als sogenannte Risiko-Gamer, die ein riskantes oder pathologisches Spielverhalten im Sinne einer Sucht zeigen.
Alarmierende Zahlen, denen der Caritas-Verband Darmstadt begegnen will. Mit finanzieller Unterstützung durch den Landkreis Darmstadt-Dieburg hat er jetzt eine neue Fachberatung bei Problemen mit Gaming und Medien in Dieburg eröffnet. „Gerade junge Erwachsene sind häufig betroffen. Hier gilt es, frühzeitig Unterstützungsangebote zu machen, um das immer weitere Abrutschen in die Sucht zu verhindern“, sagt die Sozial- und Jugenddezernentin des Landkreises, Christel Sprößler (SPD).
In der Tat: Wer online- oder spielsüchtig ist, braucht professionelle Unterstützung. Das neue Beratungsangebot richtet sich an Menschen, „die einen riskanten Medienkonsum betreiben und dadurch negative Folgen erfahren“. Ruth Rothkegel, Leiterin der Fachambulanz für Suchtkranke in Dieburg: „Das können Probleme am Arbeitsplatz oder in der Schule sein, Konflikte in sozialen Beziehungen mit der Familie oder dem Freundeskreis. Betroffene vernachlässigen ihre Hobbys abseits des Computers, ziehen sich sozial zurück und haben Schwierigkeiten bei der Gestaltung des Alltags.“ Mit ihrer Kollegin Andrea Wiechert, Leiterin des Suchthilfezentrums Darmstadt, bietet Rothkegel die Fachstelle für Gaming und Medienprobleme. Das kostenlose Beratungsangebot können alle Menschen aus den 23 Kommunen des Landkreises nutzen.
Nicht nur Spiele, auch soziale Medien haben hohes Suchtpotenzial. Dabei sind sie per se nichts Schlechtes, darin sind sich Experten einig. Im Gegenteil: „Soziale Medien bedeuten auch eine Chance“, sagte etwa Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der Deutschen Presseagentur. In der Pubertät gehe es etwa darum, sich von der Familie zu emanzipieren und Rollen auszuprobieren. Dabei könnten soziale Medien helfen.
Doch es gibt Kehrseiten, und wo ist die Grenze zwischen ausgiebiger Nutzung und krankhafter Sucht? Caritas-Expertin Wiechert nennt Anzeichen, die auf einen übermäßigen Medienkonsum hinweisen: „Wenn die Mahlzeiten nur noch vor dem Computer, mit Smartphone oder Tablet eingenommen werden, wenn es zu einem psychischen und körperlichen Unwohlsein kommt, oder wenn das Verlangen mit PC, Smartphone oder Tablet zu spielen, chatten oder shoppen unwiderstehlich ist – dann ist es Zeit, sich individuell beraten zu lassen.“
Caritas-Direktor Winfried Hoffmann ist froh, dass der Verband durch die Unterstützung des Landkreises diese neue Hilfe anbieten kann. „Wie immer gilt es bei einer drohenden Suchterkrankung, so früh wie möglich gegenzusteuern.“
Denn die Folgen von Internetsucht können psychischer und physischer Natur sein: depressive Verstimmungen, Ängste, Essstörungen.
Der Sozialarbeiter Sebastian Haberkorn ist einer der Caritas-Mitarbeiter aus dem Medienteam, das das Beratungsangebot durchführt. Er plant, nach den Sommerferien mit einer Kollegin das Gruppenangebot „The Quest“, ein Programm zum selbstkontrollierten PC-/Internetkonsum, im Landkreis, anzubieten.
Zunächst gehe es aber darum, über das Angebot zu informieren, es bekannt zu machen und vor allem, Betroffene dazu zu ermuntern, es anzunehmen. Auch die Vernetzung mit anderen Hilfen im medizinischen und sozialen Bereich soll dabei helfen.
Die Beratung bietet Einzel- und Familiengespräche an. Ziele der Behandlung sind immer, die Online-Nutzung zu reduzieren und die Kontrolle über das Internetverhalten wiederzugewinnen. „Zeitmanagement und das Erlernen von Bewältigungsstrategien“, heißt das im Fachjargon. Auch Angehörige und Freunde können sich Unterstützung und Beratung holen, wenn die Situation für sie sehr belastend ist.
Infos und Internet
Fachambulanz für Suchtkranke im Caritashaus, Weißturmstraße 29, Dieburg, z 06071 986622,
sucht@caritas-dieburg.de
Suchthilfezentrum Darmstadt, Wilhelm-Glässing-Straße 15-17, Darmstadt, z 06151 5002840, sucht@caritas-darmstadt.de
» caritas-darmstadt.de
