Ein Ort voller Leben: Offenbacher Friedhöfe als grüne Oase und sozialer Treffpunkt

Allerheiligen steht vor der Tür. Zahlreiche Menschen besuchen an dem Feiertag die Gräber ihrer Angehörigen. Experten verraten, wie sich Friedhöfe im Laufe der Zeit verändert haben.
Offenbach – Der Weg führt vorbei an liebevoll gepflegten Beeten und mit Tau befeuchteten Grabsteinen hin zu einem Hügel, der von massiven Steinplatten gesäumt wird. Inmitten dieses sandigen Hügels steht eine Skulptur in Form eines Bootes, aus dem Wasser auf ein Steinbett plätschert. Ringsherum wachsen zahlreiche Gräser, an der Seite lädt ein Strandkorb zum Verweilen ein. Die Anlage erinnert an eine idyllische Nordseelandschaft, tatsächlich befindet sie sich aber gegenüber der Trauerhalle auf dem Neuen Friedhof in Offenbach-Waldheim und ist ein „Memoriam“-Garten – ein durch Gärtner betreutes Gräberfeld, das knapp 1 500 Quadratmeter misst. Auf diesem Feld werden Verstorbene allein, zu zweit oder auch als Familie beigesetzt.
Die Nachfrage an Bestattungen in diesen „Memoriam“-Gräbern nimmt zu, wie Stefan Friedel erzählt. „Dort kann man nur beigesetzt werden, wenn man einen dazugehörigen Pflegevertrag abschließt“, sagt der Geschäftsführer der Treuhandstelle für Dauergrabpflege Hessen-Thüringen. „Die Grabstelle wird dann für die Dauer der Liegezeit von einer oder mehreren Gärtnereien gepflegt.“ Dies entlaste die Hinterbliebenen. Für den mittlerweile zweiten „Memoriam“-Garten auf dem Neuen Friedhof übernimmt das die eigens dafür gegründete Arbeitsgemeinschaft „Memoriam-Garten Offenbach“, bestehend aus Steinmetzbetrieben und Gärtnereien.
Friedhof im Offenbacher Stadtteil Rumpenheim: 2017 vierte betreute Grabanlage eröffnet
Auf dem Friedhof im Offenbacher Stadtteil Rumpenheim wurde aufgrund der hohen Nachfrage im November 2017 bereits die vierte betreute Grabanlage eröffnet, im Mai 2020 wurde sie auf die Nachbarfläche erweitert. „Da spürt man, wie sich die sozialen Strukturen verändert haben. Die Leute wollen heute mobil bleiben und nicht durch Verpflichtungen an einen Ort gebunden sein“, erläutert Friedel.
Eine Entwicklung, die auch Franziska Bleyl-Krüger beobachtet. Die Floristin arbeitet im Blumenhaus Dagmar Karl in Offenbach, wo sie sich unter anderem mit der Pflege von Gräbern beschäftigt. Die klassischen Reihengräber mit großen Einzelparzellen werden ihrer Beobachtung nach deutlich weniger. „Bestattungen werden immer anonymer“, sagt sie. Viele Menschen seien zudem bequem geworden und bestückten die Gräber ihrer Angehörigen lieber mit künstlichen Pflanzen oder Steinen, da diese wenig Zuwendung benötigten. Daher sieht Bleyl-Krüger trotz erhöhter Nachfrage nach gärtnerbetreuten Gräbern den Beruf des Friedhofsgärtners gefährdet: „Die Aufträge sind schon rückläufig geworden.“ Sie befürchtet, der Beruf könne gänzlich aussterben.
Alter Friedhof Offenbach: Honigbienen summen durch die Luft
Ein weiterer Faktor, der die Friedhofslandschaft nachhaltig prägt, sind alternative Bestattungsmethoden. Der Trend gehe schon seit Jahren deutlich zur Feuerbestattung, und auch Beisetzungen in Friedwäldern, Baumbestattungen oder Rasengräber werden häufiger, sagt Stefan Friedel. Dadurch entstünden auf den Friedhöfen zuweilen unbelegte Freiflächen.
Diese werden laut dem Geschäftsführer der Treuhandstelle vermehrt von Friedhofsbetreibern genutzt, um unter anderem neue Lebensräume für Tiere zu schaffen –etwa durch das Anbringen von Vogelhäuschen oder Unterkünften für Bienen. „Der Friedhof ist nicht mehr nur Bestattungsfläche, sondern auch ökologische Lunge der Gemeinden“, sagt Friedel.
Auf dem Alten Friedhof im Offenbacher Mathildenviertel summen schon seit 2013 Honigbienen von vier Hobby-Imkern durch die Luft und bevölkern das Gebiet in eigens dafür aufgestellten Stöcken. Auf Initiative der städtischen Friedhofsverwaltung und des Bildungsträgers Starthaus wurden außerdem Wasserstellen für die nützlichen Insekten angelegt. Die Stadtwerke betiteln die Ruhestätte auf ihrer Internetseite sogar als „grüne Oase“.
Sozialer Treffpunkt Friedhof: Führungen finden großen Anklang
Nicht zuletzt wegen dieser naturnahen Umgebung sind Friedhöfe auch zu Treffpunkten für Menschen und zu Orten des sozialen Lebens geworden. „Gerade in großen Städten mit viel Anonymität bietet der Friedhof Menschen nicht nur einen Ort zum Trauern, sondern auch die Möglichkeit zum Austausch“, sagt Stefan Friedel. „Es gibt sogar Friedhöfe mit integrierten Kinderspielplätzen.“
In Dieburg füllt Karin Gottlieb, Stadtführerin vom Heimatverein Dieburg, den städtischen Friedhof mit Leben. Die 72-Jährige führt dort seit September diesen Jahres zu den Grabstätten bedeutender Dieburger. „Jedes Grab hat eine Geschichte, und die möchte ich erzählen“, sagt sie. Die Führungen finden großen Anklang. Am heutigen Samstag lädt Gottlieb schon zum sechsten Mal zu einer Geschichtsexkursion über die Totenstätte ein. Stefan Friedel glaubt, dass sich Friedhöfe auch in Zukunft weiterentwickeln werden: „Friedhöfe müssen sich weiterhin so positiv verändern, damit sie die Menschen erreichen.“ (Jan Lucas Frenger)
Was an Allerheiligen gefeiert wird
Allerheiligen ist ein katholischer Feiertag zu Ehren aller Heiligen. Seinen Ursprung hat der Tag, der jedes Jahr am 1. November begangen wird, im vierten Jahrhundert.
An Allerheiligen verlegen viele Kirchen ihre Gottesdienste auf Friedhöfe, nachmittags finden außerdem Gräbersegnungen durch einen Priester oder Diakon statt. Viele Menschen nutzen an dem Tag die Gelegenheit, die Gräber ihrer Angehörigen zu besuchen und diese traditionell mit Kränzen, Gestecken oder Grablichtern zu schmücken.
In Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Rheinland-Pfalz ist Allerheiligen zudem ein gesetzlicher Feiertag. Darüber hinaus gehört der Festtag zu den stillen Feiertagen, an denen unter anderem laute Musik, Märkte oder Volksfeste untersagt sind.