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Verkehrsbund aus Hessen schafft „Schwarzfahren“ ab: Ist dieser Begriff rassistisch?

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Von: Matthias Lohr

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Unter anderem mit diesem Plakat macht der Nordhessische Verkehrs-Verbund (NVV) darauf aufmerksam, dass man nicht ohne Ticket fahren sollte.
Schwarzfahren ist ein Wort von gestern: Unter anderem mit diesem Plakat macht der NVV darauf aufmerksam, dass man nicht ohne Ticket fahren sollte. © NVV/nh

Nach Verkehrsbetrieben in anderen Städten schafft auch der NVV aus Kassel (Hessen) den Begriff „Schwarzfahren“ ab. Dabei hat das Wort keinen rassistischen Ursprung. Ist der Schritt richtig?

Kassel – Ruth Hunstock weiß, wie diskriminierend der Begriff „Schwarzfahren“ sein kann. Als die Kasselerin klein war, hörte sie in der Straßenbahn oft den Satz: „Ruth fährt heute schwarz.“ Eine Anspielung auf ihre dunkle Hautfarbe. „Für mich hat der Begriff eine sehr negative Assoziation“, sagt Hunstock, die mit ihrer Initiative „Side by Side – Afrodeutsche und Schwarze Menschen Nordhessen“* unter anderem dafür gesorgt hat, dass die Stadt Kassel das N-Wort* ächtet. Nun wird auch der Begriff „Schwarzfahren“ gestrichen.

Bereits im Juli vorigen Jahres entschied der Nordhessische Verkehrs-Verbund (NVV), auf den Begriff zu verzichten. Anders als andere Verkehrsbetriebe wie in Hannover*, Berlin, München und Hamburg kommunizierte der NVV dies jedoch nicht. Erst auf eine Anfrage der HNA bestätigt eine Sprecherin nun den Schritt: „Die gesellschaftliche Debatte um als diskriminierend empfundene Begriffe wie ,Schwarzfahren’ zeigt, dass es wichtig ist, Sprache achtsam einzusetzen.“ Dazu möchte der NVV jetzt beitragen.

NVV schafft Begriff „Schwarzfahren“ ab: Begriff kommt vermutlich aus dem Jiddischen

Bei der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft (KVG) hat man zum Fahrplanwechsel im Dezember sämtliche Informationsmedien erneuert, wie eine Sprecherin mitteilt. Dort heißt es nun „Fahren ohne Fahrkarte“ und „Fahren ohne gültige Fahrkarte“. Im Gebiet des NVV findet man den Begriff „Schwarzfahren“ noch auf Aufklebern in Fahrzeugen. So hieß es etwa: „Wir sehen echt schwarz für Schwarzfahrer.“ Diese Slogans sollen nun nach und nach ersetzt werden. Das wird noch etwas dauern, denn laut der Sprecherin „kann der Austausch nicht während der Fahrt, sondern nur während längerer Standzeiten der Fahrzeuge erfolgen“.

Hunstock lobt den NVV für dessen Offenheit. Für sie ist die Entscheidung „ein weiterer richtiger Schritt in Richtung diskriminierungssensible Sprache“, wie es in einer Mitteilung ihrer Initiative heißt. Dabei ist ihr bewusst, dass der Begriff keinen rassistischen Ursprung hat. Einige Sprachforscher vermuten, dass der Ausdruck vom jiddischen Begriff „shvarts“ („Armut“) kommt. Andere verweisen auf das Rotwelsch, also den Szenesprech gesellschaftlicher Randgruppen, wo „schwärzen“ schmuggeln bedeutete. Aus der Gaunersprache heraus hat sich „schwarz“ demnach als Synonym für „ungesetzlich“ entwickelt.

Auch anderswo wird auf Begriff verzichtet: Polizei spricht von „Erschleichen von Leistungen“

Hunstock weiß das. Trotzdem sagt die Aktivistin, die sich auch dafür einsetzt, dass sich die etwa 90 Mohren-Apotheken* in Deutschland umbenennen: „Sprache entwickelt sich weiter. Heute assoziieren Menschen damit die Hautfarbe. Weiß ist immer positiv und schwarz negativ.“ So gibt es Schwarzarbeit, schwarze Kassen und den Schwarzen Peter.

Auch anderswo verzichtet man auf „Schwarzfahren“. Für die nordhessische Polizei ist der Begriff „zu umgangssprachlich“, wie eine Sprecherin sagt. Stattdessen benutzen die Beamten in Pressemitteilungen die Formulierung „Erschleichen von Leistungen“. So wird das Fahren ohne Ticket im Strafgesetzbuch genannt.

Auch bei der Bundespolizei versichert ein Sprecher auf Anfrage, dass „der in Rede stehende Begriff nicht verwendet wird“. Wer allerdings im Presseportal „Schwarzfahren“ eingibt, erhält gleich mehrere Meldungen der Bundespolizei mit der Vokabel, die eigentlich tabu sein sollte. Der Sprecher kann sich dies nicht erklären. Man werde den Sachverhalt entsprechend prüfen. (Matthias Lohr)*hna.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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