Es sind einfache Wahrheiten, die der hohe Besuch aus dem indischen Exil in der Großarena vor wehenden Vorhängen und unter auf- und abschwellendem Fluglärm in ebenso einfache Sätze packt. Die erste „Lecture“ verspricht zwar schwere Kost: ein Text des indischen Gelehrten Acharya Kamalashila aus dem 9. Jahrhundert über das Wesen der Meditation soll interpretiert werden. Doch das hält den Dalai Lama, der von seinen Anhängern als Mensch angesehen wird, welcher sich entschlossen hat, durch Reinkarnation wieder in das Leben einzutreten, um anderen Wesen dienen zu können, obwohl er als Erleuchteter den Kreislauf der Wiedergeburt hätte verlassen können, nicht von fortschrittlichem Denken ab.
„Es ist wichtig für uns, nicht in den Äußerlichkeiten des Buddhismus hängenzubleiben“, sagt der 74-Jährige und wiegt sich leicht hin und her. Viele Menschen würden „alte Instrumente des Buddhismus“ kritiklos übernehmen, vergäßen aber „die Essenz des Glaubens“, warnt das Idol von der riesigen Bühne und über zwei Großbildleinwände. Der Tibeter mit der altmodischen Brille ruft jeden Anhänger und sogar sein eigenes Volk dazu auf, nicht in alten Traditionen und unreflektierten Ritualen zu verharren, sondern eine gute Ausbildung anzustreben. „Erst das Wissen schafft einen festen Glauben“, sagte der auf einem mehrere Meter hohen, reich mit Ornamenten geschmückten Podest im Lotussitz sitzende 14. Dalai Lama. Erst das tiefe Verständnis, die Anwendung, und der Austausch des Glaubens zwischen den Religionen könne die Menschheit weiterbringen. „Wir Buddhisten leben im 21. Jahrhundert. Also müssen wir uns und unseren Glauben in dieser Zeit positionieren.“
Ob die Warnung vor hohlen Ritualen und der Ruf nach Inhalten bis zur dem rund 80 Mini-Pagoden umfassenden Devotionalienzirkus vor den Toren der Commerzbank-Arena vordringt? Hier kann sich der geneigte Buddhist mit allem versorgen, was den Gang durch die verschiedenen Wesenheiten hin zum Nirwana unbeschwerlicher macht. Preisgünstige Gebetsketten, wahlweise aus Lotussamen (12 Euro) oder Lapislazuli (22 Euro), tibetische Gebetsfahnen zu je 5 Euro, ein Satz Räucherstäbchen Marke „Potala Incense“, bestickte Meditationskissen, oder darf‘s ein „Armband des Mitgefühls“ oder ein „Schutzamulett für Reisende“ sein? Letzteres könnte sich als besonders effektiv erweisen, enthält es doch laut Gebrauchsanweisung „ein besonderes Samenkorn, das vom Staatlichen Orakel gesegnet wurde“. Trotz Kommerz gibt es Grenzen für Begehrlichkeiten: „Pleace dont‘t touch the Face of the Buddha“ warnt ein Schild vor zahlreichen Statuen des im 5. Jahrhundert vor Christi geborenen Erleuchteten namens Siddhartha Gautama. Bis zu 400 Euro auf den Tisch des Hauses - und die Meditation klappt. Ähnliches verspricht eine aufwändige Meditationsstickerei mit dem Abbild der Gottheit Avalokiteshvara.
Tand gehört zu jedem Spektakel, sei es nun ein Formel-1-Rennen, ein Popkonzert oder eine buddhistische Unterweisung. Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit des Publikums erlaubt er nicht. Kevin lebt in einer Gruppe von Mönchen in Italien , stammt aber aus dem englischen Norwich. Der schmale junge Mann mit dem ruhigen Lächeln und den Ledersandalen ist seit vier Jahren Mönch und ungefähr zehn Jahre Anhänger seiner Heiligkeit. „Ich habe im Buddhismus viele Antworten für mein Leben gefunden“, sagt er. Es sei „phantastisch, wie es einem Menschen möglich ist, durch die Weiterentwicklung von Bewusstsein und Gefühl positive Wirkungen hervorzubringen, die jedem, der mit ihm zu tun hat, direkt nutzen“. Der Dalai Lama sei ihm ein Symbol für „totalen Frieden, Toleranz, Humanität und Achtsamkeit“.
Suzanne Liebermann aus Bielefeld , angereist mit modischer Sonnenbrille und buntem T-Shirt, ist das genaue Gegenteil zu Kevin - zumindest äußerlich. Sie bewundert „die unheimliche Präsenz des Dalai Lama“. Der Buddhismus „ist einfach eine Philosophie, die glaubhaft vorgelebt wird und mir zusagt.“ Ihre Freundin Dorothea Heumann aus Göttingen ist schon länger an Bord und meditiert täglich bis zu einer Stunde. Durch den Buddhismus hat sie sogar wieder einen Zugang zum Katholizismus ihres Elternhauses gefunden. „Aber der Dalai Lama ist für mich trotzdem authentischer als der Papst .“ Sie hat sich ein Dauerticket für die vier Tage gekauft. So etwas kostet zwischen 125 und 230 Euro.
Mister Peme, seinen Nachnamen will er nicht in der Zeitung lesen, ist ein zierlicher, gut gekleideter Herr mit Seidenhemd und graumeliertem Bürstenschnitt. Er stammt aus Tibet , lebt aber seit 1979 in der Schweiz. Zunächst, so der 52-Jährige, sei der Dalai Lama selbstverständlich sein politischer Führer und Lehrer. Aber da gebe es noch etwas viel wichtigeres: „Was mir durch den Alltag hilft, ist die Ruhe, das Bemühen unserer Religion, jedem anderen Wesen zu helfen. Und wenn das nicht möglich sein sollte, ihm wenigstens nicht weh zu tun oder zu schaden.“ Ingrid Gerson aus Frankfurt nennt den Dalai Lama „seit über 30 Jahren mein großes Vorbild“. Seine 100-prozentig friedliche Haltung besonders im Tibet-Konflikt sei alternativlos. „Das Ganze ist ja nichts neues. Diese Sachen funktionieren seit 2500 Jahren und bringen die Menschen weiter.“
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ie Auftritte Seiner Heiligkeit, dies zeigt auch der Termin in der Commerzbank Arena, folgen einem klaren und erfolgreichen Prinzip: Sie laufen im Grunde immer gleich ab, wirken aber, als geschähen sie im Augenblick ihrer Darbietung tatsächlich zum ersten Mal und würden sich nie mehr in dieser Form wiederholen. Der Dalai Lama beherrscht sie perfekt, die Kunst, ein Ereignis aufzuführen, das eine Spontaneität atmet, die ohne aufwendiges Proben niemals möglich wäre.
Seine Geschichte mit der Gallenblase ist nur ein Beispiel hierfür. Er sei zwar älter geworden, im Grund aber der Gleiche geblieben, wie beim letzten Besuch, witzelt der „Ozean des Wissens“. Allerdings sei das nur oberflächlich gesehen. „Im Innern aber fehlt mir ein Teil.“ Es handele sich um erwähnte Gallenblase, die ihm entfernt worden sei. „Zwar ist mein Gehirn das gleiche, aber die, die mich kennen, sollen bitte aufpassen, ob bei mir sonst noch alles funktioniert.“ Das ist locker, die Gemeinde lacht, Glauben macht wieder Spaß.