„Spaziergänger“ protestieren in der Region weiter gegen Corona-Maßnahmen

Mehr als zweitausend „Spaziergänger“ demonstrieren in Hessen gegen die Corona-Maßnahmen. Die Polizei hat die Versammlungen genau im Blick.
Offenbach/Neu-Isenburg/Mühlheim – „Frieden, Freiheit, Demokratie“ ruft Timm Junker in sein Megafon. Der Leitende Angestellte in der Veranstaltungsbranche und Stadtverordnete in Neu-Isenburg hat den angemeldeten „Spaziergang“ durch die Stadt organisiert, an dem an diesem Montag rund 150 Personen teilnehmen. Für ihn sei ein friedliches Miteinander in diesen Zeiten nicht mehr gegeben. „Die Geimpften sind die Guten, die Ungeimpften die Bösen“, behauptet Junker, der als Parteiloser für die Grünen im Stadtparlament sitzt. Das verstehe er nicht unter Frieden und Freiheit.
Er protestiere aber auch, da er die Corona-Regeln nicht mehr nachvollziehen könne. Er sehe zum Beispiel keinen Grund, im Freien eine Maske zu tragen. „Die Begründungen für die Maßnahmen reichen mir nicht mehr.“ Studien, die die Regeln rechtfertigen, überzeugten ihn nicht. Er sei aber bereit, gegebenenfalls seine Meinung zu ändern, versichert der Parlamentarier.
Protest gegen Corona-Maßnahmen: „Spaziergänger“ sehen Spaltung der Gesellschaft
Die 2G-Regeln könne Junker einhalten, geimpft ist er aber nicht. Für ihn sei noch nicht bewiesen, dass die Impfungen auch über einen längeren Zeitraum sicher sind. „Außerdem haben sie für mich zu viele Nebenwirkungen.“ Eine Impfpflicht lehnt Junker ab. „Das muss jeder selbst entscheiden dürfen.“
Ein weiterer „Spaziergänger“ ist hingegen doppelt immunisiert. Er wolle seinen Unmut über die Corona-Regeln dennoch äußern, sehe er doch eine Spaltung der Gesellschaft. „Auf der einen Seite sind die Geimpften, auf der anderen die Ungeimpften.“ Er erlebe diese Zweiteilung jeden Tag, da seine Frau nicht immunisiert sei. „Sie hat einfach Sorge vor dem Impfstoff.“ Wenn sie das bei einer Unterhaltung erwähne, weiche ihr Gegenüber gleich zurück, „als sei sie ein anderer Mensch.“ Er hoffe, dass sich beide Seiten wieder annäherten, einander zuhörten. Auch er ist gegen eine Impfpflicht.
„Spaziergänge“ nicht überall erwünscht: Anwohnern stellen sich gegen Corona-Proteste
Die „Spaziergänge“ bleiben allerdings nicht ohne Widerspruch. Eine Gegendemonstration findet zwar nicht statt, doch einige Passanten rufen die Protestierenden auf, sich zu impfen, appellieren an die Solidarität. Auch von Balkonen äußern Anwohner ihren Unmut.
Doch warum untersagt die Stadt die Versammlungen nicht? „Wir müssen das Recht der Versammlungsfreiheit respektieren“, betont Bürgermeister Herbert Hunkel (parteilos). Heißt: Solange die „Spaziergänge“ angemeldet sind und friedlich verlaufen, könne die Stadt sie nicht verbieten.
Mehr als 2500 „Spaziergänger“ in der Region
Rund 2 500 Menschen nahmen am Montag in der Region an „Spaziergängen“ gegen die Corona-Regeln teil, wie das Polizeipräsidium Südosthessen berichtet. In Seligenstadt und Jügesheim trafen sich jeweils 350 Menschen, in Offenbach, Langen, Sprendlingen, Obertshausen und Dietzenbach zählten die Beamten zwischen 80 und 120 Personen.
In Hanau waren 90 Personen unterwegs, in Bad Orb versammelten sich 140 Menschen. Über die Teilnehmerzahl bei den Spaziergängen in Maintal, Nidderau, Bruchköbel, Hammersbach, Gelnhausen, Freigericht, Steinau an der der Straße sind keine Teilnehmerzahlen bekannt. Die größten Kundgebungen im Main-Kinzig-Kreis gab es in Langenselbold mit rund 340 Personen und in Schlüchtern mit mehr als 250 Menschen. jb
Corona-Proteste nicht immer friedlich: „Spaziergänger“ greifen vereinzelnd Beamte an
Das bestätigt auch das Polizeipräsidium Südosthessen. Sprecher Thomas Leipold stellt jedoch klar, dass man die meist über Chatgruppen oder die Sozialen Medien organisierten „Spaziergänge“ genau beobachte. Bisher seien Beamte vereinzelnd angegangen oder beleidigt worden, eine Gefahr für die Bevölkerung bestehe allerdings bislang nicht.
Die Initiative „Die Rechten einsacken“ aus Mühlheim widerspricht diesem Eindruck: „Wir sehen die Szene als die im Moment größte rechtsoffene Bewegung Deutschlands.“ Sie beobachte eine Radikalisierung der Coronaleugner, offenen Antisemitismus sowie eine „Querfront zwischen „Altlinken, Esoterikern, der ,bürgerlichen Mitte‘ und Neonazis“. Daher rief sie bereits am 27. Dezember zu einer Gegendemonstration auf. Für die Mitglieder sei es wichtig, früh und konsequent zu intervenieren und diesen Gruppen klarzumachen, „dass für sie in einer solidarischen Stadtgesellschaft kein Platz sein kann.“ (Joshua Bär)
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In Frankfurt sahen sich die selbsternannten Corona-„Spaziergänger“ zuletzt mit Gegenprotest konfrontiert.