Gewalt gegen Lehrer nimmt zu: Schulen fühlen sich im Stich gelassen

Angriffe auf Lehrer nehmen zu. Frust in Zeiten von Corona, dem Ukraine-Krieg und der hohen Inflation entlädt sich offenbar immer öfter an Schulen.
Gießen – Immer mehr Lehrkräfte sind in ihrem Berufsleben offenbar mit psychischer und physischer Gewalt konfrontiert. Dies legt eine Studie der Justus-Liebig-Universität Gießen unter der Regie von Prof. Britta Bannenberg nahe. Die Kriminologin stellte sie am Mittwoch beim Deutschen Beamtenbund in Frankfurt vor.
Hessische Lehrkräfte sind aufgrund ihres Berufs offenbar in großer Zahl von Gewalt betroffen. Das legt eine Studie der Justus-Liebig-Universität im Auftrag des Deutschen Beamtenbunds (dbb) Hessen nahe. Demnach haben 74 Prozent Beschimpfungen und Beleidigungen erlebt, jeder Fünfte wurde Opfer eines körperlichen Angriffs. Angezeigt aber werden nur die wenigsten Übergriffe.
Studie aus Gießen: Nur ein Bruchteil der Vorfälle taucht in der Polizeistatistik auf
Betrachtet man die Statistik des Bundeskriminalamts, scheint Gewalt gegen Lehrkräfte ein eher kleines Problem zu sein. Dort sind 2021 für Hessen gerade einmal 53 Straftaten verzeichnet. Bei mehr als 60 000 Lehrern und Lehrerinnen, die an Hessens Schulen arbeiten, ist das vergleichsweise wenig.
Doch in die Statistik geht lediglich ein Bruchteil dessen ein, was sich an den Schulen ereignet. »Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasst insgesamt nur rund ein Viertel der Kriminalität«, erklärte dbb-Landesvorsitzender Heini Schmitt, selbst ehemaliger Polizist, am Mittwoch in Frankfurt anlässlich der Vorstellung der Studie »Gewalt gegen Lehrkräfte in Hessen«. Hinzu kommt, dass anscheinend die wenigsten Delikte angezeigt werden. »Bei einer Vorstudie hat sich gezeigt, dass die Anzeigequote bei gerade einmal zwei Prozent liegt«, erläuterte die renommierte Kriminologin Britta Bannenberg von der Universität Gießen. Tatsächlich also gibt die Kriminalstatistik nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit wieder.
Gießen: Gewalt gegen Lehrer kommt nicht nur von Schülern
Ein anderes Bild vermitteln die Ergebnisse der Befragung, die im September und Oktober 2022 unter gut 4000 hessischen Lehrkräften vorgenommen wurde. Von ihnen hatten rund 630 geantwortet (15 Prozent).
Fast jeder Dritte gab an, bereits über das Internet beschimpft oder beleidigt worden zu sein, 44 Prozent der Teilnehmer der Umfrage wurden bedroht, jeder Zehnte angespuckt, 19 Prozent körperlich angegriffen. Häufig richtete sich Gewalt auch gegen Autos, Fahrräder oder anderen Besitz der Lehrkräfte. Die Gewalt gehe größtenteils von Schülern oder Schülerinnen aus, aber auch Eltern oder andere, schulfremde Personen seien Täter oder Täterinnen, berichtete Tim Pfeiffer, Ko-Autor der Studie. Da würden Stühle oder Tische knapp am Lehrerpult vorbeigeworfen, bauten sich Schüler mit geballten Fäusten vor einer Lehrerin auf, werde im Internet gehetzt, prügele eine Gruppe auf dem Nachhauseweg auf einen Lehrer ein, werde ins Gesicht geschlagen oder Pfefferspray versprüht.
Psychische Folgen für ein Drittel der Lehrkräfte
Es seien Vorfälle wie diese, die den Lehrkräften zu schaffen machten, sagte Bannenberg. Aber auch wiederholte oder langanhaltende Beleidigungen und Beschimpfungen setzten den Lehrkräften zu. Ein Drittel habe mit psychischen Folgen zu kämpfen, bei fünf Prozent blieben diese dauerhaft bestehen. Viele reagierten mit Wut und Ärger, Angst und Hilflosigkeit auf die Angriffe.
Und die Gewalt nehme zu, sagte Bannenberg. Corona habe die Situation verschärft, auch der Ukraine-Krieg, Inflation oder wirtschaftliche Nöte erhöhten offenbar den Druck in der Gesellschaft. Der entlade sich immer häufiger in den Schulen.
Die aber fühlten sich oft im Stich gelassen. Gegenüber den Schulämtern herrsche großes Misstrauen, von ihnen erwarte man sich kaum Unterstützung. Deshalb würden dort nur wenige Vorfälle angezeigt, entsprechend groß sei die Dunkelziffer.
Auch die Lehrkräfte selbst wünschten sich mehr Hilfsangebote. Dabei gehe es um Programme zu Gewaltprävention ebenso wie um Fortbildungen oder Deeskalationstraining. Sie wünschten auch den verstärkten Einsatz von Sozialpädagoginnen und -pädagogen oder die Möglichkeit, in »problematischen Klassen« mit einer Doppelbesetzung zu arbeiten. Aber dafür fehle den Schulen meist das Personal. (red)