Wenig pietätvoller Umgang

Ein würdevoller Umgang mit den Toten wird seit der Antike angemahnt. Umso größer ist die Entrüstung, wenn der pietätvolle Umgang nicht gewahrt ist: Leser berichten, dass im Dezember über mehrere Tage auf dem Neuen Friedhof Särge statt in der Kühlung im Freien gelagert wurden.
Offenbach – Bilder belegen, dass mehrere Särge – teils aufeinandergelagert – im Freien vor dem Krematorium aufgestellt wurden. Nach einigen Tagen, so berichten Leser, die nicht namentlich genannt werden möchten, ist dann ein Sichtschutz mit Stadtwerke-Werbung vor den Särgen montiert worden. Wirklich verhüllt hat dieser jedoch nicht: Auf Fotos, die der Redaktion vorliegen, sind die aufeinandergelagerten Särge deutlich hinter dem Sichtschutz zu erkennen.
Die für den Friedhof zuständigen Stadtwerke räumen den Vorgang unumwunden ein: Aus mehreren Gründen mussten im Dezember, als es die niedrigen Temperaturen erlaubten, Särge auf dem Krematoriumsgelände abgestellt werden.
Gleich mehrere unglückliche Umstände seien zusammengekommen, sagt Stadtwerke-Sprecherin Sigrid Aldehoff. „Im November und Dezember gab es deutschlandweit eine sogenannte Übersterblichkeit, die auch die Krematorien im Rhein-Main-Gebiet vor große Herausforderungen stellte“, sagt sie. Dazu habe es einen hohen Krankenstand gegeben und, bedingt durch die nahenden Feiertage, hätten die Standesämter Dokumente wie Sterbeurkunden erst mit Verspätung geliefert. Doch nur wenn Sterbeurkunde und weitere Dokumente vorliegen, darf ein Verstorbener eingeäschert werden. „So kam es zu der Situation, dass es auf dem Neuen Friedhof zwar Kapazitäten gegeben hätte, aber unter den enggestellten Särgen nicht genügend waren, die mit vollständigen Formularen zur Einäscherung freigegeben waren“, sagt Aldehoff.
Erschwerend sei hinzugekommen, dass es Platzmangel für die vorgeschriebene zweite Leichenschau gegeben hätte: Per Gesetz ist festgelegt, dass kurz vor der Einäscherung eine zweite Leichenschau durch einen Vertreter eines rechtsmedizinischen Instituts erfolgen muss, um eine unnatürliche Todesursache zweifelsfrei ausschließen zu können. In Offenbach wird die zweite Leichenschau, die bis zu vier Stunden dauern kann, in einem Kühlraum durchgeführt.
Damit der Gutachter aber überhaupt Platz für seine Arbeit hat, muss der Kühlraum freigeräumt werden – die dort abgestellten Särge müssen in die beiden anderen Kühlräume geschafft werden. Sind diese voll, steht die Friedhofsverwaltung vor einem Problem: Dann müssen, sofern es die Temperaturen zulassen, die Särge kurzfristig auf dem Gelände gelagert werden. So im Dezember geschehen. „Das war keine Option, die das Krematorium-Team gerne gezogen hat, aber der Situation geschuldet“, sagt Aldehoff.
Die Stadtwerke betonen, dass die Lagerung vor dem Krematorium nur kurzzeitig erfolgt – Leser berichten, dass über mehrere Tage Särge außerhalb der Kühlung abgestellt waren. Auf die Frage der Leser, ob für die Lagerung im Freien etwa auch Gebühren von den Angehörige gefordert werden, heißt es, dass die Kühlung ohnehin nicht in Rechnung gestellt werde.
Die Notlösung, auf die die Friedhofsangestellten zurückgegriffen haben, kann jedoch nur bei entsprechend niedrigen Temperaturen funktionieren und birgt die Gefahr, dass Angehörige wegen des Umgangs mit den Verstorbenen verletzt sind. Mittlerweile seien weitere Raumkapazitäten in den ohnehin zu kleinen Räumlichkeiten der Friedhofsgebäude geschaffen worden, um die geforderte zweite Leichenschau auch während anhaltender hoher Sterblichkeit anbieten zu können.
Sowohl bei der ursprünglich beschlossenen Neubau- wie bei der kürzlich beschlossenen Sanierungsvariante der Gebäude ist der Bau eines weiteren Kühlhauses vorgesehen. Es bleibt zu hoffen, dass dieses in einigen Jahren die Kapazitäten schafft, dass Verstorbene in ihren Särgen nicht mehr – und sei es nur kurz – im Freien gelagert werden müssen. (von Frank Sommer)