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Aufgeben ist keine Option

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Von: Veronika Schade

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Sylvio, Hazel und Sara Thunnok
Bild aus glücklichen Tagen: Sylvio, Hazel und Sara Thunnok © Privat

Wie eine Offenbacher Familie gegen den Gehirntumor des Vaters kämpft

Offenbach – Wenn das Schicksal mit Wucht zuschlägt und das Leben auf links dreht, ist das ein Grund zum Verzweifeln. Zum Weinen und Hadern. Aber auch zum Kämpfen, zum Entdecken ungeahnter Kräfte. Doch niemals zum Aufgeben. So geht es gerade Sylvio Thunnok und seiner Familie. Der 56-Jährige hat einen hoch aggressiven, nicht operablen Hirntumor. Die Ärzte geben ihm sechs bis acht Monate Lebenszeit. Nun setzt die Familie ihre Hoffnung auf eine recht neuartige, von Krankenkassen nicht erstattete Behandlungsform: dendritische Zelltherapie.

Alles beginnt im vergangenen September mit leichten neurologischen Symptomen. Sylvio merkt, dass seine linke Körperhälfte ihm nicht gehorcht, er verliert das Gleichgewicht, hat Probleme mit der Feinmotorik, das Sprechen fällt ihm schwer. Und er ist extrem müde. Völlig ungewohnt für den Mann, der „nie krank war“, wie seine Frau Hazel Tahir erzählt. Er führte ein gesundes, aktives Leben, liebte es, im Garten zu werkeln und zu reisen, war beruflich erfolgreich in der Flugplanung bei der Lufthansa. In Singapur lernten er und die Malaysierin sich kennen und lieben, bekamen Tochter Sara, die nun 15 Jahre alt ist. Seit 2011 lebt die Familie im Baugebiet An den Eichen.

Erste Arztbesuche ergeben nur Verdachtsdiagnosen, erst Zahninfektion, dann Schlaganfall. Auf einen Termin beim Radiologen müssten sie bis Mitte November warten. „Man riet uns, ihn zur Notaufnahme zu bringen, das gehe schneller.“ Per CT stellen Ärzte eine Gewebeveränderung im Gehirn fest. Biopsie und MRT müssen gemacht werden, Thunnok bleibt eine Woche im Klinikum.

Es folgen fünf bange Wochen Warten, die mit der schlimmsten aller Diagnosen enden: ein bösartiger Gehirntumor, ein Glioblastom Grad IV. Nicht operabel, da zu nah am zentralen Nervensystem. „Für uns brach eine Welt zusammen. Man kann die Gefühle nicht in Worte fassen, ist völlig verloren“, sagt Hazel, der 2020 ein gutartiger Hirntumor entfernt worden war. Eigentlich wäre sie noch mit Bestrahlungen dran – doch die müssen warten.

Für Sylvio beginnt im Dezember die konventionelle Krebstherapie, Chemo und Bestrahlungen. 30 Sitzungen, sechs Wochen lang, fünf Tage die Woche. „Er war völlig geschwächt, es ging ihm richtig elend, die Chemotherapie griff seine Leber an“, erzählt die Frau, auf deren zierlichen Schultern alles lastet. Den Haushalt bewältigen, den Schwerkranken pflegen, Organisatorisches von Krankengeld über Arzttermine bis zum Pflegedienst. Ihr Mann hat Pflegestufe 3, sitzt im Rollstuhl. Sein Krankenbett steht im Wohnzimmer. Freunde haben eine Rampe ins Haus gebaut, Nachbarn erledigen Einkäufe, Familienmitglieder reisen von weit her an, um sie zu unterstützen, Kollegen erkundigen sich, machen Mut. „Ich bin allen unendlich dankbar für ihre Hilfe. Ich weiß nicht, was ich ohne sie machen würde“, betont Hazel.

Ihren einst so agilen Mann in diesem Zustand zu sehen, schmerzt sie sehr. Doch die Nebeneffekte der Therapie wären es wert – wenn sie denn geholfen hätte. Aber ein Gehirn-Scan Anfang März zeigt, dass sich drei neue Tumore gebildet haben und die Krebszellen bereits auf die andere Seite des Hirns übergreifen. „Die Ärzte wollen keinen zweiten Durchgang der Chemotherapie, weil das seine Leber zerstören und seine Lebensqualität weiter verringern würde“, berichtet Hazel. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. „Stattdessen empfehlen sie Palliativbehandlung. Doch das fühlt sich an wie das Ende. Das kann es nicht sein.“

„Warum er?“, ist die Frage, die unbeantwortet bleiben wird. Doch unversucht bleiben soll nichts. Bei ihren Recherchen stößt Hazel auf die dendritische Zelltherapie (dazu Kasten), nimmt Kontakt zu einem Anbieter auf. Kosten: 35 000 Euro. Krankenkassen finanzieren das noch nicht hinreichend erforschte Verfahren nicht.

Doch für die Familie ist es der letzte Strohhalm. Da Sylvio Alleinverdiener war und die Familie finanziell zu kämpfen hat, startet Hazel einen Aufruf übers Internet. Auf der Plattform Gofundme schildert sie das Schicksal ihres Mannes, bittet um Spenden. Nach nur drei Tagen kommt die benötigte Summe zusammen. „Es haben Leute aus der ganzen Welt gespendet.. Wir sind einfach überwältigt.“

Die Blutentnahme zur Kultivierung der dendritischen Zellen ist zuhause erfolgt, die erste Spritze ebenfalls. Einige Monate soll es dauern, bis sich eine Wirkung zeigt. Wöchentlich trifft man sich zu Online-Sitzungen, das Konzept enthält alle Aspekte von Immunverstärkern bis zum Ernährungsplan.

„Man macht uns Mut, dass sich sein Zustand bessern kann. Es gibt Erfolgsgeschichten von Menschen, die seine Diagnose hatten“, sagt Hazel. Ob es Monate sind oder gar Jahre, die sie länger miteinander verbringen können, weiß niemand. „Er hat nicht aufgegeben. Er hält immer noch meine Hand, will, dass wir stark bleiben. Er ist ein Kämpfer.“

Sylvio Thunnok
Völlig entkräftet: Sylvio Thunnoks aktueller Zustand. © Privat

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