Hitzefrei ist in Offenbach ein Auslaufmodell

Offenbach steuert unmittelbar auf die nächste Hitzewelle zu. Schon ab Mitte Juli erwarten Experten wieder Temperaturen jenseits der 30er-Marke, vereinzelt könne das Thermometer sogar an die 40 Grad anzeigen. Prognosen des Deutschen Wetterdienstes zufolge soll insbesondere der Südwesten des ganzen Landes von dauerhaft hohen Temperaturen heimgesucht werden. Früher hätten solche Nachrichten bei Schülerinnen und Schülern mit Sicherheit für großen Jubel gesorgt, gab es bei solchen Temperaturen doch stets Hitzefrei und damit die Möglichkeit, den Nachmittag am Badesee oder im Schwimmbad zu verbringen, anstatt im Klassenzimmer zu schwitzen. Doch wie sieht die Lage heute aus?
Offenbach - Gibt es in Zeiten von Ganztagsschulen überhaupt noch so etwas wie Hitzefrei, und nach welchen Regeln entscheiden die Direktoren, ab wann es zu heiß zum Lernen ist?
„Der schulische Umgang mit großer Hitze ist seit 2021 durch den Erlass des Hessischen Kultusministeriums geregelt“, erklärt Susanne Meissner, Leiterin des Schulamts Offenbach, die Lage. Demnach kann an Tagen, an denen der Unterricht aufgrund hoher Temperaturen im Gebäude beeinträchtigt wird, jetzt mit einer ganzen Reihe an Maßnahmen reagiert werden. Diese umfassen neben alternativen Unterrichtsformen an anderen Lernorten den Verzicht auf Hausaufgaben und verkürzte Stunden, allerdings auch noch die Beendigung des Unterrichts nach der fünften Stunde, also das klassische Hitzefrei.
„Der Erlass sieht vor, dass sich die Schulleitungen benachbarter Schulen untereinander abstimmen – letzten Endes liegt es in ihrem Ermessen, ob Unterricht aufgrund von Hitze entfällt oder nicht“, sagt Meissner. Hierbei greifen die Regeln für die sogenannte Arbeitsstätten-Raumtemperatur (ASR). Sie geben vor, ab wann ein Raum nicht mehr geeignet ist, um darin zu arbeiten. Demnach darf die Lufttemperatur 26 Grad nicht überschreiten, ohne dass entsprechende Maßnahmen angewendet werden.
Für die Schulen bedeutet das also im Zweifelsfall: von Raum zu Raum gehen und mittels Thermometer die Temperatur im Auge behalten. „Wir fokussieren uns dabei in der Regel auf die beiden Räume, in denen es hier bei uns im Sommer am wärmsten wird“, erläutert der Leiter der Albert-Schweitzer-Schule (ASS), Sebastian Wasserka, das Vorgehen an dem Gymnasium. „Dann sprechen wir uns mit den umliegenden Schulen ab und entscheiden, ob bis zur Sekundarstufe 1 Unterricht nach der fünften Stunde entfällt.“ Das sei in diesem Jahr bisher nur einmal der Fall gewesen. „Wir gehen aber davon aus, dass wir sowohl in dieser, als auch in der nächsten Woche, erneut Unterricht ausfallen lassen müssen“, blickt Wasserka der nahenden Hitzewelle entgegen. Andere Maßnahmen, wie etwa Unterricht im Freien, eigneten sich für die ASS aufgrund der hohen Anzahl an Schülern (knapp 1 350) hingegen weniger.
Doch nicht jeder kann sich mit Blick auf die nächsten Wochen auf Hitzefrei freuen. Während die Oberstufen generell von diesen Regelungen ausgenommen sind, gibt es auch immer wieder Kinder und Jugendliche, die nach der fünften Stunde nicht nach Hause gehen dürfen. Der Grund dafür sind Nachmittags- und Ganztagsangebote. Immer mehr Schulen bieten eine entsprechende Betreuung im Anschluss an die Schulstunden an.
„Die Situation ist nicht mehr so, wie noch in den 90er-Jahren, wo in vielen Haushalten stets ein Elternteil zuhause war“, gibt ASS-Schulleiter Wasserka zu bedenken. „Heute gehen bei einem Großteil der Familien beide Elternteile arbeiten – auch in Offenbach.“ Laut Susanne Meissner sei das auch der Grund dafür, dass es heutzutage immer seltener Hitzefrei gibt. „Es kann ja nicht ständig Unterricht ausfallen und die Kinder stehen dann jedes Mal daheim vor verschlossener Tür.“
Doch auch wer von seinen Eltern etwa zur Ganztagsbetreuung angemeldet ist, kann unter gewissen Voraussetzungen dennoch in den Genuss der Hitzefrei-Regelung kommen. „Am Anfang jedes Schuljahres können Eltern ihr Einverständnis dafür geben, dass ihr Kind nach der fünften Stunde gehen darf – wer diesen Zettel jedoch nicht vorzeigen kann, muss bleiben“, sagt Schulleiter Wasserka. Dann aber nicht im stickigen Klassenraum, sondern draußen auf dem Schulhof.
Von Jan Lucas Frenger