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Biebers erster Verein: Nach 180 Jahren löst sich der Gesangverein Frohsinn auf

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Von: Veronika Schade

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Eine historische Aufnahme des Männergesangvereins Frohsinn aus dem Jahr 1894.
Eine historische Aufnahme des Männergesangvereins Frohsinn aus dem Jahr 1894. © P

Eigentlich ist es ein Jubiläum, das gebührend gefeiert gehört: Am 14. Juni 1842, vor 180 Jahren, wurde der Gesangverein Frohsinn als erster Bieberer Verein gegründet, wurde zum Wegbereiter des lokalen Vereinslebens und einer Art Kulturgut. Doch statt einer Feier steht ein Abschied an. Einer, der das Bieberer Vereinsleben für immer verändern wird. Es ist Schluss mit Frohsinn, der Verein hat sich aufgelöst.

Offenbach – Eine Entscheidung, die dem Vorstand alles andere als leicht gefallen ist. Die aber eine logische Konsequenz der Entwicklung der letzten Jahre gewesen ist. „Wir hatten immer weniger Sängerinnen und Sänger“, sagt Vorstands- und Ehrenmitglied Hubert Wiljotti. Vor Corona waren es rund 16 Aktive, zuletzt nur noch vier. „Das war letztlich der Todesstoß.“

Dass Proben unter erschwerten Bedingungen stattfinden mussten oder zeitweise ganz unmöglich waren, war für viele ein Grund, mit dem Singen aufzuhören. Schon seit Jahren hatten sich die Sängerreihen gelichtet. „Der Altersdurchschnitt lag bei über 80 Jahren. Das brachte viel natürlichen Abgang mit sich“, bedauert Wiljotti. Dabei hatte der Vorstand früh die Zeichen der Zeit erkannt und sich mächtig ins Zeug gelegt, um neue Mitglieder zu gewinnen.

Die Vorstandsmitglieder Petra Zahn und Hubert Wiljotti zeigen die Fest-Zeitung von 1902 und die Zelterplakette.
Die Vorstandsmitglieder Petra Zahn und Hubert Wiljotti zeigen die Fest-Zeitung von 1902 und die Zelterplakette. © Schade

Projektchöre mit frischer Musikauswahl sollten Neuen das Chor-Singen schmackhaft machen. Zusätzlich wurden Flyer in den Neubaugebieten An den Eichen und Bieber-Nord verteilt. „Leider völlig ohne Resonanz“, berichtet die Vorsitzende Petra Zahn. Der Zeitgeschmack habe sich verändert, stellt sie fest. „Wobei wir längst neben der klassischen Literatur auch moderne Sachen gesungen haben, auch viel auf Englisch.“ Dass neue Leute fehlten, liege auch daran, dass immer weniger Menschen bereit seien, sich an einen Verein zu binden und damit auch eine gewisse Verantwortung einzugehen. „Da geht es anderen Vereinen ähnlich.“

Zudem habe es kaum noch passive, fördernde Mitglieder gegeben – auch die seien mit der Zeit weggestorben. „Da konnten wir zum Glück gut gegenwirken, hatten tolle gewerbliche Sponsoren“, ist Wiljotti dankbar. Am Geld habe die Entscheidung, aufzuhören, also nicht gelegen, obwohl der Proberaum in der TVB-Halle und die Dirigentin weiterhin bezahlt werden mussten – was sich mit einer Handvoll Sängern kaum lohne. „Letzten Endes lag es aber daran, dass wir mit so wenigen Leuten einfach nicht mehr singfähig sind. Es muss ja auch einen Klang haben.“

Einen hohen Anspruch an sich selbst – obwohl er ein reiner Laienchor war – hatte Frohsinn immer. Man legte Wert auf gute Dirigenten, scheute sich nicht vor anspruchsvollen Werken wie „Missa Breve“ von Charles Gounod, das vor fünf Jahren anlässlich der 175-Jahr-Feier mit befreundeten Vereinen in der katholischen Kirche aufgeführt wurde. Ebenfalls in bester Erinnerung ist für Teilnehmer und Publikum die Feierlichkeit im Jahr 2002 zum 160. Jubiläum, als gemeinsam mit anderen Bieberer Vereinen wie dem Musikverein Eintracht ein abwechslungsreiches Konzert gegeben wurde.

Noch gut besetzt und in Feierstimmung: Der Chor im Jubiläumsjahr 2017.
Noch gut besetzt und in Feierstimmung: Der Chor im Jubiläumsjahr 2017. © P

Ein unvergessliches Erlebnis bleibt für Wiljotti und so manch älteren Bieberer die achtstimmige Darbietung von „Gnädig und barmherzig ist der Herr“ und einem Potpourri der „Fledermaus“ von Johann Strauss anlässlich der Feier zum 125-jährigen Vereinsbestehen im Jahr 1967. „Das Fest ging vier Tage lang“, erinnert sich seine Frau Christa, die ebenfalls langjähriges Chormitglied ist. „Ganz Bieber war auf den Beinen.“ Damals hatte Frohsinn – noch ein reiner Männergesangverein – unter dem verdienstvollen Vorsitzenden Willy Weisenbach und dem Dirigenten Robert Pappert stolze 100 Mitglieder. Dazu kam der Kinderchor, in dem bis zu 80 Kinder mitsangen. „Wir traten in unserer Chorkleidung im Kaufhof auf, der hatte damals noch ein Restaurant auf, bekamen zur Belohnung etwas Süßes“, erinnert sich Petra Zahn, die sozusagen in den Verein hineingeboren wurde.

Ganz für Frauen geöffnet hat Frohsinn sich aber erst 1994, als der erste gemischte Chor gegründet wurde. Auch das war ein Bekenntnis zum Zeitenwandel, und zwar ein sehr erfolgreiches. „Es sangen mehr als 20 Frauen mit, das gab uns großen Auftrieb und verhalf zu neuer Blüte“, blickt Wiljotti zurück. Treibende Kraft für diesen Schritt war der Dirigent Friedbert Bott, der den Chor 13 Jahre lang erfolgreich leitete. Seine Nachfolgerin wurde Andrea Hermes-Neumann, die „bis in die üblen Zeiten der Corona-Pandemie den Chor mit großem Engagement führte“, wie er anerkennend sagt. Einen Einschnitt in der Geschichte des Vereins bedeutete auch der plötzliche Tod des langjährigen Vorsitzenden Udo Mai im Jahr 2019.

In Bieber wird Frohsinn fehlen. Kaum ein Fest, kaum eine Aktivität war denkbar ohne den rührigen Verein, der mit seinem jährlichen Martiniball eigene Akzente setzte im Vereinskalender. Die Auftritte, die fröhlich-festliche Stimmung und die große Tombola zogen stets Publikum an. „Die Leute sagten immer, wie toll sie finden, was wir machen. Doch mitmachen wollte letztendlich keiner“, sagt Christa Wiljotti traurig. Er fällt ihr und den anderen schwer, jetzt loszulassen. Das Vereinsleben mit seinen Reisen, Konzerten, den entstandenen Freundschaften – es wird fehlen. „Wir treffen uns weiterhin am ersten Montag jeden Monats zum Stammtisch im Wiener Hof“, sagt Petra Zahn. Ein Gedanke, der tröstet. Wie diese Verse, die der Verein zum Abschied formuliert, angelehnt an das Buch Kohelet: „Es gibt eine Zeit zum Singen, und es gibt eine Zeit zum Erinnern.“ Die beginnt jetzt... (Von Veronika Schade)

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