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Boxclub Offenbach bietet Jiu-Jitsu für Menschen mit Beeinträchtigung an

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Von: Frank Sommer

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Weltklasse trotz Handicap: Jiu-Jitsu-Trainer Yakup Mutlu und Wolfgang Malik im Boxclub Offenbach.
Weltklasse trotz Handicap: Jiu-Jitsu-Trainer Yakup Mutlu und Wolfgang Malik im Boxclub Offenbach. © Sommer

Der Boxclub Offenbach ist für sein Sozial- und Präventivprogramms bekannt, es gibt sogar auch ein Jiu-Jitsu-Programm für Beeinträchtigte.

Offenbach - Es handelt sich um eine besondere Form des Kampfsports, die am Boden ausgeübt wird. Damit bietet sie Menschen mit Gehbehinderung die Möglichkeit, sie auszuüben. So auch Mutlu, der seit dem Ausbruch einer tückischen Krankheit 2016 im Rollstuhl sitzt.

„Brazilian Jiu-Jitsu hat mir den Lebensmut wiedergegeben“, sagt der 43-Jährige. Seit er zehn Jahre alt war, hatte Mutlu verschiedene Kampfsportarten trainiert und an Wettkämpfen teilgenommen, in Langen etwa war er Gründer der Jiu-Jitsu-Abteilung des dortigen Judo-Vereins. Der Ausbruch der Krankheit und das Angewiesensein auf den Rollstuhl war ein gewaltiger Einschnitt im Leben des Sportlers und Physiotherapeuten. „Aber ich habe wieder angefangen zu trainieren, und das gab mir den Lebensmut zurück.“

Jiu-Jitsu für Beeinträchtigte in Offenbach: „Es gibt halt erst einmal Berührungsängste“

Was ihm geholfen hat, will er anderen zeigen und so etwas zurückgeben: Er fragte bei Boxclub-Geschäftsführer und Trainer Bernd Hackfort an, ob er dort mal Brazilian Jiu-Jitsu vorstellen dürfte. „Am Anfang zeigten sich die typischen Hemmschwellen im Umgang mit Menschen mit Behinderung“, erinnert sich Boxclub-Präsident Wolfgang Malik.

„Die jungen Sportler wussten erst einmal nichts, mit mir anzufangen, haben etwas skeptisch geschaut“, sagt Mutlu. Doch das habe sich dann gegeben. „Es gibt halt erst einmal Berührungsängste.“ Einige hätten Angst, ihm weh zu tun, wenn man miteinander trainiert, sagt Malik. Doch Mutlu winkt ab: „Wenn es mir weh tut, sage ich es schon, da braucht keiner Angst zu haben.“ Spätestens im Training, wenn Mutlu zeigt, dass man sich auch am Boden sehr effektiv gegen Angriffe verteidigen und den Gegner schneller als gedacht mit dem Rücken auf die Matte pressen kann, fallen die Hemmungen, und es wird offenkundig, dass Samthandschuhe fehl am Platz sind.

Offenbach: „Ob klein, groß, mit oder ohne Handicap – das spielt beim Brazilian Jiu-Jitsu keine Rolle“

Das Verhalten korrespondiert mit den Erfahrungen des Boxprojekts aus dessen Anfangszeit: Damals hatten Besucher zunächst Bedenken, ob denn Boxen für Jugendliche aus sozialen Brennpunkten ein passendes Projekt wäre – der Erfolg ließ alle Bedenken verstummen.

„Dass wir ein inklusives Projekt für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung anbieten, ist folgerichtig“, sagt Malik. Zumal das Thema Behinderung in einigen Familien immer noch schambesetzt sei – umso wichtiger sei es daher, Vorbilder wie Mutlu zu haben. „Ob klein, groß, mit oder ohne Handicap – das spielt beim Brazilian Jiu-Jitsu keine Rolle“, sagt der Trainer. Und im Leben, so Malik, sollte es ebenfalls keine spielen, dafür stehe das Projekt. „Das ist gelebte Inklusion, was wir anbieten.“

Jiu-Jitsu für Beeinträchtige in Offenbach: Das Angebot in Deutschland ist überschaubar

Noch sei die Zahl inklusiver Angebote in Deutschland überschaubar, sagt Mutlu. Durch seine Wettkämpfe in anderen Teilen der Welt weiß er, dass etwa in Brasilien oder den Vereinigten Staaten mehr angeboten werde. „In Europa ist noch einiges an Luft nach oben“, sagt er. Auch Malik bestätigt, dass, wenn es um Behindertensport geht, eher an Leistungssport wie die Paralympics gedacht werde, weniger in Richtung Breitensport.

Mit dem Training im Boxclub soll ein wenig dafür getan werden, dass sich das ändert. Zumal die Philosophie hinter der fernöstlichen Kampfkunst, die auf Respekt und Disziplin aufbaut, mit den Tugenden übereinstimmt, die im Boxclub den Jugendlichen vermittelt werden: Gegenseitiger Respekt, Fleiß und Disziplin führen zu sportlichem Erfolg, einem Schulabschluss oder einer erfolgreichen Ausbildung.

Offenbach bietet Jiu-Jitsu für Beeinträchtigte an: Der Club findet neues zu Hause

Doch aktuell, das räumt Mutlu offen ein, brauche es schon sehr viel Begeisterung, um an seinem Training dienstags und freitags teilzunehmen: Bekanntlich wurde die bisherige Trainingshalle abgerissen, und das Gebäude, in dem künftig der Club sein Zuhause findet, wird erst neu errichtet.

Trainiert wird übergangsweise in einem Zelt auf dem Gelände. „Da wir am Boden trainieren, ist es schon kalt – sich aufwärmen ist doppelt Pflicht“, sagt Mutlu. Dazu kamen die Corona-Auflagen der vergangenen Monate. Wenn aber im Sommer die neue Halle bezogen wird, will der Boxclub sein inklusives Angebot größer bewerben. Auch Wettkämpfe sind dann geplant. (Frank Sommer)

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