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Defizite in der Prävention

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Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, diskutierte Leitung von Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn mit dem Vorsitzenden des islamischen Hochschulbeirats der Frankfurter Goethe-Universität, Hanif Aroji (von links).
Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, diskutierte Leitung von Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn mit dem Vorsitzenden des islamischen Hochschulbeirats der Frankfurter Goethe-Universität, Hanif Aroji (von links). © Richter

Offenbach - Sie stecken mitunter noch  in der  Pubertät,  erfahren an Stelle von Erfolgserlebnissen familiäre Brüche und werden zu willfährigen Opfern von Extremisten, die ihre Orientierungskrise ausnutzen, um sie für einen vermeintlich „heiligen Krieg gegen alles Ungläubige“ anzuwerben. Von Harald H. Richter

Religiöser Fanatismus und Salafismus finden Zulauf unter Jugendlichen in Deutschland – auch im Rhein-Main-Gebiet. Für Offenbachs Grüne Anlass, sich mit dem Thema zu befassen und der Frage nachzugehen, wie Jugendliche vor Radikalisierung und Salafismus geschützt werden können. Bei einem von MdB Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn moderierten Podiumsgespräch diskutieren die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic aus Gelsenkirchen und Hakan Çelik, Pädagogischer Mitarbeiter der hessischen Beratungsstelle des Violence Prevention Networks. Ebenfalls in der Runde der Vorsitzende der islamischen Hochschulgemeinde an der Goethe-Universität, Hanif Aroji.

Es seien Teenager, die sich teilweise schon mit 14 Jahren einreden ließen, sie könnten durch Gehorsamkeit Teil einer großen Sache und einer Gemeinschaft von Gläubigen werden, egal was ihnen bisher im Leben widerfahren sei. „90 Prozent dieser abgleitenden Jugendlichen fehlt eine Vaterfigur“, berichtet Hakan Çelik aus seiner Arbeit mit Betroffenen. „Viele sind Scheidungskinder auf der Suche nach einer Ersatzfamilie.“ Hehre Worte machten sie anfällig für falsche Versprechungen von Leuten, die sie zum Kampf in Syrien oder im Irak überreden wollten. Das Anwerben funktioniere auf offener Straße ebenso wie im Internet, „und zwar in der Sprache, die von den Jugendlichen verstanden wird: auf Deutsch.“

„Teilweise ausgegrenzt oder in der Schule gemobbt“

Eine Einschätzung, die Hanif Aroji teilt. „Teilweise ausgegrenzt oder in der Schule gemobbt, lassen Jugendliche sich von salafistischen Bauernfängern blenden.“ Ihnen werde ein Weltbild vermittelt, das ihnen Anerkennung verheiße und Geborgenheit biete. Die Brüche in der eigenen Biografie würden schnell ausgeblendet beziehungsweise übertüncht, oppositionelles Verhalten vermeintlich als persönliche Stärke begriffen. „Wenn ein Zwölfjähriger der Lehrerin nicht mehr die Hand gibt, weil er sie für eine Ungläubige hält, sollte die Schule aber nicht gleich nach der Polizei rufen, sondern probatere Mittel der Konfliktbewältigung wählen“, rät Çelik und plädiert für eine deutliche Stärkung der Schulsozialarbeit. Pädagogisch geschulte Mitarbeiter sollten als Mediatoren auch in Familien tätig werden, ebenso in Jugendzentren und anderen Einrichtungen. „Mehr Prävention ist nötig. Die muss man sich aber auch einiges kosten lassen.“ Eine Einschätzung, die bei Irene Mihalic auf Zustimmung trifft.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete ist von Beruf Polizistin und war vor Jahren mit einem Kollegen Darstellerin in einer Real-Life-Fernsehserie über den Polizeialltag. Mihalic sieht in der zunehmenden islamistisch fundamentierten Radikalisierung von Jugendlichen eine der größten Herausforderungen für die Gesellschaft. „Ihr müssen wir auf drei Handlungsebenen begegnen – Repression, Intervention und Prävention.“ Auf den ersten beiden Gebieten sei der Staat ordentlich aufgestellt. „Wir brauchen keine Strafverschärfung, denn die vorhandenen Mittel sind absolut tauglich. Und auch in der Gefahrenabwehr ist unser Land gewappnet.“ Wohl aber müsse die Vorbeugung auf eine wesentlich breitere Basis gestellt werden. Diesbezügliche Anstrengungen etwa in Nordrhein-Westfalen oder auch in Hessen seien ein Anfang.

Protest gegen Salafisten

Der Beratungsstelle von Violence Prevention Network attestiert sie gute Arbeit. Ein Bündel aus Maßnahmen der Prävention, Intervention und Deradikalisierung als Antwort auf die allgemeine Hilflosigkeit im Umgang mit religiös begründetem Extremismus steht dort Jugendlichen, Eltern und Fachpersonal im Themenfeld Extremismus bereit. Çelik verweist darauf, dass Angehörige sich in Krisensituationen auch an die Hotline (s 069 26918597) der Beratungsstelle Radikalisierung wenden können: „Und zwar beizeiten, es kann nicht früh genug sein.“

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