„Den Wandel mutig mitgestalten“

Offenbach – Die Offenbacher Grünen machen die Hütte voll. Ob der prominente Schwabe aus Berlin, die traditionelle grüne Suppe oder der Durst nach politischen Inhalten so viele auf den Bieberer Berg gelockt hat, lässt sich nicht genau feststellen. Wenn die Bündnisgrünen den Zuspruch beim Neujahrsempfang aber als Gradmesser für künftige Wahlen betrachten, dürften sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge in die Zukunft schauen.
Lachend, weil der Offenbacher Bub Tarek Al-Wazir Landesvater werden will und sich im Dreikampf mit Boris Rhein (CDU) und Nancy Faeser (SPD) gute Chancen ausrechnet. Und weinend, weil sich die Offenbacher Grünen womöglich denken: Hätten wir bei diesem Zuspruch vielleicht doch unseren Hut bei der Oberbürgermeisterwahl in den Ring werfen sollen? Das ist aber Spekulation.
Fakt ist, dass nicht alle der 300 Gäste in den VIP-Räumen des Stadions – unter ihnen Vertreter aus der Stadtgesellschaft, von Unternehmen und Vereinen, Parteifreunde sowie politische Kontrahenten – einen Sitzplatz ergattern. Durch den Abend mit prominentem Rednertrio und anschließendem Suppenschmaus führt die Kreisverbandssprecherin der Offenbacher Grünen. „So viel Besuch aus Frankfurt hat das Kickers-Stadion selten“, stellt Fanny Sackis sichtlich erfreut fest und überlässt Sabine Groß die Bühne.
„Die Klimakrise stellt uns vor große Herausforderungen“, konstatiert Offenbachs Bürgermeisterin. Mit Blick auf die anstehende Landtagswahl wirbt sie für ihren Parteifreund Al-Wazir. Inmitten der Klimakrise sei es wichtig, wer in den entscheidenden Positionen sitze: „Grün macht den Unterschied.“ Das proklamiert die Bürgermeisterin auch für sich und hebt hervor, welche Projekte von grüner Hand in der Stadt mit angestoßen wurden. Sie wolle weiter dafür einstehen, die Lebensqualität in Offenbach zu sichern und Chancengleichheit zu gewährleisten. Unter anderem das Konzept Schwammstadt, die Schritte in Richtung fahrradfreundliche Stadt, die Verordnung zur Trinkwasserversorgung nennt die Umweltdezernentin und verspricht angesichts der Bürgerkritik an den Einschnitten im ÖPNV: „Wir müssen wieder mehr Busse auf die Straße bringen. Wir Grünen werden dafür einstehen.“
Den fast ein Jahr währenden Krieg in der Ukraine nimmt der zweite Redner des Abends, Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, zum Anlass, daran zu appellieren, aus Fehlentscheidungen der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen: „Die Lehre aus dem Krieg sollte sein, Diktatoren und Verbrechern nicht mehr die Hand zu reichen. Demokratie sollte wehrhaft sein, liberale Demokratien sollten stärker zusammenarbeiten.“ Es sei „nicht die allerschlauste Idee gewesen“, auf der einen Seite Erneuerbare Energien „massiv auszubremsen“ und sich auf der anderen Seite in die Abhängigkeit von Russland zu begeben. Nun müsse man „bei den Erneuerbaren den Turbo zünden – auch zur Sicherheit des Landes.“ Özdemir wünscht seinem Parteifreund Al-Wazir einen erfolgreichen Wahlkampf und – von direkt gewähltem Abgeordneten zu direkt gewähltem Abgeordneten – Erfolg für die Verteidigung seines Direktmandats in Offenbach, bevor er die Bühne dem hessischen Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen überlässt. „Dieses Jahr wollen wir ihn zum Ministerpräsidenten machen“, kündigt Sprecherin Sackis an.
„Wir sind in einer Zeit von dringend nötiger Veränderung“, sagt der Hoffnungsträger. Der Wunsch nach einer Energiewende sei so groß wie nie, und die Politik müsse dafür sorgen, dass die Menschen bei Veränderungen mitkämen. Er wolle mit den Grünen, sagt Al-Wazir auch mit Blick auf die Landtagswahl, den Wandel mutig gestalten und vorn dran sein, „weil wir sicher sind, dass das die beste Variante ist, unseren Wohlstand, unsere Sicherheit und unser gutes Leben zu erhalten“.
Er sei dankbar, dass der Ausgang der anstehenden Landtagswahl, anders als in Russland, nicht bekannt sei. „Am 8. Oktober entscheiden allein die Wählerinnen und Wähler, welcher Partei und welcher Person, sie ihr Vertrauen aussprechen.“ Auch wenn die Listenaufstellung der hessischen Grünen erst in drei Wochen feststehe, sei bekannt, dass er als Ministerpräsident kandidieren werde – wenn seine Partei ihn nominiert. Er habe jedenfalls, sagt der Offenbacher in Anspielung auf Konkurrentin Faeser, nicht nur sein Herz in Hessen, sondern stehe auch mit beiden Beinen in Hessen.
Von Ronny Paul