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Hartz-IV-Empfänger trifft die Energiekrise härter - die Ärmsten zittern stärker

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Von: Christian Reinartz

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Eine herzliche Umarmung gegen die Angst vor dem Winter: Tafel-Chefin Christine Sparr verspricht Gabriela Ackermann dazu eine warme Decke.
Eine herzliche Umarmung gegen die Angst vor dem Winter: Tafel-Chefin Christine Sparr verspricht Gabriela Ackermann dazu eine warme Decke. © Reinartz

Die hohen Energiepreise treiben vielen Menschen die Sorgenfalten ins Gesicht. Gerade die Ärmsten zittern angesichts des Winters schon jetzt.

Offenbach – Petra G. dreht ihren Kopf weg von ihrer dreijährigen Tochter, zeigt auf einen Schmetterling. Während die Kleine lachend hinterherschaut, wischt sich G. verstohlen die Tränen ab. Die Hartz-IV-Empfängerin kann sie nicht zurückhalten, wenn es um die Angst vor hohen Energiepreisen im Herbst und Winter geht. Sie steht in der Sommerhitze in der Schlange an der Essensausgabe an der Offenbacher Tafel.

Doch in ihren Gedanken macht sich seit Wochen die Kälte breit. „Ich hab doch keine Ahnung, wie ich von meinem wenigen Geld auch noch den Strom bezahlen soll“, sagt G. Ihre größte Angst sei, dass sie als Alleinerziehende mit drei Kindern am Ende im Kalten sitzen muss und kein Geld mehr übrig hat, um genügend Lebensmittel zu kaufen. „Es reicht ja jetzt schon kaum. Wie soll das funktionieren, wenn der Strom plötzlich fünfmal teurer ist.“

Hohe Energiepreise: „Die Leute haben nackte Angst, vor dem, was kommt.“

Für Tafel-Chefin Christine Sparr sind solche Gespräche an der Lebensmittelausgabe in Offenbach jetzt Alltag. „Die Leute haben zum Teil wirklich nackte Angst, vor dem, was kommt“, sagt Sparr. Sie berichtet von einer ihrer Stammkundinnen, einer alten Frau, deren Rente jetzt schon nicht zum Leben reicht. „Sie sagte mir neulich unter Tränen, dass sie Angst hat, dass es in diesem Winter so wird, wie nach dem Krieg.“

Ihr sei nichts anderes übrig geblieben, als sie in den Arm zu nehmen und ihr etwas Mut zuzusprechen. „Aber ich weiß ja auch nicht, wie schlimm es tatsächlich kommt“, sagt Sparr. „Ich muss einfach Optimismus verbreiten, sonst bricht es mir das Herz.“ Dabei sei das angesichts der Situation gar nicht so leicht.

Energiekrise: Hohe Energiepreise treffen Arme doppelt so hart

„Je ärmer man ist, desto mehr haut die Energiekrise rein. Das ist wie eine Spirale, aus der es kein Entrinnen gibt.“ Sparr erklärt: Gerade Hartz-IV-Empfänger hätten in den meisten Fällen veraltete und energieintensive Elektrogeräte zu Hause, weil das Amt keine höherwertigeren bewillige. Dazu komme, dass sie, anders als Arbeitnehmer, den ganzen Tag zu Hause sitzen würden.

Das wiederum führe zwangsläufig zu mehr Strom- und Heizungsverbrauch. Verschlimmert wird das ganze noch durch die oft prekäre Wohnsituation der Armen. „Die allermeisten haben keine dreifach verglasten, wärmegedämmten Fenster oder Fassaden oder wohnen im Neubau“, sagt Sparr. Das treibe die Energiekosten zusätzlich in die Höhe.

„Diese Menschen sind in einem System gefangen, von dem sie gezwungen werden, mehr Energie zu verbrauchen als die, die Geld verdienen“, sagt Sparr. Was sich wie ein schlechter Witz anhöre, sei aber Realität. „Auch, wenn es ungerecht ist, die Ärmsten werden so hart von der Energiekrise getroffen wie kein anderer.“

„Wenn der Winter kommt, wird es erst richtig schlimm werden.“

Den oft gehörten Vorwürfen, dass vor allem Hartz-IV-Empfänger verschwenderisch mit Heizung und Strom umgingen, erteilt Sparr eine Absage. „Es gibt natürlich Leute, denen alles egal ist und die nur im Hier und Jetzt leben. Aber das sind nicht mehr als zehn Prozent“, stellt sie klar. Der Rest versuche alles, um irgendwie zu sparen und Rücklagen für die nächste Abrechnung zu bilden. „Aber wie soll das denn funktionieren, wenn am Monatsende kaum mehr als fünf Euro übrig bleiben?“

Unterdessen ist Rentnerin Gabriela Ackermann an der Reihe. Auch sie treibt die Sorge vor dem Winter und den steigenden Energiekosten um. Christine Sparr hört zu und versichert: „Es wird schon nicht so schlimm werden. Keiner wird richtig frieren müssen.“ Als sie die Frau am Rollator herzlich umarmt, flüstert sie ihr zu: „Und wenn es mal etwas kühl wird, bekommen sie von uns eine zusätzliche Wolldecke. Ehrenwort.“ Sparr sammelt schon seit Wochen solche Decken. Für genau solche Fälle.

Auch, wenn Gabriela Ackermann für den Moment wieder etwas zuversichtlicher ist, Christine Sparr lässt keinen Zweifel am Ernst der Lage: „Wenn der Winter kommt und die Leute die Rechnungen reihenweise nicht mehr bezahlen können, wird es erst richtig schlimm werden. Vor den kommenden Monaten habe ich deshalb richtige Angst.“ (Christian Reinartz)

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