Preisgekröntes Projekt bringt historisches Gemälde an ein Nordend-Gebäude

Ein Gemälde ziert in Offenbach nahe des Main eine Hauswand. Was hat es mit dem Kunstwerk auf sich?
Offenbach – Verträumt, ihren Kopf auf der Hand abstützend, blickt die rotblonde Frau in Richtung Hafenschule. Auf der 100 Quadratmeter großen Hausfassade am Nordring 34 zieht das ausdrucksstarke Porträt die Blicke der Passanten auf sich – obwohl es noch gar nicht fertig ist. Viele bleiben stehen, manche machen Fotos, andere sprechen den Künstler an. „Wer ist das?“, ist die wohl häufigste Frage. „Sogni“ (Träume) heißt das zugrunde liegende Werk des italienischen Porträtmalers Vittorio Matteo Corcos aus dem Jahr 1896, das eine namentlich nicht bekannte Dame zeigt und im Nordend von Graffitikünstler Case Maclaim neu interpretiert wird.
Kunst in großem Format auf die Straße zu bringen – das ist das Ziel der Projektreihe „Walls of Vision“, die vergangenes Jahr mit dem Deutschen Kulturförderpreis ausgezeichnet wurde. Murals heißt diese Kunstform auf Hausfassaden. Die in Bonn ansässige Dr. Hans Riegel-Stiftung, die sich der Erschließung von Kunst für die Öffentlichkeit verschrieben hat, ermöglicht das Projekt in Offenbach in Zusammenarbeit mit der Gemeinnützigen Baugesellschaft (GBO) als Eigentümerin der Liegenschaft. Den Kontakt stellte Kulturmanager Kai Schmidt her, der mit seiner Initiative bei der GBO offene Türen einrannte. „Hier am Nordring fahren und laufen täglich viele Menschen vorbei, denen wir Kunst in einem ungewohnten Kontext zeigen können“, freut sich Geschäftsführerin Daniela Matha.
Mannheim und Casablanca als Vorbild für Fassadenkunst in Offenbach
Aufmerksam auf diese Kunstform wurde Schmidt in Mannheim, wo nationale und internationale Street-Art-Künstler bereits seit 2013 jedes Jahr drei bis vier Hausfassaden verschönern. „Als ich das sah, dachte ich sofort: Was passt besser zu Offenbach?“, sagt er. „Dem Stadtbild kann es nur gut tun.“ Beide Städte würden als wenig attraktiv wahrgenommen, wobei Mannheim durch die vielen Murals bereits deutlich aufgewertet worden sei. Die Stadt bewirbt diese nun sogar als erstes, frei zugängliches Museum für Fassadenkunst in Baden-Württemberg.
Ähnliches schwebt Schmidt für Offenbach vor: „Wünschenswert wäre, wenn das Projekt in die ganze Stadt ausstrahlt, weitere Hauseigentümer eine Wand zur Verfügung stellen und sich potenzielle Geldgeber finden.“ Gäbe es genug legale Flächen für Straßenkunst, würde bestenfalls sogar weniger illegal gesprüht – was wiederum eine weitere Aufwertung des Stadtbildes bedeute.
Langfristig sei es denkbar, etwa Schulen mit an Bord zu holen und mit Schülern gemeinsam an Kunstprojekten zu arbeiten. Mit all dem könne Offenbach den Ruf als Kreativstadt stärken. „Genial wären internationale Kooperationen, beispielsweise mit lebendigen Street-Art-Szenen, wie sie in Casablanca existieren“, gerät Schmidt ins Träumen – vielleicht auch angesichts der schönen, träumenden Frau über sich.
Nur sieben Tage Zeit für Fassadenkunstwerk in Offenbach
Für Künstler Case Maclaim indes hat seine Arbeit wenig mit Träumen zu tun. Sie erfordert volle Konzentration und genaue Vorbereitung. Eine besondere Herausforderung an seinem Auftrag in Offenbach ist, dass das Bild um die Ecke geht: „Dadurch entsteht eine gewisse Verzerrung. Das muss ich vorher exakt auf dem Papier arrangieren und übertragen.“ Wenn es dann an die Hauswand geht, malt er erst die groben Linien und Formen auf, füllt dann die Felder mit Farbe. Nach und nach geht er immer mehr ins Detail, um Höhen und Tiefen zu erzeugen – was am längsten dauert. Er arbeitet in einer Mischtechnik, benutzt sowohl normale Fassadenfarbe, die er aufpinselt, als auch Sprühfarbe aus Dosen. „Sprühlack hat eine intensivere Farbigkeit, wirkt viel tiefer, fast wie Ölfarbe in der Malerei.“

Begonnen hat er am Dienstag, kommende Woche Dienstag will er fertig werden. „Eine Woche ist zwar sportlich, aber entspricht der Zeit, die man in der Szene für eine Fläche dieser Größe einplant“, erläutert er. Viele Pausen gönnt er sich nicht. „Man muss im Flow bleiben, zu lange Pausen bringen einen raus. Da sind Wochenenden oder Feiertage egal.“ Auch bei Dunkelheit könne er gut arbeiten, nur Regen oder Sturm seien ungünstig. „Aber hier in Offenbach waren die Umstände bisher perfekt“, sagt der Frankfurter lächelnd.
Höhenangst ist bei seiner luftigen Tätigkeit auf der Hebebühne ebenfalls hinderlich. „Einige Kollegen haben sie trotzdem“, schmunzelt er, „sie betrachten die Arbeit als eine Art Therapie. Bei manchen hat es geklappt, die Höhe macht ihnen nichts mehr aus.“ Auch, dass Leute mitunter negative Kommentare abgeben, macht ihm nicht aus – im Gegenteil. „Es ist gut, dass sie sich interessieren. Denn jedes Auseinandersetzen mit Kunst und der eigenen Umgebung ist wertvoll.“ (Von Veronika Schade)
In Offenbach gab es vor kurzem Streit wegen eines Kunstprojektes. Eine nachgemalte Ikone sorgte in christlich-orthodoxen Kreisen für Aufregung.