Einst war Offenbach protestantisch

Offenbach – Als die Herrnstraße noch nicht durch die Berliner Straße zerschnitten wurde, war sie Zeichen der protestantischen Gesinnung Offenbachs: Dicht an dicht in die bestehenden Häuserreihen eingefasst, sind Stadtkirche und Französisch-reformierte Kirche auf alten Ansichten zu sehen. Heute stehen die Kirchen allein – auch ein Ausdruck des Wandels, dem die Kirchen in Offenbach unterliegen.
Denn die christlichen Konfessionen sind längst in der Unterzahl, 2017 waren laut Statistischem Jahrbuch von 135 692 Einwohnern nur 18 227 evangelischen und 31 425 katholischen Glaubens. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah das anders aus: Offenbach war seit dem 16. Jahrhundert eine protestantische Stadt.
Wie und wann die Reformation in das Fischer- und Bauerndorf Offenbach kam, ist nicht mehr genau zu klären. „Es gibt einfach keine Überlieferung. Dafür war der Ort zu unbedeutend“, schrieb Gerd Gramlich im Buch „450 Jahre Jahre Reformation in Offenbach am Main“. Dass um 1542/43 die protestantische Bewegung in Offenbach Fuß fasste, wird in der Literatur angegeben. Da aber schon 1526 der katholische Pfarrer Konrad Demuth im seinerzeit eigenständigen Rumpenheim heiratete, darf man annehmen, dass dies und andere protestantische Ideen im nahen Offenbach durchaus bekannt waren und dem Dorfklatsch zahlreiche Anekdoten lieferte.
Mit der Verlegung der Residenz von Birstein nach Offenbach 1556 durch Graf Reinhard von Isenburg gewinnt nicht nur der Ort an Bedeutung, seitdem ist die hiesige Kirchengeschichte auch wesentlicher besser dokumentiert. Da die Untertanen den Glauben ihres Herrschers auszuüben hatten („Wie der Herr, so’s Gescherr“ oder im Juristenlatein: „cuius regio, eius religio“), waren die Offenbacher bis 1596 Lutheraner. Dann wechselte Graf Wolfgang Ernst I. aber zum reformierten Bekenntnis, und seine Untertanen hatten es ihm gleichzutun.
Der lutherische Pfarrer erhielt seinen Abschied, doch wird in den Quellen erwähnt, dass sich die Offenbacher mit dessen reformatorischem Nachfolger schwer taten und dessen Gottesdienste boykottierten. Der lutherische Rumpenheimer Pfarrer Vincentius Koch war übrigens pragmatischer veranlagt als sein Offenbacher Amtskollege: Als dessen Dienstherr, der Hanauer Graf Philipp Ludwig II., zur selben Zeit zum reformatorischen Bekenntnis wechselte, konvertierte dieser einfach und konnte seine Pfarrei behalten.
Für 1596 sind nur noch drei lutherische Familien in Offenbach bekannt, für Gottesdienst und Abendmahl müssen sie nach Frankfurt, da in Offenbach lutherische Gottesdienste verboten sind. Für kommenden Jahrzehnte bleibt diese Situation bestehen, abgesehen von einem siebenjährigen lutherischen Intermezzo, das aber 1642 endet.
Bewegung ins religiöse Gefüge kommt erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als Graf Johann Philipp von Isenburg seine Herrschaft antritt: Er gestattet die Aufnahme hugenottischer Glaubensflüchtling – 46 Familien durften eine eigene Gemeinde gründen, die heute noch existierende Französisch-reformierte Gemeinde – und er erlaubt zu Beginn des 18. Jahrhunderts den Juden den Bau einer eigenen Synagoge. 1721 gestattet Graf Ernst Kasimir I. per Toleranzedikt, dass jeder Offenbacher sein privates Christentum in häuslichen Andachten ausüben darf – erst 1734 darf der lutherische Gottesdienst wieder öffentlich ausgeübt werden, eine eigene gemeinde – die heutige Stadtkirche – wird wegen Finanzierungsproblemen erst 1748 eingeweiht.
Bis den Katholiken in Offenbach wieder erlaubt wird, Gottesdienste zu feiern, soll noch etwas Zeit vergehen: Erst am Ende des 18. Jahrhunderts wird ihnen dies in einem Saal des Isenburger Schlosses gestattet. Prozessionen aber bleiben untersagt. 1828 wird mit der Paulskirche die erste katholische Kirche seit der Reformation in Offenbach eingeweiht.
Strukturell bilden somit die Protestanten über Jahrhunderte die größte Gruppe in der Bevölkerung. Erst die Folgen des Zweiten Weltkriegs werden dies ändern, dann aber nachhaltig: Durch Flüchtlinge wächst die Zahl der Katholiken stark an, in den folgenden Jahrzehnten steigt der nichtchristliche Teil der Bevölkerung rasant an. Inzwischen sind die christlichen Konfessionen in der Minderheit, stellen nicht einmal die Hälfte aller Einwohner dar. Die geringen Mitgliederzahlen bergen für die beiden Kirchen große Herausforderungen, denen sie auch künftig durch Zusammenlegen von Gemeinden begegnen wollen.
Von Frank Sommer