1. Startseite
  2. Offenbach

IHK Offenbach: Unternehmen wünschen größeres Angebot an Energie, dafür weniger Subventionen

Erstellt:

Von: Jochen Koch

Kommentare

So soll das Samson-Werk auf dem Innovationscampus in Offenbach aussehen. Auch Bio-Spring wird sich in Offenbach ansiedeln. Die IHK sieht weiteren Bedarf an Gewerbeflächen für Neuansiedlungen und Erweiterungen von Firmen.
So soll das Samson-Werk auf dem Innovationscampus in Offenbach aussehen. Auch Bio-Spring wird sich in Offenbach ansiedeln. Die IHK sieht weiteren Bedarf an Gewerbeflächen für Neuansiedlungen und Erweiterungen von Firmen. © Samson

Krisen, Herausforderungen, Perspektiven: Die Unternehmen in der Region Offenbach haben anstrengende Jahre hinter sich und stehen vor großen Aufgaben im neuen Jahr.

Offenbach - Über Hoffnungen und Erwartungen sprachen wir mit Kirsten Schoder-Steinmüller, IHK-Präsidentin und Geschäftsführende Gesellschafterin der Firma Schoder aus Langen, sowie IHK-Hauptgeschäftsführer Markus Weinbrenner.

Frau Schoder-Steinmüller, die IHK Offenbach feierte 2021 ihr 200-jähriges Bestehen, das Motto lautete „200 Jahre Wandel“. Wie groß war der Wandel im Krisenjahr 2022 für die Unternehmen in Stadt und Kreis Offenbach?

Schoder-Steinmüller: Dieses Motto war ein Vorzeichen für 2022. Unglaublich, wie vielen Krisen wir gegenüberstanden. Wir hatten mit Corona angefangen, das ist noch nicht vorbei. Denken Sie an China und die Zerstörung der Lieferketten. Dann kam dieser unsägliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, mit allen Folgen, die wir heute noch extrem spüren. Und ziemlich schnell danach die wahnsinnig steigenden Rohstoffpreise. Und das Problem der Verfügbarkeit. Unsere Firma zum Beispiel hatte auf einmal Liefertermine von 18 bis 20 Wochen für Kupfer.

Dann kam zu den gestiegenen Energiekosten auch noch schnell das Problem Energiesicherheit für viele Firmen hinzu.

Schoder-Steinmüller: Ja. Circa ein Drittel der Unternehmen muss sich zum Jahreswechsel darum kümmern, wo sie überhaupt Energie herbekommen. Die Unternehmen haben nicht die Versorgungssicherheit wie ein Privathaushalt, sondern sie müssen mit den Energieversorgern verhandeln. Da haben wir unglaubliche Geschichten gehört. Im Herbst waren die Preise fast um das Zehnfache gestiegen. Jetzt sind wir beim Strom beim Vierfachen. Selbst das ist ein nicht kalkulierbarer Aufwand. Ohne Energie kann weder produziert noch können Waren und Dienstleistungen verkauft werden. Energie muss bezahlbar und sicher sein.

Wie bewerten Sie die wirtschaftliche Lage in Stadt und Kreis Offenbach?

Schoder-Steinmüller: Bis zum Herbst war die Lage erstaunlich gut. Sicher haben auch Nachholeffekte aus Corona-Zeiten eine große Rolle gespielt. Aber jetzt spüren wir deutlich, dass die Stimmung schlechter wird, und zwar in erheblichem Umfang.

Weinbrenner: Die aktuelle Lage ist noch zufriedenstellend, aber die Aussichten sind aufgrund vieler Unwägbarkeiten für die Unternehmen extrem pessimistisch. Das merken sie an der Investitionsbereitschaft, die deutlich zurückgegangen ist. Ebenso wie die Bautätigkeiten und Baugenehmigungen. Die Unternehmen warten ab, wie sich das entwickelt. Diese Vorsicht führt dazu, dass Unternehmen ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten zurückfahren.

Wo liegen für Unternehmen derzeit die größten Herausforderungen?

Schroder-Steinmüller: Energiekosten und Versorgungssicherheit liegen an erster Stelle. Wir bekommen über das neue LNG-Terminal Gas nach, ja, aber nicht die Mengen, die Anfang April noch aus Russland kamen. Mehr Energie muss in den Markt gebracht werden, bei allen Einsparmöglichkeiten, die ausgeschöpft werden können. Ich sehe da politischen Sprengstoff. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Versorgungslage in Ostdeutschland und Teilen Bayerns schlechter aussieht als in Restdeutschland. An zweiter Stelle kommt die Material- und Rohstoffknappheit mit gestiegenen Preisen.

Was wünschen und benötigen die Unternehmen für das Jahr 2023, außer einer vereinfachten Bürokratie, noch?

Schoder-Steinmüller: Wir haben den Doppelwumms. Wir sprechen von 200 Milliarden Euro bei den Energiepreishilfen, das sind 40 Prozent des Bundeshaushalts. Hilfen können nur größte Härten abfedern und sind finanziell ein enormer Kraftakt für alle. Vielen Unternehmen wäre es lieber, wenn wir ein größeres Energieangebot hätten, dass wir uns gar nicht so subventionieren lassen müssten vom Staat, sondern dass wir es selbst finanzieren könnten. Eine unserer Forderungen ist deshalb, dass wir mehr Energie kurzfristig in den Markt bekommen, indem wir alle verfügbaren Energiequellen nutzen. Parallel gilt es beschleunigt die regenerative Energieerzeugung auszubauen.

Welche Rolle wird der Krieg in der Ukraine weiter spielen?

Schoder-Steinmüller: Ich persönlich gehe davon aus, dass dieser Konflikt uns noch 2023 und 2024 begleiten wird. Selbst wenn es in diesem Winter nicht zu Abschaltungen von Gas oder Strom kommt, wird 2023, wenn der Konflikt andauert, ungleich schwieriger. Da können wir nicht mehr auf die Mengen Gas zurückgreifen, die wir Anfang 2022 aus Russland bekommen haben.

Ein großes Problem ist und bleibt der Fachkräftemangel. Bis 2035 werden allein in Hessen etwa 500 000 Fachkräfte fehlen. Wie kann man diese Problematik angehen? Und welche Lösungsansätze sehen Sie?

Schoder-Steinmüller: Wir haben bestimmt seit 15 Jahren darauf hingewiesen, wie die demografische Entwicklung ist. Wir hatten 1964 knapp 1,4 Millionen Geburten, jetzt liegen wir unter 700 000. Für viele Unternehmen stellt sich die Frage: Wo kommt der Nachwuchs her? Ich kann es an meinem eigenen Unternehmen festmachen. Wir haben knapp 70 Mitarbeiter. In den nächsten drei Jahren werden zehn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Und in diesem Jahr haben wir nur einen neuen Ausbildungsvertrag abschließen können.

Wie kann man da gegensteuern?

Schoder-Steinmüller: Wir müssen das Thema der beruflichen Orientierung an allen Schulformen stärken. Wir müssen mehr Praktika anbieten, auch in der gymnasialen Oberstufe, wenn möglich zwei. Ein Thema ist immer noch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 20 bis 25 Prozent der Frauen würden gern mehr arbeiten, aber die Möglichkeiten der Kinderbetreuung sind nicht ausreichend gegeben. Dazu gehören vor allem flexiblere Betreuungszeiten entsprechend der Arbeitssituation und Ausbau der Betreuungsplätze, die besonders im Kreis Offenbach in den westlichen Kommunen fehlen.

Welche Rolle könnte Zuwanderung aus Drittländern mit qualifizierten Arbeitnehmern spielen?

Schoder-Steinmüller: Das ist für uns ein großes Thema. Da läuft sehr viel in unserer Region schief. Angefangen bei Arbeitserlaubnis und Aufenthaltstitel. Das dauert deutlich zu lange.

Weinbrenner: Die Bundesagentur für Arbeit hat ermittelt, dass wir jährlich 400 000 zugewanderte Arbeitskräfte bräuchten, um den Abgang von Beschäftigten auszugleichen. Da müssen wir uns gut aufstellen, um aus dem Ausland sowohl qualifiziertes Personal als auch Jugendliche mit guten Deutschkenntnissen für eine Ausbildung zu gewinnen.

Beim Fachkräftemangel spielt auch der Mangel an günstigem Wohnraum in Frankfurt und der Region eine Rolle. Was müsste man dagegen tun?

Schoder-Steinmüller: Wir brauchen noch stärkere Anstrengungen, um Wohnraum zu schaffen. Dazu gehören vom Land Anreize für die Kommunen zur Ausweitung von Bauland, aber auch in den Kommunen die strategische Entwicklung von Potenzialen einschließlich der Verdichtung von Wohnraum – ebenso wie mehr Mut bei der Realisierung umstrittener Projekte.

Wenn Wohnraum in der Region knapp oder kaum noch bezahlbar ist, ziehen Arbeitnehmer oft an die Peripherie. Dann stellt sich das Problem der Mobilität und ihrer Folgen.

Schoder-Steinmüller: Auch für Firmen und Zulieferer spielt die Erreichbarkeit eine große Rolle. Deshalb haben wir als Kammern für die Metropolregion den Prozess für ein länder- und verkehrsträgerübergreifendes Mobilitätskonzept angestoßen. Optimal wäre, wenn sich die Verkehrsentwicklungs- und Nahverkehrspläne in Stadt und Kreis Offenbach daran orientierten. Wir brauchen eine Vernetzung aller Verkehrsträger: Straße, Öffentlicher Personen-Nahverkehr, Rad-, aber auch Fußwege. Das muss aufeinander abgestimmt sein. Dies führt zwangsläufig zu Konflikten zum Beispiel bei Radwegen und beim Parkraum, die im Dialog gelöst werden müssen.

Wann soll dieses Konzept umgesetzt werden?

Schoder-Steinmüller: Das Mobilitätskonzept für die Region muss erst noch erarbeitet werden. Die Umsetzungsdauer ist ein generelles Problem bei Infrastrukturvorhaben. Nehmen Sie die Regionaltangente West. Mehr als 30 Jahre wurde diskutiert. Ein Teil der Strecke soll 2026 in Betrieb genommen werden, 2028 dann die gesamte RTW von Bad Vilbel bis nach Buchschlag und hoffentlich bis nach Langen.

Weinbrenner: Grundsätzlich dauern Planungen und Umsetzungen zu lange. Da brauchen wir eine Verschlankung der Prozesse. Wir plädieren dafür, öffentliche Beteiligungen an den Anfang zu stellen, dann politische Beschlüsse herbeizuführen, Verfahren parallel laufen zu lassen und nicht hintereinander. Unser Verwaltungsrecht führt dazu, dass Partikularinteressen zu großer Raum eingeräumt wird und die großen Dinge einfach nicht vorankommen. Da muss der Bundesgesetzgeber den Vorrang des Gemeinwohls gegenüber Einzelinteressen grundsätzlich stärken. Dazu kommt noch die politische Willensbildung. Bei der RTW war gar nicht das Planungsrecht entscheidend, sondern es fehlte lange der gemeinsame politische Wille auf kommunaler Seite in der Region.

Offenbach ist Teil der Metropolregion Rhein-Main. Inwieweit profitieren Stadt und Kreis davon?

Weinbrenner: Wir sind ein ganz wichtiger Bestandteil der Region und profitieren selbstverständlich davon. Von den Pendlerströmen, von der Wirtschaftskraft, vom Flughafen, der eine wichtige Rolle spielt. Gerade für die kleineren Unternehmen, die international tätig sind, weil sie den nutzen können, um zum Beispiel schnell Ersatzteile in die ganze Welt zu schicken. Das ist ein Wettbewerbs- und Standortvorteil.

Sie haben den Flughafen angesprochen. Da gibt es auch gegensätzliche Meinungen: wirtschaftliche Kraft, aber auch Belastung durch Lärm und Emissionen. Fluch oder Segen für die Region?

Weinbrenner: Beides. Wir als IHK sehen die Region nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als Lebensraum. Man muss einen guten Kompromiss finden, der die Interessen der Bevölkerung und die der Wirtschaft berücksichtigt und ausgleicht. Ich glaube, das ist gelungen.

In Offenbach siedeln sich bald mit Samson und Bio-Spring zwei große Firmen an. Sehen Sie im IHK-Bereich noch Möglichkeiten für Vergrößerungen von Betrieben – oder auch für Neuansiedlungen?

Weinbrenner: Bei einer Umfrage unter 1 400 Firmen haben in der Stadt Offenbach 25 Prozent geantwortet, dass sie an eine Vergrößerung des Unternehmens denken, im Kreis waren es sogar 32 Prozent. Also besteht eindeutig Bedarf an Gewerbeflächen. Es gibt aber nur sehr, sehr wenig Flächen für Neuansiedlungen. Deshalb wird hauptsächlich über Nachverdichtung etwas möglich sein. Wir müssen die bestehenden Gewerbegebiete optimieren. Da kommen dann die kommunalen Wirtschaftsförderungen ins Spiel, die das an Ort und Stelle managen und aktiv moderierend die Interessen von Firmen und Flächeneigentümern in Einklang bringen.

Welche großen Aufgaben kommen 2023 auf die IHK Offenbach zu, und wie kann sie diese meistern?

Schoder-Steinmüller: Ganz wichtig wird die Arbeitskräftesicherung und damit einhergehend die duale Ausbildung. Da haben wir viele regionale Projekte. Natürlich ist auch die Weiterbildung und Qualifizierung der Arbeitskräfte wichtig.

Weinbrenner: Die Industrie- und Handelskammer wird 2023 eine Fachkräfteberaterin einstellen, um Unternehmen zu beraten, wie sie Fachkräfte finden, qualifizieren und binden können. Das gilt besonders in der Unterstützung bei der Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten.

Frau Schoder-Steinmüller, Sie wurden vor fünf Jahren zur IHK-Präsidentin gewählt. Hätten Sie auch nur im Ansatz an solch eine Fülle an Herausforderungen wie in den letzten zwei Jahren gedacht?

Schoder-Steinmüller: Ich habe viele Themen kennengelernt, an die ich vorher nicht gedacht hätte. Schon Corona war eine Riesenumstellung – in allen Bereichen, von Homeoffice bis Kurzarbeit. 2021 war ein schwieriges Jahr. Was 2022 kam, hätte sich niemand vorstellen können – nach 70 Jahren Frieden ein Krieg mitten in Europa. Mit allen Auswirkungen bei Lieferketten und Energie. Lösungen mitzugestalten und voranzutreiben für die Wirtschaft in der Region, das ist eine Herausforderung, die ich gern annehme. Die Zusammenarbeit mit unseren Unternehmen, mit Politik und Partner, das mache ich nach wie vor mit Freude.

Anfang 2024 sind Wahlen zur IHK-Vollversammlung. Werden Sie erneut kandidieren?

Schoder-Steinmüller: Ich würde mich gern weiter für die Wirtschaft hier einsetzen und werde für eine zweite Amtsperiode kandidieren.

Das Gespräch führte Jochen Koch.

Auch interessant

Kommentare