„Satt werden wir davon nicht mehr“: Offenbacher Tafel steht vor Kollaps
Die Offenbacher Tafel steht vor dem Kollaps, weil die Kundenzahlen steigen, aber weniger Lebensmittel gespendet werden.
Offenbach – Krisenstimmung an der Neusalzer Straße: Das System Offenbacher Tafel steht kurz vor dem Zusammenbruch. „Schon jetzt können wir die Menschen nicht mehr ausreichend versorgen“, sagt Tafelchefin Christine Sparr. Die Verzweiflung steht ihr dieser Tage noch einmal mehr in ihr ohnehin schon stressgezeichnetes Gesicht geschrieben. „Es ist bedrückend, wenn meine Mitarbeiter und ich die Leute wieder wegschicken müssen in dem Wissen, dass das Essen nicht reichen wird“, beschreibt sie die Situation an der Tafelausgabe.
In der Praxis sieht das so aus: Während früher eine Familie pro Woche zwei bis zum Anschlag gefüllte Einkaufstüten mit allem, was man zum Leben braucht, in die Hand gedrückt bekam, ist es nun weniger als die Hälfte. „Die Leute bekommen nur noch eine Tüte, und die können wir nicht mal richtig vollmachen“, bedauert Sparr.
Offenbacher Tafel in der Krise: „Wir müssen uns sowieso schon alles vom Mund absparen“
In der Warteschlange an der Neusalzer Straße in Offenbach herrscht deshalb am Mittwochmorgen verzweifelte Stimmung. „Wir müssen uns sowieso schon alles vom Mund absparen“, klagt Yasna W. Sie wartet mit ihrem kleinen Ziehwägelchen seit Jahren jede Woche vor der Essensausgabe. „Anders wären mein Mann und ich auch nicht über die Runden gekommen.“ Was sie jetzt machen soll, weiß sie noch nicht.

Von ihrer schmalen Rente bleibe nach Abzug von Miete und Energiekosten fast nichts mehr übrig. „In der einen Tüte ist zwar immer noch das Allernötigste und auch immer etwas Gemüse dabei“, sagt W. „Aber satt werden wir davon nicht mehr.“ Ihr Schlangennachbar bestätigt das in gebrochenem Deutsch. „Früher haben wir noch ein paar Euro von Hartz IV für die Kinder übrig gehabt. Jetzt müssen wir davon Lebensmittel kaufen und haben trotzdem nie genug, damit alle satt werden.“
Offenbacher Tafel: Mehr Hilfsbedürftige, weniger Spenden
Christine Sparr brechen solche Schilderungen das Herz. „Wir haben einfach zu wenige Lebensmittel und zu viele Kunden.“ Die Statistik der Tafel ist aussagekräftig. Während es im September noch 921 Offenbacher Haushalte waren, die sich ihre Lebensmittel bei der Tafel abholten, sind es aktuell 1270 – Eine Steigerung um fast 40 Prozent. Der Grund dafür liegt laut Sparr an der allgemeinen Situation, aber eben auch am Ukrainekrieg.
„Wir haben alleine 200 Flüchtlinge dazubekommen, die wir versorgen“, berichtet sie. „Aber gleichzeitig ist die Spendenbereitschaft für Lebensmittel seit Kriegsbeginn komplett eingebrochen.“ Viele Hilfstransporte würden direkt in die Ukraine gehen, während die Flüchtlinge von dort aber hier Hilfe brauchten. Und viele Geldgeber, die zuvor regelmäßig die Tafel unterstützt hätten, hätten nun dorthin gespendet. „Ich bin absolut überzeugt, dass das auch richtig so war“, sagt Sparr. „Aber man braucht Galgenhumor, um das zu ertragen.“
Verschärft wird die Situation laut der Tafelchefin durch die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen. Das beginne schon bei den Preisen der Lebensmittel. „Viele Menschen, die früher nie etwas Reduziertes kurz vor dem Ablauf im Supermarkt gekauft hätten, greifen dort jetzt zu“, schildert Sparr ihre Beobachtungen. Zu sehen sei das auch daran, dass Supermärkte ihr Angebot anpassten. „Viele Lebensmittel, die wir früher direkt bekommen haben, wandern jetzt in den Ausverkauf oder in spezielle Rabatt-Tüten, die die Leute plötzlich reihenweise kaufen“, erklärt Sparr. „Die Folge ist aber, dass viele unserer Regale deshalb jetzt leer bleiben.“
Offenbacher Tafel-Mitarbeiter sind in ganz Hessen unterwegs
Immerhin sei es ihr bisher gelungen, durch private Geldspenden und Zuwendungen von Vereinen, wie etwa den Rotariern, das allernötigste zu kaufen. Dazu fahren Offenbacher Tafelmitarbeiter täglich quer durch Hessen, um Lebensmittel abzuholen, die etwa über die Zentrale Verteilstelle in Wetzlar angeboten werden. „Das ist aber eine zusätzliche Mehrbelastung, die wir kaum noch stemmen können.“ Wie lange das noch gut gehe, wisse sie nicht. (Christian Reinartz)