Videowettbewerb: Filmen gegen Frust

Offenbach - Kaum ein Jugendlicher ist heute ohne Smartphone. Nicht immer sind es Liebesbekundungen, die sie durch Messenger-Dienste wie WhatsApp erreichen. Auch bösartige Botschaften verbreiten sich in Sekundenschnelle. Bei der Teilnahme am Filmwettbewerb „Krass gegen Hass“ lernen Kinder und Jugendliche, wie sie sich dagegen wehren können. Von Tamara Schempp
„Wenn du diese Nachricht nicht weiterleitest, kommt ein Monster aus deinem Schrank.“ Der Offenbacher Lehrer Jan Grünwald kennt solche Scherze von seinen Schülern aus der Unterstufe. Sie werden als Massen-Nachrichten per WhatsApp verschickt – und haben mitunter schlimme Folgen für den Empfänger.
„Auch wenn sich der Absender nur einen Scherz erlaubt, kann eine solche Nachricht Angst verbreiten“, weiß der Gymnasiallehrer an der Leibnizschule. Um seine Schüler gegen Lügen und verbale Angriffe im Internet zu rüsten, setzt Grünwald in den Fächern Englisch und Kunst – so oft es der Lehrplan zulässt – Medienkompetenz auf den Stundenplan. Sein neuestes Projekt: Die Teilnahme am Filmwettbewerb „Krass gegen Hass“, zu der er die Klasse 9e angemeldet hat.
Hierfür planen und filmen die Schüler mit Grünwalds Hilfe fünfminütige Videos mit ihren Smartphones. Die Jugendlichen im Alter von zwölf bis 16 Jahren setzen sich auf diese Weise kreativ mit dem Thema auseinander. Das sei in der heutigen Zeit besonders wichtig, sagt die Initiatorin des Wettbewerbs, Sandra Müller, Ehrenamtliche in der Hilfsorganisation Weißer Ring. „Video ist ein Medium, das Jugendliche täglich benutzen. Aber die wenigsten machen sich Gedanken über die rechtlichen Hintergründe – und ob sie jemanden mit dem Teilen verletzen.“
Müller und ihre Kollegen vom Weißen Ring hatten Ende des vergangenen Jahres die Idee zu „Krass gegen Hass“. Die Offenbacher Außenstelle des Vereins hilft Opfern von Gewalt. Darunter fällt auch Cybermobbing. Die Internetaktivistin erhofft sich von dem Projekt einen Lerneffekt bei den Jugendlichen. Gesunder Menschenverstand sei die Voraussetzung für eine gelungene Online-Kommunikation: „Der Gradmesser sollte die Frage sein: Wenn ich das auf dem Foto oder im Video wäre, würde ich wollen, dass das jemand teilt?“
Sandra Müller wünscht sich mehr Zivilcourage im Internet: „Weggucken ist immer leicht. Jugendliche sollten den Mut entwickeln zu sagen: Ich will nicht, dass du so sprichst! Auch außerhalb des Netzes.“
Zwei Drittel der Internetnutzer zwischen 14 und 44 Jahren sind beim Surfen schon auf Hasskommentare gestoßen. Das hat eine Umfrage der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen ergeben. Zeitgleich reagieren nur 14 Prozent mit aktiver Gegenrede, ermittelte eine Studie des Verbands der Internetwirtschaft.
Pro Klasse gibt es im Durchschnitt nur einen Schüler ohne Smartphone, berichtet Grünwald. Daher betrifft das Thema den Großteil der Jugendlichen in der Pubertät. Die Teilnahme am Filmwettbewerb hat in der Klasse 9e der Leibnizschule noch vor der Einsendung der Beiträge Wirkung gezeigt: In Gesprächen fand Jan Grünwald heraus, dass seine Schüler Rassismus im Internet als besonders verletzend empfinden – egal, ob es sie selbst oder andere betrifft.
Auf der Basis eigener Erfahrungen beschäftigt sich eine der vier Gruppen in Grünwalds Klasse für den Wettbewerb mit dem Thema Islamophobie und Stigmatisierung. Nach den Osterferien geht’s an die Umsetzung.
Ob sich Jan Grünwald Hoffnungen auf einen Platz auf dem Siegertreppchen macht? Er lacht. „Ich finde es wichtig, den Kindern einen Ansporn zu geben. Mit dem Handy eigene Geschichten zu erzählen, steigert ihren Selbstwert. Das allein ist schon ein Erfolg“, sagt er.
Auch Sandra Müller möchte den Bewerbern den Druck nehmen. Das Netzwerk MedienKompetenz, zu dem auch der Verein Weißer Ring gehört, veranstaltet das erste Mal einen Filmwettbewerb. Müller sieht es als Experiment. Von den Videos erwartet sie keine Perfektion. Gute Chancen haben Beiträge, die Lösungen für den Umgang mit Anfeindungen in den sozialen Netzwerken aufzeigen. Und solche, die eigene Erfahrungen widerspiegeln.
Gymnasiallehrer Jan Grünwald erhofft sich von dem Projekt, dass seine Schüler erkennen, wann sie mit ihren Scherzen eine Grenze überschreiten. Damit sie in der Zukunft souverän reagieren, wenn mal wieder ein Monster in ihrem Schrank lauert.