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Gedächtnisdunkel in der Gasse

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Offenbach/Gravenbruch - Vor dem Offenbacher Jugendschöffengericht geht heute das im Mai begonnene juristische Nachspiel einer A-Jugend-Begegnung zwischen der SSG Gravenbruch und der TSV Heusenstamm in seine dritte Runde. Es wird vermutlich nicht die letzte sein - eine der wenigen klaren Erkenntnisse der vorgestrigen zweiten Runde. Von Marcus Reinsch

Montagnachmittag, Gravenbruch, es ist hell, jedes Detail in der verwinkelten Gasse zwischen dem SSG-Fußballplatz und den Gästeparkplätzen am Dreiherrnsteinplatz gut erkennbar. Damals, nach dem mit einem 2:3 für Heusenstamm beendeten Fußballspiel am 24. November 2007 war es stockfinster gewesen. Nur zwei, drei Laternen hatten ihr Funzellicht auf das Geschehen geworfen, das Jugendrichter Herbener nun aufklären soll. Eine komplizierte Aufgabe.

Denn im Gerichtssaal und beim Tatort-Treffen ist es nicht Lichtmangel, der das Gesamtbild trübt, sondern das Gedächtnisdunkel in den Köpfen. Bei den Opfern - TSV-Torwart Sebastian Müller (18) und sein Vater Dieter (51), TSV-Mittelfeldspieler Michele A. (19) und sein Vater Santo (49) - ebenso wie bei den sechs Angeklagten Gravenbruchern Nandino D., Dennis S., Emre S., Erkan U., Kayahan D. und Ronny C. Bis auf einen Heranwachsenden sind alle Jugendliche, und allen gemeinsam wirft die Staatsanwaltschaft schwere Körperverletzung vor.

Das war es, vor allem im Fall Dieter Müller. Die drei anderen Geprügelten trugen Beulen und Platzwunden davon, aber Müller Senior erlitt einen Schädelbasisbruch. Hirnflüssigkeit lief aus der Nase; es folgten eine komplizierte Operation, Schmerzen, Monate der Arbeitsunfähigkeit. Wer Müller geschlagen, geschubst und, als er schon am Boden lag, gegen den Kopf getreten hat, ist die Kernfrage der Verhandlung.

Bisher ist sie unbeantwortet. Einige Gravenbrucher haben zum Verhandlungsauftakt geschwiegen und überlassen das Reden auch beim Ortstermin ihren Verteidigern. Die anderen scheinen von ihren Anwälten zumindest gelernt zu haben, dass es manchmal von Vorteil ist, sich an die eigene Rolle im Prügel-Drama nicht allzu genau zu erinnern.

Als der Jugendrichter den Angeklagten beim Ortstermin Gelegenheit gibt, die Schilderungen der Zeugen um eigene Erklärungen zu ergänzen, macht keiner den Mund richtig auf. Im Gerichtssaal hatten zumindest einige eingeräumt, beteiligt gewesen zu sein, wenn auch nur mit einem Schlag, einer Ohrfeige, „einem Kick“. Oder sogar als Schlichter im Streit der anderen, die ja vielleicht auch nur die Ehre der angeblich als „Schlampe“ beschimpften Schwester des Angeklagten D. hatten retten wollten.

Und so fügen sich am Tatort zwar einige der Teile zusammen, die noch am ersten Verhandlungstag nicht mal zum gleichen Puzzle zu gehören schienen. Doch um herauszufinden, wer wann wen provoziert oder malträtiert hat, werden mindestens heute noch weitere Zeugen vor Gericht aussagen. Ein rundes Dutzend ist zwischen 9 Uhr und dem späten Nachmittag geladen.

Für die hiesige Sportgerichtsbarkeit war die Wahrheitsfindung im gleichen Fall am 11. Dezember 2007 offensichtlich einfacher gewesen. Da hatten fünf der sechs heute vor dem Jugendschöffengericht angeklagten Gravenbrucher vor dem Kreisrechtsausschuss ausgesagt. Urteile vom 16. Dezember: dreimal fünf, einmal sechs Monate Spielsperre wegen Beleidigung oder Tätlichkeiten. Erkan U. flog „wegen (mehrfacher) Tätlichkeiten in einem besonders schweren Fall“ aus dem Verband. Der SSG wurde neben 650 Euro Geldstrafe eine halbjährige Sperre für ihre A-Jugend auferlegt - die sie allerdings schon vor dem Urteil aufgelöst hatte. In der Urteilsbegründung geht der Ausschuss mit dem Verein hart ins Gericht. „Gem. § 56 (2) i) ist der Platzverein verpflichtet, vor, während und nach dem Spiel für den Schutz der Gegner und des Schiedsrichters bis zur Abreise Sorge zu tragen“, steht da. Und: „Es gab eine Reihe von Hinweisen, dass dem TSV Heusenstamm Gefahr bei der Heimreise drohte.“

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