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Offenbacher Polizeipräsident über Anschlag in Hanau: „Wir sind der Ersatz-Sündenbock“

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Von: Frank Sommer, Matthias Dahmer

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„Auch die Kriminalstatistik ist von Corona geprägt“, sagt Polizeipräsident Eberhard Möller. Er ist der neue Chef des Präsidiums Südosthessen.
„Auch die Kriminalstatistik ist von Corona geprägt“, sagt Polizeipräsident Eberhard Möller. Er ist der neue Chef des Präsidiums Südosthessen. © Sommer

Seit einem halben Jahr ist er im Amt: Eberhard Möller über Perspektiven und die Morde von Hanau.

Offenbach – Seit rund sechs Monaten ist Eberhard Möller Präsident des Polizeipräsidiums Südosthessen (PPSOH), das seinen Sitz in Offenbach hat und demnächst von der Geleitsstraße in einen Neubau am Buchhügel umziehen wird. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) nannte Möller bei dessen Amtseinführung „einen Gewinn für Offenbach“.

Herr Möller, Sie und Ihre Mitarbeiter werden demnächst in einen der modernsten Präsidiums-Neubauten bundesweit einziehen. Wann ist es soweit ?

Der Übergabetermin durch den Generalunternehmer an das Land Hessen soll Mitte Juni sein. Danach fangen wir als Nutzer mit dem Umzug an. Es ist geplant, dass wir am 2. August den Betrieb auf dem Buchhügel aufnehmen.

Das PPSOH ist nur Nutzer, das heißt, Sie können uns auch gar nichts über die Einweihungsparty sagen ?

Selbstverständlich würden wir den Neubau gerne auch mal der Bevölkerung präsentieren, aber das verhindert derzeit Corona. Deshalb wird das wohl eine eher geräuschlose Geschichte werden. Wichtig ist erst mal, dass die die Mitarbeiter, die derzeit auf viele verschiedene Gebäude verteilt sind, ihre lange ersehnte Liegenschaft beziehen können.

Polizeipräsident in Offenbach: Dienstbezirk mit großem Gefälle

Herr Möller, haben Sie sich schon ein Büro im Neubau ausgesucht ?

Das Büro wurde mir ausgesucht. Die Planung läuft ja schon seit Jahren. Es ist ein Büro mit Blick auf Frankfurt und den Feldberg, vor mir direkt die Stadt Offenbach.

Das passt ja. Denn Sie waren schon mal 13 Jahre lang – von 1980 bis 1993 – Polizist in Offenbach. Welche Erfahrungen haben Sie in der Stadt gesammelt ?

Das war meine erste Station nach der Ausbildung. Es waren die Erfahrungen eines jungen Polizisten, der vom Land in die Stadt kommt und mit einer multikulturellen Bevölkerung konfrontiert wird. Das war eine sehr spannende Erfahrung.

Der Zuständigkeitsbereich des PPSOH ist ziemlich groß. Wie gelingt der Spagat zwischen ländlichem und städtischem Raum ?

Das Präsidium hat vor allem eine sehr große Nord-Süd-Ausdehnung. In diesem großen Dienstbezirk haben wir zwei Metropolen: die Stadt Offenbach und die Stadt Hanau. Da gibt es schon ein Gefälle etwa zum nördlichen Main-Kinzig-Kreis. Dort gibt es wenig Bevölkerung auf großer Fläche und natürlich auch wenig Polizei auf großer Fläche. Aber trotzdem muss die Polizei dort präsent sein, wobei die Arbeit auch von den großen Entfernungen geprägt ist. Andererseits ist in den ländlich geprägten Gebieten der Kontakt zu der Bevölkerung ein anderer. Es ist dort nicht so anonym wie in den Großstädten.

Polizei in Offenbach mit vielen Einsätzen

Was gibt es Positives an der Polizeiarbeit in den Städten ?

Die Polizeidichte ist höher, was im Einsatzfall von Vorteil sein kann. Eine Streife, die in Bedrängnis gerät, erhält schneller Unterstützung. Dafür ist die Anzahl der Einsätze wesentlich höher. Im Moment ist das mehr im Bereich Hanau statt in Offenbach konzentriert.

Wie ist denn die personelle Gewichtung ?

Man erkennt das am ehesten an den jeweiligen Dienststärken. Nehmen Sie zum Beispiel Bad Orb: Wenn man dort zwei Streifen rund um die Uhr auf die Straße bringt, dann ist das schon das Maximum. Das heißt, die haben etwa 25 Beamte zur Verfügung. In Offenbach kommt man dagegen mit zwei oder drei Streifen nicht sehr weit. Wenn man das Ganze noch mehr personalorientiert aufteilen würde, müssten noch mehr Beamte in die Stadt. Dann wären aber die kleineren Polizeistationen in der Peripherie nicht mehr lebensfähig.

Wie viele Stellen gibt es eigentlich im gesamten Präsidiumsbereich ?

Durch die Stellenzuwächse dank der Sicherheitspakete des Landes sieht es derzeit wie folgt aus: Wir haben 1810 Mitarbeiter, davon 1530 im Polizeivollzug, 20 Fach- und Verwaltungsbeamte sowie 260 Tarifbeschäftigte. Zu den Letzteren zählen zum Beispiel Angestellte im Geschäftszimmer oder beim Erkennungsdienst sowie die Wachpolizisten. Insgesamt haben wir 16 Polizeidienststellen, die rund um die Uhr erreichbar sind. Diese verteilen sich etwa zu Hälfte auf Offenbach Stadt und Kreis sowie auf Hanau und den Main-Kinzig-Kreis.

Polizei Offenbach hat genügend Bewerber – aber zu wenige Stellen

Wäre noch mehr Personal wünschenswert ?

Grundsätzlich muss man bedenken: Für einen zusätzlichen Polizisten auf der Straße brauche ich aufgrund der Rund-um-die-Uhr-Erfordernis sechs Personen. Für eine Streife mehr sind das schon zwölf Planstellen. Das heißt: Die zusätzlichen Stellen, die wir bekommen haben, machen sich nicht spürbar in der Präsenz sichtbar. Dafür würde ich mir noch ein paar zusätzliche Stellen wünschen. Zumal das auch von der Bevölkerung erwartet wird.

Wie sieht’s mit dem Nachwuchs aus ? Ist der Polizeiberuf noch attraktiv ?

Für den Einstellungstermin September 2021 liegen der Hessischen Polizei bereits 300 Bewerbungen mehr vor, als im Vergleich zum Vorjahr. Dadurch sind wir gut in der Lage, frei werdende Stellen nachzubesetzen. Das mag auch daran liegen, dass wir bei der Werbung verstärkt auf die sozialen Medien setzen.

Kommen wir speziell zu Offenbach: Die Reviere werden im Neubau am Buchhügel zusammengezogen. Fehlt dadurch künftig die Polizeipräsenz in der Innenstadt ?

Wir werden die Innenstadt-Standorte am Mathildenplatz und an der Berliner Straße aufgeben. Es gibt dann ein einziges großes Stadtrevier. Für die City ist geplant, im Stadthaus an der Berliner Straße 60 eine Stadtwache zusammen mit der Stadtpolizei zu installieren. Die Gespräche zwischen dem Land und der Stadt Offenbach dazu laufen. Es wird allerdings nicht zeitgleich mit dem Umzug auf den Buchhügel passieren. Wie wir diesen zeitlichen Versatz auflösen, werden wir mit der Stadt noch besprechen.

Corona in Offenbach: Einfluss auf Statistik der Polizei nur schwer zu benennen

Blicken wir mal auf die Kriminalstatistik. Hat die wegen Corona überhaupt Aussagekraft ?

Die Kriminalität ist mit Sicherheit – wie das ganze Leben – durch die Pandemie beeinflusst worden. Wie genau, das lässt sich nur schwer bestimmen. Auf der einen Seite sind durch Corona Delikte zurückgegangen, auf der anderen Seite gibt es aber auch mehr Kriminalität. Denken sie etwa an die Delikte im Internet. Oder an den Betrug bei den staatlichen Hilfen für Geschäftsleute.

Was ist denn zu den spektakulären Geldautomaten-Sprengungen zu sagen ?

Das ist kein Phänomen, das sich auf Südosthessen beschränkt. Das tritt bundesweit auf. Es handelt sich in der Regel um überregional agierende Banden mit internationalen Strukturen. Weshalb das auch überregional bearbeitet wird. Die Täter gehen brutal vor, sind mit hochmotorisierten Fahrzeugen unterwegs und nehmen bei der Flucht auf nichts und niemanden Rücksicht.

Wie sieht es mit Delikten wie sexuelle oder häusliche Gewalt aus. Gibt es da durch Corona einen Anstieg ?

Die Zahlen zur häuslichen Gewalt bestätigen das nicht. Wobei wir da nur das sogenannte Hellfeld kennen. Das heißt, wir erfahren nur davon, wenn auch Anzeige erstattet wird. Insofern ist da die Statistik nur begrenzt aussagefähig. Was die Sexualdelikte anbetrifft, haben wir in der Tat einen Anstieg. Der hat aber nicht zwingend etwas mit Corona zu tun. Wir bekämpfen seit 2020 nämlich bundesweit sehr viel intensiver den Bereich Kinderpornografie. Wir haben da kräftig aufgerüstet, auch was die Technik angeht. Gesteuert wird der strategische Schwerpunkt vom Landeskriminalamt, in den Präsidien wird es dezentral umgesetzt. Wir haben zu diesem Deliktsbereich in Offenbach und in Hanau besondere Arbeitsgruppen eingerichtet. Das führt auch zur Aufhellung des Dunkelfelds und verursacht so einen Anstieg der Fallzahlen.

Polizei Offenbach: Immer noch keine Akteneinsicht beim Fall Hanau

Ein Thema können auch wir Ihnen nicht ersparen: Es geht um die Morde von Hanau. In einem Interview hatten Sie bedauert, noch keine Akteneinsicht erhalten zu haben. Ist das mittlerweile geschehen ? Gibt es neue Erkenntnisse ?

Es ist nach wie vor so, dass das Ermittlungsverfahren, das beim Generalbundesanwalt geführt wird, uns nicht beteiligt. Wir haben im Kontext des Jahrestages der Morde Akteneinsicht beantragt. Wobei sich diese Einsicht zweckgebunden auf den Bereich der Gefahrenabwehr beschränkt. Genauer gesagt: Welche Gefahren gehen vom Vater des Attentäters aus oder welche Gefahren bestehen auch für ihn. Zu allen anderen Fragestellungen, wie etwa zum Funktionieren des Polizei-Notrufs oder zum Notausgang in der Arena-Bar, zu denen derzeit die Staatsanwaltschaft in Hanau ermittelt, erhalten wir keine Akteneinsicht.

Liegt das daran, dass die Polizei Südosthessen als Betroffene anzusehen ist ?

Nein. Am Tag nach der Tat hat der Generalbundesanwalt die Sache an sich gezogen und mit den Ermittlungen das Bundeskriminalamt beauftragt. Damit waren die örtliche Polizei und das Landeskriminalamt bei den Ermittlungen raus.

Das heißt, die Aufarbeitung der Geschehnisse seitens der Polizei kann erst erfolgen, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind ?

Man muss unterscheiden zwischen der Einsatzbewältigung, sprich dem unmittelbaren Reagieren auf die Gefahrenlage und der anschließenden Ermittlungsarbeit, die schon nicht mehr unter der Regie der südosthessischen Polizei lief. Deshalb sind wir bei Letzterem auch nicht sprachfähig. Die einsatzmäßige Aufarbeitung des Falles ist bei uns schon erfolgt. Ich kann nicht erkennen, dass gravierende Fehler von der Polizei gemacht wurden.

Wie erklären Sie sich dann die massive Kritik der Angehörigen am Agieren der Polizei ?

Die Besonderheit an dem Fall ist: Wir haben keinen Täter, der noch lebt. Es wird also keine öffentliche Gerichtsverhandlung geben, wo alles auf den Tisch kommt. Das ist auch das, was den Angehörigen so zu schaffen macht. Sie haben niemanden, an dem sie ihre Sühnegedanken loswerden können. Ein willkommener Ersatz-Sündenbock ist die Polizei, die in dem Fall agiert hat. Deshalb gib es diese Angriffe und wir können uns nur ganz schlecht dagegen wehren. (Das Interview führten Matthias Dahmer und Frank Sommer)

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