1. Startseite
  2. Offenbach

„Segmented Approach“: Anflugverfahren entzweit Offenbach und Nachbarn

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Martin Kuhn

Kommentare

Das „Segmented Approach“ soll einstweilig untersagt werden. Die Stadt Offenbach kann die Argumentation anderer Kommunen nicht nachvollziehen.

Offenbach – Die Unterlagen sind Freitag am Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingegangen. Stellvertretend für 15 Kommunen haben Neu-Isenburg, Heusenstamm und Rüsselsheim nach eigenen Angaben einen Eilantrag auf Rechtsschutz eingereicht. Darin beantragen sie, das spezielle Verfahren für landende Flugzeuge, „Segmented Approach“, einstweilig zu untersagen. Dieses befindet sich aktuell im verlängerten – und stockenden – Probebetrieb und gilt als „lärmverlagernde Maßnahme“. Die Stadt Offenbach, die wie Hanau direkt unter der Einflugschneise liegt, kann Argumentation und Vorgehen der Nachbarn nicht nachvollziehen.

„Der Segmented Approach entlastet die Hochbetroffenen, ohne andere auch nur annährend mit vergleichbaren Lärmpegeln zu belasten. Deshalb ist dieses Anflugverfahren ein geeignetes Instrument des aktiven Lärmschutzes und der Probetrieb sollte baldmöglichst im vorgesehenen Umfang fortgesetzt werden.“ Diese erste Zwischenbilanz zieht Flughafendezernent Paul-Gerhard Weiß nach rund vier Monaten, in denen die probeweise Anwendung des „Kurvenflugs“ auf die Zeit ab 22 Uhr konzentriert wurde. „Die Erfahrungen aus dieser Zeit zeigen: Die Route konnte präzise und sicher geflogen werden, die Anwendungsquote stieg deutlich an und führte in der Stunde bis 23 Uhr bereits zu einem spürbaren Abschwellen des Verkehrs über Offenbach sowie weitgehender Vermeidung von Überflügen verspäteter Maschinen.“

Zur Entlastung dicht besiedelter Gemeinden im Endanflug wird seit 2011 in Frankfurt ein satellitengestütztes Anflugverfahren angewendet, genannt „Segmented Approach“: Offenbach, Hanau und Maintal bei Betriebsrichtung 25 („Westbetrieb“) sowie Mainz und Bischofsheim bei Betriebsrichtung 07 („Ostbetrieb“). Grafik: Fraport
Zur Entlastung dicht besiedelter Gemeinden im Endanflug wird seit 2011 in Frankfurt ein satellitengestütztes Anflugverfahren angewendet, genannt „Segmented Approach“: Offenbach, Hanau und Maintal bei Betriebsrichtung 25 („Westbetrieb“) sowie Mainz und Bischofsheim bei Betriebsrichtung 07 („Ostbetrieb“). Grafik: Fraport © Privat

Segmented Approach über Offenbach: „Probebetrieb wieder richtig in Gang bringen“

Seit fünf Wochen kann das Verfahren allerdings aus flugverfahrenstechnischen Gründen in Verbindung mit einer verschärften Anwendung internationaler Regelungen (ICAO) kaum noch praktiziert werden. Die Flugsicherung hat eine Lösung erarbeitet und beim Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung eine Abweichung vom ICAO-Regelwerk beantragt, um die Fortsetzung des Probebetriebes zu ermöglichen. „Wir begrüßen die Anstrengungen von Flugsicherung und Ministerium, den Probebetrieb wieder richtig in Gang zu bringen, um weitere betriebliche Erkenntnisse zu gewinnen und die Hochbetroffenen zu entlasten“, so Weiß.

dpa
Um das Anflugverfahren „Segmented Approach“ entspinnt sich im Raum Offenbach im Sommer 2022 eine lebhafte Diskussion. (Archiv) © dpa

Die Klagen der Kreisgemeinden gegen den Probebetrieb sieht der Stadtrat gelassen. Die abgewogenen und zulässigen Lärmwerte, die im Vergleich zu Offenbach niedrig seien, würden nirgends überschritten. Die Behauptung, dass Offenbach und andere Hochbetroffene durch das Anflugverfahren kaum entlastet würden, während Kreisgemeinden dadurch unzumutbare Belastungen erfahren, kann er nicht nachvollziehen: „Es ist genau umgekehrt: Hochbetroffenengebiete können deutlich verringert werden, ohne dass andernorts auch nur vergleichbare Belastungen entstehen. Dies hat das Forum ‚Flughafen und Region‘ in einer unabhängigen Auswertung klar belegt und das objektive Entlastungspotenzial dargestellt. Nur deshalb ist Segmented Approach ja seit Jahren als Maßnahme des Aktiven Schallschutzes anerkannt.“

Segmented Approach

Beim Segmented Approach werden dicht besiedelte Zentren umflogen, um die Anzahl der direkt überflogenen Menschen wenigstens zeitweise erheblich zu verringern. Möglich ist dies, weil mit neuen Navigationsverfahren der Geradeaus-Flug Richtung Süd- und Centerbahn näher an den Flughafen herangelegt werden kann und dann erst westlich von Offenbach beginnt.

Segmented Approach: Offenbach besonders durch Fluglärm belastet

Weiß wiederholt gern, dass Offenbach nach dem Flughafenausbau (die Landebahn Nordwest ging am 20. Oktober 2011 in Betrieb) die Kommune mit den weitreichendsten Belastungen durch Fluglärm sei und mit „einem hohen Dauerschallpegel teils deutlich über der Relevanzschwelle für Gesundheitsgefährdungen“ liege. Die damit verbundenen Bauverbotszonen belasteten zudem die Stadtplanung. „Trotzdem haben wir nie gefordert, diese Belastungen einfach auf andere zu verschieben.“ Denn: „Wir muten niemandem etwas zu, was wir nicht selbst zu tragen bereit sind.“

Die Zahl der Flüge und Werte für die vom segmentierten Anflug betroffenen Gebiete sei nicht ansatzweise mit dem vergleichbar, was Offenbach „zu tragen und ertragen hat“, bleibe meist weit unter dem sogenannten Umgebungslärm. Aktuelle Zahlen von Flughafen-Betreiber Fraport klären, warum das Thema wieder aktueller wird: Das Juni-Aufkommen markierte einen neuen Höchstwert seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Von den Passagierzahlen im Juni 2019 lag der aktuelle Monatswert noch 24,1 Prozent entfernt. Kumuliert übers erste Halbjahr 2022 lag das Fluggastaufkommen bei rund 20,8 Millionen. Das entspricht einem Anstieg von 220,5 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2021. (Martin Kuhn)

Auch interessant

Kommentare