„Ihr werdet Teil der Gesellschaft“

Sie sind zwischen 16 und 19 Jahre alt, stehen kurz vorm Schulabschluss, sind voller Hoffnung und Zukunftspläne. Dabei hat jeder sein eigenes, nicht einfaches Schicksal, musste sein Heimatland verlassen, kam erst vor ein bis zwei Jahren nach Deutschland – meist ohne jegliche Sprachkenntnisse. Es ist beeindruckend, was die Schüler der „11InteA1“ und „11InteA2“ geleistet haben, der beiden Integrationsklassen der Käthe-Kollwitz-Schule. In einer kleinen Ausstellung im Schulfoyer stellen sie seit gestern ihre Herkunftsländer und sich selbst vor.
Offenbach - „Wir wollten, dass sie sich öffnen, auch emotional, und an der Schule sichtbare Spuren hinterlassen“, beschreibt Klassenlehrerin Schafiga Seidel die Idee dahinter. Es sind zwei keine einfachen Schuljahre gewesen: Corona verhinderte zuweilen das gemeinsame Lernen und richtiges Kennenlernen, das gerade für die jungen Leute, die neu sind in einem für sie unbekannten Land, so wichtig gewesen wäre. Mittlerweile wurde es nachgeholt. Die Schüler und ihre Lehrerin sind als Team zusammengewachsen, dessen Zusammenhalt spürbar ist. „Wie eine große Familie“, finden sie.
Das primäre Ziel der Integrationsklassen ist der Erwerb der deutschen Sprache. Im März standen die Prüfungen zum Deutschen Sprachdiplom (DSD) an, auf deren Ergebnisse die Schüler noch warten. Viele von ihnen absolvieren derzeit die Prüfungen zum Hauptschulabschluss, andere können bereits einen Abschluss aus ihrem Heimatland vorweisen, der hier als Realschulabschluss anerkannt wurde. Seidel ist jedenfalls stolz auf ihre Klasse: „80 Prozent haben bereits einen Ausbildungsplatz sicher.“ Im Frühjahr machten sie Betriebspraktika, um die deutsche Arbeitswelt kennenzulernen. Dort werden viele von ihnen im Sommer ihre Ausbildung beginnen. Andere hängen noch ein Berufsvorbereitungsjahr an der Schule dran.
So wie der 18-jährige Wahab, der erst vor 14 Monaten aus Afghanistan nach Deutschland gekommen ist. Er hat zuvor noch nie eine Schule von innen gesehen, konnte weder lesen, schreiben, noch deutsch sprechen. All das hat er in dieser kurzen Zeit an der Käthe-Kollwitz-Schule gelernt. „Ich bin sehr glücklich und dankbar, hier zu sein“, sagt er, will im nächsten Jahr eine Bäcker-Ausbildung beginnen. Das hat mir der Bäcker, wo ich mein Praktikum gemacht habe, angeboten“, freut er sich. Er hofft, nun den Hauptschulabschluss zu bestehen, will danach fleißig weiterlernen. In seinem Land, sagt er, hätte er keine Zukunftsaussichten.
So sehen das auch Leotrim und Daris. Ersterer stammt aus dem Kosovo, zweiterer aus Mazedonien, ihr Herz schlägt für ein gemeinsames Albanien. Beide Freunde tragen einen albanischen Adler als Anhänger um ihren Hals. „Wir werden unsere Heimat nie vergessen, auch wenn wir jetzt hier zuhause sind.“ Das System sei dort ganz anders. Auch wenn man noch so gut sei in der Schule, müsse man die richtigen Verbindungen haben, einflussreiche Leute kennen. „Du hast sonst keine Zukunftsperspektiven.“ Leotrim wird künftig am Sana-Klinikum den Beruf des Pflegefachmanns erlernen, besuchte bereits im Kosovo eine medizinische Schule. Daris hat einen Ausbildungsplatz zum Kaufmann für Büromanagement. Seit zwei Jahren lebt er in Deutschland, jobbte schon früh bei McDonald‘s. „Auch das hat mir geholfen, Deutsch zu lernen. Da musste ich sprechen – irgendwie.“
Geradezu ein Musterbeispiel für gelungene Integration ist Hanieh aus dem Iran. Sie lebte neun Jahre in Dubai, kam vor knapp zwei Jahren nach Deutschland. „Ich konnte deutsch nicht mehr als ,hallo‘ sagen“, blickt sie zurück. Nun wechselt sie ans Gymnasium, will nach dem Abitur Business studieren.
Ihren Mitschüler Ahmad aus Syrien zieht es Richtung Medizin, er beginnt am Sana-Klinikum eine Ausbildung zum Radiologie-Assistenten. Sebastian aus Rumänien strebt eine Ausbildung zum Bürokaufmann bei der Polizei an, Luka wird Mediengestalter, Alex Tierpfleger. Die Serbin Nada indes hat noch keinen Ausbildungsplatz, möchte gern Köchin werden. Zülal und Ajdin machen nun weiter mit der Realschule.
Valeria aus Moldawien betont, wie wertvoll die Schule für alle war – weit über das Deutsch-Lernen hinaus. „Unsere Lehrerinnen haben uns immer motiviert, Mut gemacht. Sie glauben an uns. Das gibt uns Flügel.“ Worte, die nicht nur Schafiga Seidel, sondern auch Schulleiterin Marlies Stülb bewegen: „Wie ihr euch entwickelt habt, ist einfach toll. Ihr werdet ein Teil der Gesellschaft.“
Von Veronika Schade
