Immer mehr Kriegsflüchtlinge in Malteserpraxis

Genug zu tun hat die Praxis der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung (MMM) immer, die offene Sprechstunde am späten Mittwochnachmittag im Ketteler-Krankenhaus ist gut besucht. Ob Obdachlose, Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus oder auch Selbstständige, die nicht für ihre Versicherung aufkommen können – sie alle nehmen die unkomplizierte und kostenlose Hilfe gern an. Doch was diesmal los war, übersteigt das bisher Gewohnte deutlich.
Offenbach - 21 Menschen sind gekommen, davon 16 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. „Vor drei Wochen kamen erstmals sechs Geflüchtete, seitdem werden es immer mehr“, sagt Koordinatorin Gabriele Türmer.
Die Folgen des Krieges bekommen die ehrenamtlichen Helfer unmittelbar zu spüren. Zum einen sind das die menschlichen Schicksale, die nahegehen. Der Zehnjährige, der wegen seines Wasserkopfs dringend neuropädiatrische Behandlung braucht. Die Schwangere, die nach der Flucht nicht weiß, wie es um ihr Ungeborenes steht. Die Siebenjährige, die nach einem positiven Corona-Test bitterlich weint, weil sie nur noch Pech im Leben hat. Zum anderen sind das die Kosten, die in die Höhe schießen. „Es ist ein großer Unterschied zur Flüchtlingswelle 2015“, berichtet Türmer. „Damals sind überwiegend junge, gesunde Männer gekommen. Jetzt aber sind es Frauen, Kinder und ältere Menschen.“
Vor allem Letztere haben oft chronische Krankheiten, benötigen regelmäßige Medikation. „Wir hatten einen Fall, wo ein Medikament für 600 Euro gebraucht wurde. Die Diagnose ließ es nicht zu, auf ein billigeres Mittel umzustellen“, erklärt die Koordinatorin. Gerade zu Beginn ihres Aufenthaltes sind die Flüchtlinge meist noch ohne Krankenversicherung. Zwar haben sie, sobald sie sich registriert haben, Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses umfasst aber nur die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzen, nicht aber von chronischen Erkrankungen. Dafür gibt es kein Geld.
Das ist fatal. Denn werden sie nicht behandelt, können die Betroffenen schnell zu medizinischen Notfällen werden. Bevor das passiert, will man helfen, wie der leitende Praxisarzt Dr. Matthias Zimmer betont. Er und sein Team sowie Offenbachs Sozialdezernent Martin Wilhelm hoffen, „dass bis Anfang April auf Bundes- und Landesebene Lösungsvorschläge erarbeitet werden, damit auch medizinische und pflegerische Behandlungen, die durch die Flucht unterbrochen wurden, schnellstmöglich wiederaufgenommen werden können“, so Wilhelm.
Auf die gerade angekommenen Menschen warten erstmal jede Menge Formalitäten: Bürgerbüro, Kontoeröffnung, Ausländeramt, Sozialamt – das alles muss durchlaufen werden, bis sie ihren Behandlungsschein bekommen. Glück hat, wem dabei jemand zur Seite steht. So wie Ortrun Gutmann, die eine ukrainische Familie bei sich aufgenommen hat: die schwangere Nataliia mit deren Mutter, Sohn und Neffe. Durch Zufall erfuhr sie, dass sie eine Bleibe brauchen, und überlegte nicht lange. „Ich habe oben im Haus eine Gäste-Etage, die leer stand. Und ich bin selbst aus der DDR geflohen, habe anderthalb Jahre in einem Lager gelebt.“ Daher könne sie nachempfinden, wie es den Leuten geht. „Ich kann sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, wenn ich doch helfen kann.“
Auf den Ämtern seien alle sehr freundlich gewesen, lobt die Rumpenheimerin, die zum guten Engel der vier Geflüchteten geworden ist. Zwar sprechen diese weder deutsch noch englisch, doch man verständigt sich mit Händen und Füßen und mithilfe eines Übersetzungsprogramms. „Wir lachen viel. Es macht Spaß, aber auch Arbeit“, sagt Gutmann, die an diesem Tag Nataliia zur Malteserpraxis begleitet. Dort untersucht die Frauenärztin Almut Brückmann sie, die dort mittlerweile fast jede Woche im Einsatz ist – so groß ist der Bedarf. Sie hat Nachrichten, die Hoffnung Dem: dem Baby geht es gut, es wird ein Junge. Nataliias Gesicht strahlt hinter der Maske.
Ein schöner Moment innerhalb einer arbeitsintensiven, langen Sprechstunde. Das Team der Malteser weiß, medizinische Versorgung darf keine Frage des Einkommens oder der Herkunft sein. Aber ohne finanzielle Unterstützung geht es nicht – und die braucht es nun dringend...
Von Veronika Schade