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Grundschuleltern schüren Angst vor Kinderklau in Offenbach

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Von: Christian Reinartz

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Immer wieder kommt es zu grundloser Panik, weil Eltern in Whatsapp-Chatgruppen vor angeblichen Kinderklauern warnen. Schon dreimal ist das zuletzt in Stadt und Kreis Offenbach geschehen.

Offenbach – Das Virus verbreitet sich per Whatsapp. In Elterngruppen, wo Kurznachrichten über Unterrichtsausfall oder Klassenfahrten ausgetauscht werden, löst es in den vergangen Wochen immer wieder Panik bei Müttern und Vätern aus in Stadt und Kreis Offenbach. In einer Nachricht heißt es wörtlich: „Meine Tochter hat heute erzählt, dass sie am Spielplatz der Kita Lachwiesen ein fremder Mann angesprochen hätte und sie in sein Auto locken wollte.“ Die Täterbeschreibung wird mitgeliefert. Eine Halbglatze soll er tragen, Karohemd und grauen Bart.

Während sich das Virus rasend schnell im Whatsapp-Universum der Grundschuleltern Offenbachs ausbreitet, beschließt die Schulleitung nach Absprache mit den Ermittlern, einen Aufklärungsbrief über den angeblichen Vorfall zu schreiben. Währenddessen hat die Polizei mit den Ermittlungen begonnen – mit einerseits beruhigendem, aber auch ernüchterndem Ergebnis. „Es gibt keinen Hinweis auf eine Straftat“, sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Südosthessen und verweist auf ähnliche Fälle in Hainburg und Dreieich. Alle in jüngster Zeit, alle nach demselben Muster. In einem Fall habe sich nach einer Befragung des Kindes herausgestellt, dass es gar nicht zu einer Ansprache gekommen sei.

Kinderklau-WhatsApp in Offenbach: Polizei erteilt Täter-Theorie eine Absage

Der Theorie, dass es sich um einen Täter handelt, der es an verschiedenen Schulen der Region versucht, erteilt die Polizei eine klare Absage. Man habe in keinem der Fälle die „geschilderten Vorkommnisse validieren“ können. Man gehe von einer Panik unter Eltern aus, die sich auch über Ortsgrenzen hinweg verbreite.

Horrorvorstellung von Eltern: Ein Fremder spricht, wie auf dem Symbolbild, ein Kind an und versucht, es mitzunehmen. Immer wieder kommt es wegen solcher Schilderungen zu Panik.
Horrorvorstellung von Eltern: Ein Fremder spricht, wie auf dem Symbolbild, ein Kind an und versucht, es mitzunehmen. Immer wieder kommt es in und um Offenbach wegen solcher Schilderungen zu Panik. (Symbolbild) © panthermedia.net / K.ruzickova.gmail.com

Die Schulleiterin der jüngst betroffenen Ernst-Reuter-Schule kostet das Thema Nerven. „Natürlich nehmen wir so eine Sache immer ernst“, sagt Sabine Henning. Allerdings sei ein ähnlicher Mechanismus bei solchen Schilderungen erkennbar. „Da schreibt ein Elternteil zum Beispiel einen Verdacht in eine Whatsapp-Gruppe und dann verbreitet sich das wie ein Lauffeuer in der ganzen Schule“, erklärt Henning.

Kinderklau-WhatsApp in Offenbach: Manche Eltern überlegen, ihre Kinder zuhause zu lassen

„Das versetzt viele Eltern in Panik, manche erwägen sogar, ihre Kinder zeitweise zuhause zu lassen, oder begleiten sie auf dem Schulweg.“

Wie kann es überhaupt zu einer solchen Falschmeldung kommen? Die Pädagogin berichtet aus ihren Erfahrungen: „Oft liegt der Schilderung ein reales, aber harmloses Ereignis zugrunde.“ So könne einem Kind ein Wagen oder eine Person auffallen. Wenn es das zuhause erzähle, gingen bei vielen Eltern sofort die Alarmglocken los. „Wenn die Kinder dann merken, dass Mama oder Papa aufgeregt nachfragen, ob sie von einem Mann angesprochen worden seien, wollen sie oft den Erwartungen gerecht werden und schildern etwas, das so nicht stattgefunden hat.“

Eltern seien dann schon in Alarmbereitschaft und voller Angst um ihre Kinder, beschreibt Henning die Situation. Sie selbst versuche, durch eine möglichst sachliche Formulierung des Elternbriefs Druck rauszunehmen. „Wir weisen darauf hin, dass es sich erst einmal um eine Schilderung handelt, wir und die Polizei aber keine Kenntnisse über eine wirkliche Bedrohung haben.“ Sie wünsche sich, dass Eltern in Zukunft erst ihre Beobachtungen mit Polizei und Schulleitung teilten. Dann könne man die Situation einschätzen und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. „Wenn aber erst in Whatsappgruppen gewarnt und dann die Polizei informiert wird, ist die Falschmeldung schon im Umlauf, und wir haben eine völlig grundlose Panik in der Schulgemeinde.“ (Christian Reinartz)

Kinderpsychiater über die Hintergründe

Kann es sein, dass Eltern ihren Kindern durch eigene Angst unbeabsichtigt schlechte Erinnerungen quasi in den Mund legen? Der Offenbacher Kinderpsychiater Dr. Thomas Manthey ist überzeugt, dass dies möglich ist. Gerade kleine Kinder seien sehr beeinflussbar. Dies vor allem, wenn Eltern Fragen in der Form stellten, dass sie angenommene Ereignisse schildern. Dabei könne es passieren, dass Kinder die geschilderten Ereignisse in ihre eigene Erinnerung einflechten und künftig als ihre Erinnerung wahrnehmen. Zumal die Kleinen die Aufregung der Eltern spürten und deshalb davon ausgingen, dass irgendetwas passiert sein muss. „So kann sich Realität und Einbildung schnell mischen“, sagt Manthey. Das sei gar nicht ungewöhnlich, der Mechanismus sogar bei Erwachsenen zu beobachten; etwa bei Zeugen, die mit felsenfester Überzeugung Sachverhalte schilderten, die nachweislich so nie geschehen sind.

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