Kein Zutritt beim Arzt mit Blindenhund – „Wie stellen die Leute sich denn so etwas vor?“

Die Offenbacherin Gertrud Frese ist blind. Sie berichtet von ihren Erfahrungen. Der Behindertenbeirat der Stadt fordert mehr Akzeptanz für Blindenführhunde.
Offenbach – Die Begebenheiten, von denen Gertrud Frese zu berichten weiß, machen fassungslos, machen wütend: Frese ist seit der Kindheit blind, ist im Alltag auf einen Blindenführhund angewiesen. In den vergangenen Jahren hat sie jedoch immer wieder Diskriminierung und Beschimpfung erfahren, ihr wurde mit Unverständnis begegnet – Erfahrungen, die viele auf Assistenzhunde angewiesene Menschen bundesweit im Alltag machen. „Mir wurde etwa beim Besuch des Frauenarztes von der Sprechstundenhilfe der Zutritt zur Praxis verweigert“, erzählt die 74-Jährige. „Man sagte mir, ich solle den Hund zu Hause lassen oder auf der Straße abstellen, dann könnte ich hineinkommen – wie stellen die Leute sich denn so etwas vor?“
Auch ein Busfahrer in Offenbach wollte sie, die mit ihrem Begleithund im Bus stand, schon aus dem Fahrzeug werfen, als eine Frau mit Kinderwagen zusteigen wollte – Kinderwagen seien wichtiger als Hunde, argumentierte dieser. „Ich lege es wirklich nicht auf Konflikte an, aber da habe ich darauf beharrt, dass ich das Recht habe, im Bus zu bleiben“, erzählt sie. Frese habe sich dann mit ihrem Blindenhund in den Gang gestellt.
Diskriminierung von Behinderten – oft fehlt es an Wissen und Empathie
Solche Vorfälle gebe es aber deutschlandweit, betont Frese, die sich im Offenbacher Behindertenbeirat und beim Blinden-und Sehbehindertenbund engagiert. Als in einem Café das Personal sich weigerte, sie zu bedienen, da man den Hund nicht dulden wollte, hätten sich mehrere Gäste mir solidarisiert und das Café verlassen.
Streicheln lenkt von unterstützender Arbeit ab
Assistenzhunde sind speziell ausgebildete Hunde, die Menschen mit Behinderungen,
Beeinträchtigungen oder Erkrankungen im Alltag unterstützen. Am bekanntesten ist der Blindenführhund, doch gibt es weitere Spezialisierungen: So gibt es auf Diabetes geschulte Hunde, die Blutzuckerschwankungen ihrer Besitzer erschnüffeln und anzeigen können, auf Epilepsie und Narkolepsie geschulte Tiere können im Notfall Medikamente bringen und sind trainiert, Hilfe zu holen.
Für Menschen mit schweren Mobilitätseinschränkungen werden Assistenzhunde abgerichtet, Türen zu öffnen und zu schließen, Schalter zu betätigen und ihren Menschen beim Ausziehen zu helfen. Weniger bekannt ist der für Gehörlose trainierte Hund, der Geräuschquellen anzeigt. Assistenzhunde müssen von der Krankenkasse genehmigt werden, sie werden im Alter zwischen eineinhalb und drei Jahren ausgebildet. Bei ihren Menschen bleiben sie etwa sechs Jahre, bevor sie in den Ruhestand gehen.
Sobald ein Assistenzhund sein Geschirr trägt, ist er im Einsatz und sollte nicht angesprochen oder gestreichelt werden, da ihn dies von seiner unterstützenden Aufgabe ablenken würde. Assistenzhunde im Einsatz gelten nicht als Tiere, sondern als medizinisches Hilfsmittel – der Zutritt zu Einrichtungen der Allgemeinheit, wie Arztpraxen, Lebensmittelläden oder Museen darf nicht verweigert werden. Heute wird in der Fußgängerzone beim Selbsthilfetag über Assistenzhunde informiert. Informationen: » pfotenpiloten.org
Neben mangelnder Empathie sei es oftmals Unwissenheit, die zu Problemen führe, sagt Frese. Auch Rainer Marx, Vorsitzender des Offenbacher Behindertenbeirats fordert mehr Aufklärung und Sensibilisierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen. „Was viele nicht wissen: Wenn der Assistenzhund im Einsatz ist, gilt er als medizinisches Hilfsmittel, nicht als Hund“, sagt er. Schließlich würde man auch von keinem Rollstuhlfahrer fordern, dass er seinen Rollstuhl vor der Tür abstellt und dann schaut, wie er irgendwie in ein Gebäude kommt. „Man muss begreifen, dass, wer einen Assistenzhund hat, auf diesen auch angewiesen ist“, sagt Marx.
Laut Bundesgesetz dürfe niemand mit einer Behinderung schlechter gestellt werden, medizinische Hilfsmittel sind für den Zugang zur Teilhabe am öffentlichen Leben zulässig, Ausnahmen müssen genauestens begründet sein. Allerdings gibt es viel Unwissenheit über die Situation für auf Assistenzhunde angewiesene Personen. „Das muss sich dringend ändern“, sagt Frese.
Diskriminierung von Behinderten – städtischer Beirat will Situation verbessern
Der Behindertenbeirat möchte die Situation für Menschen mit Assistenzhunden in Offenbach verbessern, Ziel ist es, dass sich Offenbach zur „assistenzhundefreundlichen Kommune“ erklärt. Hanau hat vor einigen Wochen dies als erste hessische Kommune getan – Behörden, Geschäfte, Arztpraxen, Lokale und Kultureinrichtungen wurden über die Rechtslage informiert, mit Aufklebern an der Tür können diese sich als assistenzhundefreundlich ausweisen. „Teilhabe ist ein wichtiger Faktor, wir können es uns nicht leisten, Menschen wegen Vorurteilen auszuschließen“, sagt Frese.
Die Stadt werde das Anliegen wohlwollend prüfen, erklärt Sozialdezernent Martin Wilhelm. Als ersten Schritt werde die Hausordnung in sämtlichen städtischen Gebäuden geändert: Dort ist nur von Ausnahmen für Blindenhunde die Rede, doch mittlerweile gebe es für weitere Aufgabenfelder Unterstützung durch speziell ausgebildete Hunde. Daher wird die Stadt Assistenzhunde explizit in der Hausordnung nennen. „Wer auf einen Assistenzhund angewiesen ist, darf nicht ausgeschlossen werden vom öffentlichen Leben“, sagt Wilhelm. Ob man sich wie Hanau an dem Projekt der Initiative Pfotenpiloten für assistenzhundefreundliche Kommunen beteiligt, müsse noch geprüft werden.
Der Behindertenbeirat hat inzwischen den Hotel- und Gaststättenverband kontaktiert, um für Akzeptanz zu werben, weitere Kooperationen, etwa mit IHK oder Ärzteverband, sind angedacht. (Frank Sommer)
Auch am Offenbacher Hauptbahnhof haben es Reisende mit körperlichen Einschränkungen nach wie vor schwer. Immerhin wurde unlängst eine Studie zur Sanierung des Gebäudes vorgestellt, infolgedessen der Bahnhof barrierefrei werden soll.