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Kollektives Versagen

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Von: Matthias Dahmer

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Seit 2013 hat Sana im Offenbacher Krankenhaus das Sagen. 2010 war das Klinikum vom Altbau (graues Hochhaus) in den Neubau gezogen.
Seit 2013 hat Sana im Offenbacher Krankenhaus das Sagen. 2010 war das Klinikum vom Altbau (graues Hochhaus) in den Neubau gezogen. © Häsler

Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, dass die Stadt Offenbach ihr Klinikum verschenken musste. Für einen Euro ging das Krankenhaus an den privaten Sana-Konzern, an der Stadt blieben Schulden in dreistelliger Millionenhöhe hängen.

Es ist der Gewerkschaft Verdi zu verdanken, dass dieses unrühmliche Kapitel der jüngeren Stadtgeschichte, über das die Politik gerne den Mantel des Vergessens werfen würde, nun noch einmal ins öffentliche Bewusstsein rückt.

„Kein Grund zum Feiern – 10 Jahre Klinikprivatisierung“ lautete die Überschrift einer hoch interessanten Podiumsdiskussion, zu der Verdi am Donnerstagabend in den Bücherturm der Stadtbibliothek eingeladen hatte. Die mehr als 30 Besucher – viele davon mit der Materie aufgrund beruflicher Erfahrungen bestens vertraut – erlebten eine Veranstaltung, bei der ein weiter Bogen gespannt wurde: Das kollektive Versagen im Falle des Offenbacher Klinikums war ebenso Thema, wie der desolate Zustand des gesamten Krankenhauswesens in Deutschland.

Es gibt vermutlich nur wenige, die so nah dran waren, am Geschehen wie Holger Renke. Als seinerzeitiger Betriebsratsvorsitzender des Klinikums kämpfte er um den Erhalt des Krankenhauses in kommunaler Hand.

Was den Verkauf selbst angehe, so Renke, könne man der Stadt keinen Vorwurf machen. Das sei alles auf Druck des Landes passiert. Verantwortlicher hessischer Sozialminister damals: Stefan Grüttner, zugleich CDU-Chef in Offenbach.

Fehler wurden vor dem Verkauf gemacht

Die Fehler, sagt der Ex-Betriebsratschef, seien vorher gemacht worden. So habe etwa 2003 die Entscheidung für einen rund 140 Millionen Euro teuren Neubau (der tatsächlich dann 180 Millionen kostete) dazu geführt, dass die Stadt einen Kredit über 90 Millionen aufnehmen musste. Das Land steuerte lediglich 50 Millionen verteilt auf Jahre bei. Hinzu kam: „Die Aufsicht der Politik über das Krankenhaus war nicht ganz so optimal“, formuliert Renke noch vorsichtig. Der damalige Geschäftsführer Hans-Ulrich Schmidt habe zum Beispiel mit überflüssigen und teuren Planungen für ein Protonen-Zentrum dazu beigetragen, dass sich die Situation nicht verbessern konnte. Um die Bilanzen für die Stadtverordneten zu schönen, seien zum Jahresende hochwertige Geräte verkauft und dann teuer zurück geleast worden. Das gleiche Spiel habe bereits ein Jahr zuvor mit OP-Besteck stattgefunden. Renke: „So hat die Stadt Millionen um Millionen Defizit ausgleichen müssen.“ Hans-Ulrich Schmidt, der 2011 gefeuert wurde, sei im Übrigen der einzige Geschäftsführer gewesen, der sich zwei Sekretärinnen und teure Apple-Produkte in seinem Büro geleistet und zugleich von den Mitarbeitern Gehaltsverzicht gefordert habe. „Wir haben als Betriebsrat die Road-Show bei der lokalen Politik gemacht. Die wussten alle über die Verhältnisse Bescheid“, betont Renke. Als der Verkauf dann beschlossen war, hätten sich zwei Bewerber gemeldet: die Krankenhaus-Konzerne Sana und Asklepios. Sana habe letztlich den Zuschlag erhalten, weil es weniger verlangt habe, so Renke. Zusätzlich zur Schuldenübernahme durch die Stadt wollte Asklepios nämlich weitere 300 bis 400 Millionen Euro für die Übernahme des Krankenhauses.

So wurde das Städtische Klinikum Offenbach 2013 für einen Euro an die Sana AG verkauft. Seinerzeit laut Renke im Aufsichtsrat von Sana: Silke Lautenschläger, bis Mitte 2010 hessische Ministerin im Kabinett von Roland Koch. Die Schulden übernahm die Stadt und verzichtete gleichzeitig auf Gewerbesteuereinnahmen für die ersten zehn Jahre.

Schaden von 435 Millionen Euro

Laut dem Recherchenetzwerk correktiv.org verursachte dies einen Schaden von 435 Millionen Euro (50 Millionen beim Land und 385 Millionen bei der Stadt, die immer noch zehn Prozent am Klinikum hält). Ab dem Jahr 2015 machte das Klinikum – wie bereits vor der Übernahme prognostiziert – Gewinne. Investitionen konnten aus Fördermitteln des Landes bestritten werden.

Hilke Sauthof-Schäfer, für den Krankenhaus-Sektor zuständige Gewerkschaftssekretärin von Verdi, zeichnet ein düsteres Gesamtbild: Die Kliniken stünden personell vor dem Kollaps – sowohl bei der Pflege als auch bei den Ärzten. Organisatorisch seien die jeweiligen Häuser zergliedert, ähnlich der Gewerke im Handwerk, es zähle nur noch der Gewinn. „Ein Krankenhaus wird nicht mehr als Gesamtheit betrachtet“, so Sauthof-Schäfer.

Einst Gewinnverbot für Krankenhäuser

Holger Renke weist darauf hin, ein kommunales Krankenhaus müsse nicht zwangsläufig Miese machen. Als Beispiel nannte er Hanau und Rüsselsheim. Gleichwohl schreite in Deutschland die Privatisierung voran. Nur noch 22 Prozent der Häuser seien in öffentlicher Hand. Renke: „In Deutschland gibt es prozentual mehr private Kliniken als in den USA.“

Bei den Wegen aus der aktuellen Krise sind die Fachleute skeptisch. Die Politik sei derzeit kaum für das drängende Thema zu begeistern, es fehle der Wille zu Veränderungen. Was wünschenswert wäre, hatte gleich zu Beginn Bernhard Winter, Co-Vorsitzender des Vereins demokratischer Ärzte, bei einem Blick zurück skizziert: Bis Anfang der 1970er-Jahre gab es tagesgleiche Pflegesätze, die duale Finanzierung der Häuser teilten sich Bund und Länder (Investitionen) mit den Krankenkassen (Betriebskosten), es gab ein Gewinnverbot – und so gut wie keine privaten Kliniken.

Fachleute diskutierten auf Einladung von Verdi im Bücherturm der Stadtbibliothek.
Fachleute diskutierten auf Einladung von Verdi im Bücherturm der Stadtbibliothek. © dahmer

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