1. Startseite
  2. Offenbach

„Pyromanie nur selten Diagnose“: Lydia Benecke erklärt, wie Brandstifter ticken

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Christian Reinartz

Kommentare

Im Kreis Offenbach häuften sich in den vergangenen Wochen Fälle von Brandstiftung. Kriminalpsychologin Lydia Benecke klärt auf, wie die Täter ticken.

Offenbach/Heusenstamm – Immer wieder brennt es in den Wäldern und auf den Feldern der Region in den vergangenen Wochen lichterloh. Im Fokus stehen dabei vor allem die Kommunen Heusenstamm und Hainburg im Kreis Offenbach. Längst ermittelt die Polizei in Richtung eines Feuerteufels. Währenddessen halten die Menschen im Kreis Offenbach den Atem an und warten nur darauf, dass wieder die Sirenen losgehen. Wir haben deshalb mit der Kölner Kriminalpsychologin Lydia Benecke gesprochen. Sie erklärt, wie Pyromanen ticken, was sie antreibt und warum gerade Feuer sie so fasziniert.

Was treibt Brandstifter überhaupt an?

Menschen, die Brandstiftungen begehen, tun dies aus unterschiedlichen Gründen, wobei unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt werden. Manchmal wird Brandstiftung als Mittel zur Erreichung eines bestimmten Ziels eingesetzt. Hierzu gehören beispielsweise Brandstiftungen im Rahmen von Versicherungsbetrug, wobei in diesen Fällen die finanzielle Bereicherung im Vordergrund steht. Manche Menschen begehen Brandstiftung auch im Rahmen einer anderen Straftat, um deren Beweismittel zu vernichten. Brandstiftung kann aber auch ein Mittel des Vandalismus sein oder genutzt werden, um sich zu rächen.

Aber diese Motive stehen bei den aktuellen Fällen im Kreis Offenbach nicht im Fokus der Ermittlungen.

Für einige Menschen ist die Brandstiftung an sich das Ziel. Manche erleben hierdurch eine Form von Kick oder bauen innerer Spannung ab oder fühlen sich durch die Brandstiftung mächtig und hierdurch aufgewertet. Grundlage von Brandstiftungen kann aber auch eine Mischung von Motiven sein.

Aber was ist die Ursache für dieses Handeln?

Die Forschung zum Thema verlief über lange Zeit eher schleppend, doch in den vergangenen beiden Jahrzehnten haben die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Modelle zum Themengebiet der Brandstiftung und ihrer Hintergründe deutlich zugenommen. Inzwischen geht man davon aus, dass es nicht eine Ursache für Brandstiftungen gibt, sondern vielmehr komplexe Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Risikofaktoren in jedem einzelnen Fall eine Rolle spielen.

Lydia Benecke Kriminalpsychologin
Kriminalpsychologin Lydia Benecke klärt im Interview auf, wie Brandstifter ticken. © Manfred Esser

Brandstiftung im Kreis Offenbach: „Stimmungsaufhellenden Kick verschaffen“

Nennen Sie uns ein paar dieser Risikofaktoren.

Einige der möglichen Risikofaktoren sind Schwierigkeiten damit, die eigenen Gefühle angemessen zu regulieren und Probleme zu lösen, ein niedriges Selbstwertgefühl, persönliche Erfahrungen mit Feuer sowie aktuelle Schwierigkeiten, die negative Gefühle auslösen. So könnte beispielsweise jemand, der häufig stark negative Gefühle empfindet, den eigenen Problemen hilflos gegenübersteht und sich von anderen leicht gekränkt fühlt, nach einem aktuellen Misserfolgserlebnis Brandstiftung dazu nutzen, um sich einen stimmungsaufhellenden Kick zu verschaffen, sich zu rächen und sich gleichzeitig durch das Gefühl von Macht aufzuwerten.

Aber warum gerade mit Feuer?

Manche Menschen, die Brandstiftungen begehen, entdecken irgendwann in ihrem Leben eine Faszination für Feuer. Sie nehmen es als angenehmen Sinnenreiz wahr, durch den sie sich besser fühlen. Dies allein reicht aber nicht aus, um Brandstiftungen zu erklären. Auch hier kommen weitere Faktoren hinzu, die dazu führen, dass die Person sich dafür entscheidet, durch Brandstiftung die eigenen Gefühle zu regulieren und dabei sowohl anderen zu schaden, als auch eine Straftat zu begehen.

Sind Brandstifter immer krankhafte Pyromanen?

Das ist eine sehr verbreitete Fehlannahme. Pyromanie wird bei brandstiftenden Menschen nur sehr selten diagnostiziert. Betroffene legen mehrfach absichtlich Feuer, wobei sie sich vorher sehr angespannt oder emotional sehr aufgewühlt fühlen. Die Personen sind von Feuer und Dingen, die mit diesem zusammenhängen, angezogen und fasziniert. Während sie das Feuer legen, seiner Verbreitung zusehen oder sich anschließend sogar an den Folgen beteiligen – beispielsweise beim Brandlöschen – , fühlen sie sich sehr gut, befriedigt oder entspannt. Sie nutzen das Feuer nicht, um ein anderes Ziel wie die Befriedigung von Habgier oder Rache zu erreichen. Sehr wichtig für die Diagnosestellung ist, dass das Feuerlegen nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärt werden kann.

Das ist Lydia Benecke

Lydia Benecke, Jahrgang 1982, ist seit 2009 ist als Diplom-Psychologin mit Arbeitsschwerpunkt im Bereich der Gewalt- und Sexualstraftaten tätig. Sie arbeitet in einer Ambulanz für Sexualstraftäter mit erwachsenen Tätern und sexuell straffälligen Jugendlichen sowie in einer Sozialtherapeutischen Anstalt mit männlichen Gewaltstraftätern. Ihre wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte und Interessengebiete liegen in den Bereichen der Tätertypologien im Kontext von Persönlichkeitsstilen bis Persönlichkeitsstörungen und Traumafolgestörungen sowie Paraphilien (Störungen der Sexualpräferenz). Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit der psychologischen Betrachtung von Sekten und Glaubensgemeinschaften sowie der

„Satanic Panic“

Im Rahmen ihrer Beratungs- und Fortbildungstätigkeit im Kontext der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, in deren Wissenschaftsrat sie seit 2015 ist, beschäftigt sie sich mit Fragestellungen innerhalb der Themengebiete „abergläubische Überzeugungen“, „Verschwörungsideologien und Verschwörungsmythen“ sowie „Subkulturen“.

Genau dies ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Diagnose insgesamt nur sehr selten gestellt wird. Auch, wenn die meisten brandstiftenden Menschen keine Pyromanie aufweisen, so zeigen viele von ihnen doch ein mehr oder weniger ausgeprägtes Interesse an Feuer. In einer jüngeren Untersuchung wurde beispielsweise nachgewiesen, dass inhaftierte Männer mit Verurteilung wegen Brandstiftung stärker als jene ohne ein entsprechendes Delikt in der Vorgeschichte Feuer als Bewältigungsstrategie nutzten und sich mit Feuer identifizierten.

Psychische Störungen typischerweise nicht die Ursache von Brandstiftung

Unter welchen psychischen Störungen leiden Brandstifter sonst noch?

Die meisten psychisch erkrankten Menschen begehen keine Brandstiftungen. Dennoch gibt es psychische Störungen, die in manchen Fällen mit Brandstiftung in Zusammenhang stehen. Dabei sind die psychischen Störungen typischerweise nicht die Ursache für die Brandstiftung. Sie können die Wahrscheinlichkeit einer Brandstiftung dann erhöhen, wenn die Person andere Besonderheiten aufweist, die sie anfällig für die Idee machen, Feuer zu legen. Eine andere Besonderheit kann beispielsweise eine bestimmt Erfahrung sein, die in der Vergangenheit mit Feuer gemacht wurde oder ein besonderes Interesse für Feuer.

Was heißt das konkret?

Bei etwa einem Drittel der Personen, die eine Geschichte von Brandstiftungen aufweisen, wird eine Persönlichkeitsstörung festgestellt. Hierbei kann es sich um eine klar festgestellte Persönlichkeitsstörung handeln, oder es können Merkmale unterschiedlicher Persönlichkeitsstörungen kombiniert sein. Eine häufig in der Fachliteratur mit Brandstiftung in Zusammenhang gebrachte Persönlichkeitsstörung ist die antisoziale Persönlichkeitsstörung, die auch dissoziale Persönlichkeitsstörung genannt wird. Personen mit dieser Störung sind sehr bedürfnisorientiert, wobei es ihnen leicht fällt, anderen zu schaden, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Sie fühlen sich dann nicht schuldig und übernehmen nicht die Verantwortung für ihr Verhalten. Typischerweise werden sie mehrfach und mit unterschiedlichen Delikten straffällig, lassen sich aber von Strafen nicht beeindrucken und setzen daher ihr Verhalten immer weiter fort.

Häufig sind sie schnell frustriert und reizbar, was unterschiedliche aggressive Verhaltensweisen auslösen kann. Eine andere Persönlichkeitsstörung, die gelegentlich im Kontext anderer Faktoren in Zusammenhang mit Brandstiftung stehen kann, ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die meisten von dieser Persönlichkeitsstörung betroffenen Menschen begehen weder Brandstiftungen noch andere Straftaten. In seltenen Fällen können allerdings Aspekte der Persönlichkeitsstörung wie Impulsivität, starke Wut und Schwierigkeiten, Gefühle angemessen zu regulieren, mit anderen Faktoren zusammen zu Brandstiftung beitragen.

Gibt es noch weitere Diagnosen?

Manche Menschen, die Feuer legen, leiden an psychotischen Erkrankungen. Ihre Realitätswahrnehmung ist stark verzerrt, sodass sie Entscheidungen treffen können, die nur innerhalb ihrer subjektiven Realitätswahrnehmung für sie persönlich Sinn ergeben. Es kann beispielsweise sein, dass sich eine betroffene Person verfolgt und bedroht fühlt und irrational handelt, weil sie auf die vermeintliche Gefahr reagiert. Hierbei kann es zu aggressivem Verhalten kommen. Auch affektive Störungen werden bei einigen brandstiftenden Menschen festgestellt. Die Stimmung der betroffenen Personen ist in relevantem Ausmaß verändert, was sich auf ihr Denken und Handeln auswirkt und zu Funktionsbeeinträchtigungen führt.

So leiden manche Personen an depressiven Symptomen, ihre Stimmung und ihr Antrieb sind dann also niedergedrückt. Andere Personen weisen manische Symptome auf, wobei ihre Stimmung euphorisch bis reizbar ist und sie sich übermäßig aktiv verhalten. Bei einer bipolaren Störung kommen sowohl Phasen mit depressiven als auch mit manischen Symptomen vor. Auch Angststörungen, bei denen Betroffene unangemessene Ängste empfinden, die zu Beeinträchtigungen führen, werden gelegentlich bei brandstiftenden Menschen festgestellt.

Nur die wenigsten Brandstifter sind Pyromanen, sondern haben eine andere psychische Störung.
Nur die wenigsten Brandstifter sind Pyromanen, sondern haben eine andere psychische Störung. © PantherMedia/rbkomar

Brandstifter haben „tendenziell schwerwiegendere ungünstige Kindheitserfahrungen gemacht“

Aber nicht jeder Erkrankte legt doch gleich Feuer, oder?

Die meisten Menschen, die unter psychotischen Erkrankungen, affektiven Störungen oder Angststörungen leiden, begehen allerdings keine Straftaten. Auch hier sind also andere Faktoren entscheidend dafür, dass einige wenige Betroffene Brandstiftungen begehen. Da brandstiftende Menschen häufig ungünstige Erfahrungen in ihrer Kindheit und Jugend machten, kann es auch sein, dass diese Erfahrungen bei einigen von ihnen die Entwicklung psychischer Störungen begünstigten, ohne dass diese einen relevanten Effekt auf das Brandstiften an sich haben müssen.

Gibt es Auffälligkeiten in den Lebensgeschichten der Täter?

Die Forschungslage legt nahe, dass Menschen, die wiederholt Brandstiftungen begehen, häufig ungünstige Kindheitserfahrungen gemacht haben. Hierzu gehören Vernachlässigung, körperliche und/oder sexuelle Misshandlungen. Entsprechende biografische Erfahrungen sind bei Menschen, die schwere Straftaten begehen, allgemein häufiger zu finden. Die Forschung bezogen auf Brandstiftungen legt nahe, dass Menschen, die häufiger Brände legen, tendenziell schwerwiegendere ungünstige Kindheitserfahrungen gemacht haben.

Aber nicht jeder, der so etwas erlebt hat, wird doch gleich Feuer legen.

Selbstverständlich sind auch ungünstige Kindheitserfahrungen für sich genommen keine hinreichende Erklärung für Brandstiftung. Auch hier müssen weitere Faktoren wie beispielsweise prägende Erfahrungen mit Feuer hinzukommen. Entsprechende Kindheitserfahrungen können natürlich auch nicht als Entschuldigung dienen, wenn die Person sich im Klaren darüber war, was sie tat und sich bewusst dafür entschieden hat. Dennoch zeigt die Forschungslage auch hier, dass die beste Prävention auch in diesem Bereich von Straffälligkeit der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor ungünstige Kindheitserfahrungen ist.

Immer wieder Feuerwehrleute als Brandstifter

Und was ist mit dem Rest?

Bei etwa zwei Dritteln der Personen, die Brandstiftung begangen haben, finden sich Auffälligkeiten bezogen auf den Gebrauch von Alkohol und/oder Drogen. Substanzmissbrauch oder Substanzabhängigkeit spielen also in einer relevanten Anzahl der Fälle eine Rolle. Sie können im Zusammenhang mit anderen zugrunde liegenden Risikofaktoren enthemmend wirken.

Warum sind es immer wieder Feuerwehrleute, die Brände legen?

Die meisten Menschen, die Feuer legen, sind nicht für die Feuerwehr tätig. Doch es gibt international das bekannte Phänomen von für die Feuerwehr arbeitenden Menschen, die Brände legen, um sich anschließend im Rahmen der Löscharbeiten selbst heldenhaft in Szene zu setzen. In diesen Fällen können beispielsweise Bedürfnisse nach Kicks, Macht aber auch Beachtung und Aufwertung durch andere befriedigt werden. Eine Studie des FBI aus dem Jahr 2003 ergab, dass es sich bei den untersuchten brandstiftenden Feuerwehrleute häufig um junge Männer handelte.

Viele stammten aus belasteten Familien, die von emotionaler Instabilität geprägt waren. Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen waren auch im Erwachsenenalter häufig instabil, einige neigten übermäßig dem Alkohol zu. Bei der Entscheidung, für die Feuerwehr tätig zu sein, stand für sie das Bedürfnis nach aufregenden Erfahrungen im Vordergrund. Zusammenfassend können in diesen Fällen also Risikofaktoren wie Selbstwertprobleme, Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen, aber auch eine Faszination für Feuer und das Bedürfnis nach aufregenden Erlebnissen eine Rolle spielen. (Das Gespräch führte Christian Reinartz)

Auch interessant

Kommentare