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Anfeindungen und Einschüchterungen: Lebensmittelretter im Nordend geben auf

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Von: Veronika Schade, Christian Reinartz

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Im Offenbacher Nordend verteilten die Lebensmittelretter kostenlos Produkte, um sie vor dem Wegwerfen zu retten. Jetzt stellen sie die Abgabe im Stadtteilbüro ein.

Offenbach - Der „Fairteiler“ und die „Küche für alle“ (Küfa) im Offenbacher Nordend sind gescheitert. Offenbar haben interne Streitigkeiten über die Verteilpraxis im Verein dazu geführt, dass das Projekt, das seit Jahren von Offenbachern stark genutzt wurde, nun eingestellt worden ist. Dabei war die Idee dahinter so vielversprechend: Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden, an Menschen verteilen, die sie noch verwerten. Oder diese gemeinsam kochen und essen.

Der „Fairteiler“ und die Küfa waren fünf Jahre lang eine feste Institution im Stadtteilbüro Nordend. Federführend war die Organisation „Foodsharing Offenbach“, die damit nicht nur etwas Gutes für bedürftige Menschen tat, sondern auch ihr eigenes Hauptanliegen erfüllte – der Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken.

Offenbach: Lebensmittelretter spricht von Anfeindungen

Eine schöne Aktion, von der man meinen müsste, dass alle profitieren. Doch Nico Hauser, Vorsitzender der Offenbacher Essensretter, hat nun überraschend die Reißleine gezogen: „Leider müssen wir mitteilen, dass die Küfa im Stadtteilbüro Nordend ab sofort nicht mehr stattfinden kann. Auch der Fairteiler dort ist außer Betrieb.“

Seine Begründung: Seit einiger Zeit gebe es Versuche – und das nicht nur seitens der Abholer –, den Organisatoren durch Druck, Einschüchterung, zum Teil sehr persönliche Anfeindungen oder Androhung von Strafanzeigen dazu zu bewegen, dass sie „besonders viele“ oder „hochwertigere“ Lebensmittel für bestimmte Personengruppen reservieren und bevorzugt an diese abgeben. „Das widerspricht komplett unserem Selbstverständnis und den Regeln, nach denen wir handeln“, so Hauser. „Das kann und wird so von uns nicht erbracht werden.“

Die Lebensmittelretter im Nordend Offenbach stellen den Betrieb ein – Zuletzt gab es auch Streitigkeiten um die Abgabepraxis.
Die Lebensmittelretter im Nordend Offenbach stellen den Betrieb ein – Zuletzt gab es auch Streitigkeiten um die Abgabepraxis. © p

Lebensmittelretter in Offenbach: Kein Anspruch auf Abgabe bestimmter Produkte

Um welche Personengruppen es sich handelt oder was genau geschah, konkretisiert er nicht. Für die Helfer, betont er aber, zähle nicht sozialer Status, Herkunft oder Religion. „Wir haben weder die Möglichkeit noch das Recht, eine Bedürftigkeit der Abholer festzustellen.“

Für niemanden bestehe ein Anspruch auf Abgabe bestimmter Lebensmittel. Leider seien alle Gesprächsversuche erfolglos geblieben, sodass diese Angebote am bisherigen Ort künftig nicht mehr möglich seien. „Das finden wir sehr bedauerlich.“

Offenbach: Lebensmittelretter streiten über Essensverteilung

Aber nicht alle im Verein waren wohl Hausers Ansicht. Der ehemalige Küfa-Organisator Gero von Thorn sagt, dass die ideologischen Vorgaben des Vereinsvorstands in der Realität nicht wirklich umsetzbar waren. „Wenn da 30 Leute für Lebensmittel angestanden haben und der erste in der Schlange nimmt gleich alle 30 Brötchen mit, dann sorgt das verständlicherweise für einen großen Unmut.“

Die Organisatoren vor Ort hätten deshalb versucht, die Ausgabe zumindest so zu steuern, dass jeder die Chance hatte, etwas mitzunehmen, sagt von Thorn. „Aber das war vom Vereinsvorstand ganz offensichtlich nicht gewünscht gewesen“, sagt er. Dass der die ganze Ausgabe und die Küfa dichtgemacht habe, sei ein Schlag für den Stadtteil.

Das steckt hinter Foodsharing

Foodsharing arbeitet als Umweltorganisation aktiv gegen die Verschwendung verzehrfähiger Lebensmittel und die damit einhergehende Verschwendung natürlicher Ressourcen. Ihrer eigentlichen Aufgabe, der Vermittlung von Wertschätzung gegenüber vermeintlich unbrauchbaren Nahrungsmitteln und ihre Rettung vor der Tonne, gehen die rund 60 Offenbacher Foodsaver trotz der Schließung ihrer Ausgabestelle im Nordend weiterhin nach.

Dafür holen sie aus etwa 20 Betrieben in Stadt und Kreis nicht mehr verkäufliche, aber trotzdem noch essbare Lebensmittel ab – pro Woche rund zwei Tonnen. Sie geben Wissen zu Umgang, Lagerung und Verarbeitung weiter und verteilen die geretteten Waren unentgeltlich an Interessierte. Das Motto: „Verwenden statt Verschwenden“.

Offenbach: Quartiersmanager sieht keine Drohungen gegen Lebensmittelretter

Bedauerlich findet das auch Marcus Schenk, Quartiersmanager im Nordend. Die Aussagen Hausers kann er nicht bestätigen: „Ich bin dienstagabends oft noch im Büro, konnte die Ausgabe beobachten. Die Stimmung war gut und die Leute haben das Angebot sehr begrüßt.“ Kleinere Differenzen seien zwar nicht ausgeblieben. „Es kann schon mal vorkommen, dass mehrere Leute ein bestimmtes Produkt haben wollen, von dem aber nicht genug vorhanden ist“, berichtet er.

Aber dass es ernsthafte Streitigkeiten oder gar Drohungen und Anfeindungen gegeben hätte, habe er nicht mitbekommen, auch nicht im Gespräch mit den Foodsavern. Jetzt werde er schauen, ob andere Organisationen oder Vereine bereit seien, die Essensausgabe zu übernehmen.

„Unsere Räume stehen weiterhin zur Verfügung, die Regale sind noch da, wo Lebensmittel abgegeben werden können. Und Nachfrage ist definitiv vorhanden.“ Es sei schade, wenn das schöne und wichtige Angebot nicht beibehalten werden könnte. „Ich bin da ganz offen, auch Foodsharing kann es gern noch überdenken und die Zusammenarbeit fortsetzen.“ (Von Veronika Schade und Christian Reinartz)

Auch ein Lebensmittelladen für Bedürftige im Kreis Offenbach steht derzeit von Problemen – ihn erreichen nicht mehr ausreichend Produkte, um die steigende Nachfrage zu decken.

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