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Gewollter Leerstand: Kinderärztin berichtet - Daran scheitert Praxiseröffnung in Offenbach

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Von: Veronika Schade

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Eine Ärztin mit zugesprochenem Sitz scheitert an der Eröffnung einer Praxis.
Eine Ärztin mit zugesprochenem Sitz scheitert an der Eröffnung einer Praxis. © häsler

Die Stadt Offenbach benötigt mehr Kinderärzte, doch der Immobilienmarkt für Praxisräume ist schwierig.

Offenbach - Offenbach braucht mehr Kinderärzte. Wie berichtet, arbeiten die Praxen an der Belastungsgrenze: Es gibt zu wenig Personal für die steigende Zahl an Patienten, es fehlen Nachfolger für Mediziner, die in Ruhestand gehen. Doch zugleich scheitert eine Ärztin mit zugesprochenem Sitz an der Eröffnung einer Praxis. Der Immobilienmarkt für Praxisräume, sagt sie, ist in Offenbach eine Katastrophe.

Der Reihe nach: Bei unserer Zeitung meldet sich eine Kinderärztin (Name ist der Redaktion bekannt), die mit 55 Jahren sehr erfahren ist, viele Jahre in einer Klinik im Rhein-Main-Gebiet tätig war. Als sie dort wegen der Politik der Geschäftsführung zusehends unzufriedener wurde, verließ sie diese vor zwei Jahren und arbeitet seitdem als Freelancerin, springt ein, wo Bedarf besteht. „Springer, die aushelfen und Löcher stopfen, werden immer gesucht, das spricht sich rum und ich hatte mehr als genug zu tun“, berichtet die Darmstädterin. Doch als ihr beim Durchblättern des Hessischen Ärzteblatts ein freier KV-Sitz (Kassenärztliche Vereinigung) in Offenbach auffällt, geht ihr dieser nicht mehr aus dem Kopf. „Ich kenne Offenbach ganz gut durch meine Springer-Arbeit und durch Notdienste. Es kam mir vor wie ein Schicksalswink, auch wenn es eigentlich nie mein Wunsch war, mich niederzulassen.“ Sie bewirbt sich.

Praxiseröffnung in Offenbach: Schwieriger Immobilienmarkt

Und tatsächlich, im April wird ihr seitens der KV der Sitz zugesprochen. Das bedeutet für sie, von null auf alles aufzubauen. „Ich habe ja gar nichts. Keine Mitarbeiter, keine Patienten und vor allem keine Räume. Ich kann nicht einfach die Tür aufschließen und loslegen.“ Damit beginnt ein Unterfangen, das sie so manches Mal verzweifeln lässt.

Sie hat bereits bei der KV einen Antrag auf Verschiebung des Antritts gestellt, hat bis Januar Zeit, ihre Arbeit aufzunehmen. Die 55-Jährige weiß: Bis eine Praxis richtig läuft und sich finanziell trägt, kann es zwei Jahre dauern. Deshalb ist ihre Idealvorstellung, sich mit einem anderen Arzt eine Praxis zu teilen, sie gemeinsam aufzubauen, sich das Personal zu teilen. „Das werden sehr arbeitsintensive, herausfordernde Jahre, das hätte ich gern mit jemandem zusammen gemacht. Die Belastung und das Risiko müssen überschaubar bleiben, zumal meine Berufsperspektive ja nur noch zehn bis zwölf Jahre sind.“ Doch die Idee erweist sich als unerfüllbar. „Auf meine Anzeige hat sich keiner gemeldet.“

Die Ärztin beschließt, es allein zu wagen, beginnt mit der Raumsuche. Sie durchforstet das Internet, gibt eine Suchanzeige auf, meldet sich bei Maklern, Hausverwaltungen, Vermietern. „Räume zu finden, die die Anforderungen an eine Kinderarztpraxis erfüllen und bezahlbar sind, ist ein Riesenproblem“, so ihr ernüchterndes Fazit nach bisher vergeblicher Suche. Rückmeldungen erfolgen meist nach langer Wartezeit oder überhaupt nicht, bei den wenigen Besichtigungen war nichts Passendes dabei.

Praxiseröffnung in Offenbach: Gewerbeflächen und Büroräume stehen leer

Zugleich wundert sie sich, warum so viele Gewerbeflächen und Büroräume leerzustehen scheinen, aber dennoch Praxisräume kaum zu bekommen sind. In einem Gebäude, das sie kennt, da sich dort bereits eine Kinderarztpraxis befindet, fallen ihr freie Flächen auf, mindestens vier Einheiten. „Die hätten perfekt gepasst und auch die andere Praxis hätte das begrüßt.“ Sie bekundet Interesse. Bis ein Frankfurter Makler mit ihr Klartext redet. Sie erinnert sich noch genau: „Er sagte, ich erkläre Ihnen jetzt mal was. Das sind alles Umsatzsteuer-Objekte von Investoren, die haben da eine Menge Geld investiert und Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückbekommen.“ Wenn sie da als Ärztin reingehe, die keine Umsatzsteuer bezahle, sondern in der Regel Einkommenssteuer, dann generiere sie für den Investor einen „Umsatzsteuerschaden“, den er dem Finanzamt zurückzahlen müsse – und daran sei niemand interessiert. Daher lasse man die Immobilie lieber leer stehen. „Ich dachte, ich falle vom Glauben ab. Das kann nicht wahr sein“, sagt sie immer noch fassungslos. „Und das auf dem Rücken der steuerzahlenden Bürger.“

Von ähnlichen Erfahrungen berichtet unabhängig davon ein Offenbacher Frauenarzt, dem nach Jahrzehnten in einer Altbaupraxis im Westend wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. Räume an Ärzte zu vermieten, sei für kommerzielle Vermieter unattraktiv, da Heilberufe von der Umsatz- und Gewerbesteuer befreit seien. Er habe bei seiner Suche mit Spekulanten zu tun gehabt, die ihm Räume versprachen, aber für die (angebliche) Vermittlung erst Geld wollten. Auch er warte vergeblich auf Rückmeldungen, kenne passende Flächen, deren Leerstand aber offensichtlich ebenfalls gewollt sei.

Die Kinderärztin schildert ihre Erfahrungen vor einem Monat schriftlich dem Büro des Oberbürgermeisters. Das Liegenschaftsamt werde ihr behilflich sein, bekommt sie als Antwort. „Gehört habe ich bis jetzt nichts von ihm.“ Mittlerweile hat sie aber wenigstens einen kleinen Hoffnungsschimmer: „Eine Kollegin aus der Allgemeinmedizin hat mir angeboten, erst mal zur Untermiete in ihre Praxis zu kommen.“ In einer anderen, neuen Immobilie wird gerade die Höhe des „Umsatzsteuerschadens“ berechnet, ob sie für eine Praxismiete dort in Frage kommt. Eine langfristige Lösung scheint also möglich. (Veronika Schade)

Knapp zwei Drittel der Einwohner zahlen in Offenbach für Wohnraum einen zu hohen Teil des Einkommens. Zu diesem erschreckenden Ergebnis kommt eine Studie.

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