Mehr Barrierefreiheit für Offenbach

Offenbach – Noch immer haben Menschen mit Behinderungen oder körperlichen Einschränkungen mit vielerlei Problemen im Alltag zu kämpfen. Ein Bewusstsein für die Bedürfnisse dieser Menschen zu schaffen, ihnen Stimme zu verleihen gegenüber der Stadt und Organisationen und ihnen im Alltag zu helfen, ist Aufgabe des Behindertenbeirates. Seit 2014 ist Rainer Marx (70) Vorsitzender des Offenbacher Gremiums.
Herr Marx, kürzlich berichteten wir, dass sich der Behindertenbeirat einsetzt, dass Offenbach assistenzhundefreundliche Kommune wird – gibt es bereits Neuigkeiten?
Offenbach ist dabei die Vorgaben hierfür zu erfüllen. Ebenso hat sich Landrat Oliver Quilling sehr dafür interessiert, dass die Kommunen im Kreis sich an der Initiative beteiligen. Außerdem gab es von verschiedenen Städten Anfragen, wie wir in der Sache vorgehen. Immerhin, die Stadt Offenbach hat mittlerweile für städtische Gebäude die Hausordnung geändert, dass nun nicht nur Blinden-, sondern alle Assistenzhunde im Inneren gestattet sind.
Welche aktuellen Projekte gibt es beim Behindertenbeirat?
Momentan erstellen wir einen Wegweiser für behinderte Menschen und deren Angehörige. Das kann man sich als eine Art Adressbuch vorstellen, in dem die großen Organisationen enthalten sind: Behörden, Behindertenhilfe, Lebenshilfe, Awo, Caritas, Pflegestützpunkte und so weiter.
Auch Ärzte und Apotheken?
Ärzte sind angedacht: Da muss ich schauen, wie ich an eine entsprechende Liste komme. Bisher ist nur eine Apotheke mitaufgenommen, da ich weiß, dass dort auf Menschen mit Behinderung besonders Rücksicht genommen wird.
Bis wann soll der Wegweiser fertig sein?
Ich hatte gehofft, ihn schon längst fertig zu haben. Aber ich sitze seit Monaten dran, weil ich noch auf Daten von der Stadt hoffe. Dort klemmt es momentan, mein Datenlieferant scheint mit vielen anderen Aufgaben ausreichend eingedeckt zu sein.
Der Beirat beschäftigt sich häufig mit Fragen der Barrierefreiheit in der Stadt: Wie barrierefrei ist denn Offenbach?
In der Angelegenheit sind noch einige Dinge zu stemmen. Der generelle Trend geht zwar in Richtung mehr Barrierefreiheit, das ist ein gutes Signal. Aber im Einzelnen ist noch viel zu tun und vieles zu verbessern. Kürzlich hatten wir die Beschwerde eines Rollstuhlfahrers: In der Hafenstraße seien die Pflastersteine so uneben, dass er nicht seinem Rollstuhl fahren kann. Wir haben eine Ortsbesichtigung gemacht, die Stadt hat voll mitgezogen, das muss ich wirklich loben. Wir haben beschlossen, dort einen Teststreifen anzulegen: Es gibt eine neue Abfrästechnik, mit der man die Pflastersteine barrierefrei hinbekommen kann. Das wurde nun gemacht, der Rollstuhlfahrer hat den Abschnitt geprüft und nun ist dieses Stück besser befahrbar. Generell wäre das eine preiswerte Methode, um bestimmte Strecken barrierefreier zu gestalten, auch für Rollatoren.
Es gibt ja auch andere Stolperfallen im Stadtgebiet oder Wegstrecken, die für Menschen mit Gehbeeinträchtigung kaum passierbar sind...
In so einem Fall ein Foto machen und das mit einer kurzen Beschreibung an die Mängelmelder-App der Stadt senden. Wenn es um temporäre Baustellen geht, die so eingerichtet wurden, dass Behinderte gar nicht mehr weiterkommen, dann ist es sinnvoll, sich an das Straßenverkehrsamt zu wenden. Dort hat man mir versprochen, schnell auf solche Hinweise zu reagieren.
Sie arbeiten auch an der Wheelmap des Vereins Sozialhelden mit: Das ist eine Karte, auf der verzeichnet wird, welche Geschäfte oder Orte barrierefrei sind und welche nicht.
Ja, ich war gerade erst bei einer Ortsbegehung in der Frankfurter Straße dabei. Wir haben uns verschiedene Geschäfte angesehen und diese werden entsprechend in der Wheelmap gekennzeichnet. Das ist für Menschen im Rollstuhl oder die auf Hilfen angewiesen sind, sehr wichtig. Mit „grün“ wird gekennzeichnet, wenn das Geschäft barrierefrei erreichbar ist, „gelb“, wenn Hilfe beim Betreten angeboten wird und „rot“, wenn es Menschen mit Geheinschränkung nicht passierbar ist.
Verraten Sie uns Beispiele?
Die Post wurde „rot“ gekennzeichnet, dafür hat die Treppe am Eingang gesorgt. Das Musikhaus André haben wir „gelb“ markiert, da es zwar eine Stufe gibt, aber auch den Hinweis, dass man klingeln kann und dann durch einen Nebeneingang barrierefrei hineinkommt. Eine Apotheke wurde „grün“ markiert, da der Zugang völlig barrierefrei ist.
Das klingt aber nach viel Arbeit, die ganzen Geschäfte abzulaufen...
Wir suchen auch dringend Helfer dafür. Der Behindertenbeirat arbeitet in der Sache mit dem Freiwilligenzentrum zusammen: Wer die Wheelmap unterstützen möchte, sollte sich an das Freiwilligenzentrum wenden.
Projekte für mehr Barrierefreiheit
Das Freiwilligenzentrum und der Behindertenbeirat laden für Freitag, 11. November von 14.30 bis 16.30 Uhr zum Barrierefreiheits-Check für die Wheelmap im Nordend ein, Treffpunkt ist das Stadtteilbüro in der Bernardstraße 63 Anmeldung unter info@fzof.de oder unter Telefon 069 82367039. Infos zur Wheelmap gibt es unter wheelmap.org, zur Arbeit des Behindertenbeirates auf der Seite der Stadt . Der Mängelmelder ist unter mitreden.offenbach.de/bms#pageid=1, die Straßenverkehrsbörde ist unter strassenverkehrsbehoerde@offenbach.de erreichbar.
Welche Projekte verfolgen Sie noch derzeit?
Schon etwas länger bin ich dabei, Unterstützer für eine „stille Stunde“ im Supermarkt zu bekommen: Für Menschen mit Behinderung, etwa Autismus, sind die Supermärkte so reizüberflutet, dass sie dort nicht einkaufen können. Ein wichtiger Baustein zur Teilhabe am Leben fehlt ihnen. Aus Neuseeland stammt das Projekt der „stillen Stunde“: Zu bestimmten Zeiten verzichten Supermärkte auf Musikuntermalung, Preisdurchsagen oder grelle Beleuchtung. Auch an der Kasse geht es dann langsamer zu und Menschen mit Behinderung oder Senioren werden so nicht überfordert. In der Schweiz wird das schon ausprobiert, hier in Deutschland weiß ich leider von keinem Markt, in dem das praktiziert wird. Ich wäre froh, wenn ein Offenbacher Markt den Mut hätte, das als Pilotprojekt zu unterstützen. Das wäre eine tolle Sache.
Die Werkstätten Hainbachtal haben in Frankfurt eine inklusive Patisserie eröffnet: Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten dort gemeinsam auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Das ist eine schöne Sache, aber kommt leider viel zu selten vor. Ich bekomme immer wieder von Arbeitgebern gesagt, dass sie sich mit der Thematik nicht auskennen.
Es ist also mehr Aufklärung notwendig?
Eindeutig. Wir müssen mehr informieren, um Hemmungen und Vorurteile abzubauen. Ich hatte schon Anfragen, etwa einer Mutter, deren Sohn mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt wollte – es ist leider nicht einfach. Das hiesige Netzwerk Inklusion hatte schon bei der IHK diesbezüglich eine Veranstaltung gemacht, um auf Fördermöglichkeiten für Arbeitgeber aufmerksam zu machen.
Was plant der Behindertenbeirat denn für kommendes Jahr?
Für nächstes Jahr ist eine inklusive Sportveranstaltung über eine Woche geplant. Die Beauftragte der Stadt hat alle Sportvereine angeschrieben und gebeten, sich zu beteiligen. Wir möchten damit den inklusiven Jugendsport fördern, die Sportförderrichtlinie soll auch geändert werden, um inklusive Angebote zu unterstützen. Außerdem sind wir im Januar auf der Baumesse vertreten. Wir haben uns Zeit geben lassen von der Messeleitung, dass wir Vorträge zur Barrierefreiheit halten: Wir wollen künftige Bauherren oder auch Vermieter für den Bereich des Wohnungsbestandes informieren. Es ist schließlich sinnvoll, wenn man etwas baut, auch an die Zukunft zu denken und sich schon über Möglichkeiten für ein barrierefreies Bad zu informieren. Nachträglich etwas einbauen, ist immer teurer.
Das Gespräch führte Frank Sommer