Mieter in Offenbach kämpfen um Wohnungen: Wird Nutzung des gesamten Hauses untersagt?
Die ehemalige IHK-Immobilie wird in Offenbach zum Chaos-Haus. Bewohner bangen um ihre Wohnungen – im schlimmsten Fall müssen sie schon bald raus.
Offenbach – Von wegen besinnliche Adventszeit. Mehr als zwei Dutzend Mietern am Platz der Deutschen Einheit 5 in Offenbach ist derzeit nicht gerade weihnachtlich zumute. Wenn es ganz schlecht läuft, müssen sie ihre gerade erst bezogenen Wohnungen in den kommenden Tagen räumen.
Was ist passiert? Am 15. November flattert ihnen ein Brief der Bauaufsichtsbehörde ins Haus. Darin teilt die Stadt mit, dass der Eigentümer bislang nicht die seit Monaten geforderten Unterlagen zu Brandschutz, Statik und Standsicherheit eingereicht hat. Sollte dies bis zum morgigen Freitag (25. November) nicht geschehen sein, wird die Nutzung des Hauses untersagt – und alle Mieter verlieren ihre Wohnungen.
Das Objekt „Platz der Deutschen Einheit 5“ besteht aus der ehemaligen IHK-Immobilie, die zu Wohnzwecken umgebaut wurde sowie einem angegliederten Neubau. Insgesamt handelt es sich um 60 Wohnungen, von denen bislang 25 bezogen sind.
Mieter sehen Schuld zunächst bei der Stadt Offenbach
Beim Lesen der bauamtlichen Androhung fallen die Betroffenen aus allen Wolken. Noch am gleichen Tag wenden sie sich mit einem Schreiben an ihren Vermieter. Darin fordern sie ihn auf, die erforderlichen Dokumente umgehend nachzureichen. Falls er die Frist nicht einhalten kann, soll er ihnen Ausweichquartiere zur Verfügung stellen.
Einen Tag später teilt der Eigentümer, die „Genossenschaftliches Wohnen GmbH“ (GWO), den Mietern mit, dass das Gebäude den baurechtlichen Anforderungen entspreche. Dies habe man der Stadt mitgeteilt. Es gehe lediglich noch um ein „paar Formulare“, die fristgerecht an die Behörde geschickt werden sollen. Begründet wird der Verzug damit, dass der Gutachter erkrankt gewesen sei. Man kümmere sich jedoch „in enger Abstimmung mit der Stadtverwaltung“ um die notwendigen Dokumente.

Bis Dienstag (22. November) dieser Woche passiert jedoch nichts. Die Mieter sehen die Schuld zunächst bei der Stadt. Sie hätte schon viel früher über die fehlenden Brandschutzunterlagen informieren müssen, so der Vorwurf. Außerdem befinden sich die Wohnungen im ehemaligen IHK-Gebäude, wofür noch Brandschutzunterlagen vorliegen sollten. Auch sind bereits Rauchwarnmelder, Fluchtwegleuchten, Brandschutztüren und weitere Brandschutzmaßnahmen getroffen worden, wie ein Mieter aus eigener Motivation selbst überprüft.
Offenbach: Risiko im Brandfall offenbar sehr hoch
Dies tragen die besorgten Mieter am Dienstag in einem Gespräch mit der Leiterin des Bauamts, Sonja Stuckmann, und dem Dezernenten für die Bauaufsicht, Paul-Gerhard Weiß, vor. Sie erhoffen sich „ein konkretes Räumungsdatum mit einer angemessenen Frist, bis man eine neue Wohnung gefunden hat“. Sie sind der Ansicht, dass die Brandschutzgefahr in keinem Verhältnis zu ihrer drohenden Obdachlosigkeit stehe.
Doch im Verlauf der Diskussion stellt sich heraus, dass das Risiko im Brandfall weitaus höher ist, als bislang angenommen: „Uns liegt zwar ein Brandschutzkonzept vor. Doch wir haben bereits letztes Jahr erhebliche Abweichungen darin festgestellt, die dieses Jahr in Abstimmung mit der Feuerwehr nachgebessert wurden“, teilt Stuckmann mit.
Konkret handelt es sich um Rettungsbalkone für den zweiten Rettungsweg. Allerdings liegt weder die Statik für die Balkone noch die technischen Anforderungen für die Bauteile und Leitungsanlagen vor: „Wir wissen nicht mal, ob die Grundrisse des genehmigten Gebäudes stimmen“, sagt Amtsleiterin Stuckmann.
Offenbach verhängt Zwangsgeld gegen Eigentümer
Das Problem: Feuerwehr oder andere externe Gutachter können diese Daten nicht im Nachhinein prüfen. Nur der Bauleiter und die am Bau beteiligten Personen haben kraft Gesetz diese Berechtigung. Hinzu kommt: Im Brandfall haftet die Stadt. „Die Bauaufsichtsbehörde steht mit einem Bein im Knast und hätte die Nutzungsverweigerung schon längst aussprechen müssen“, so Weiß. Stuckmann entkräftet dabei auch das Argument des Altbaus. Die vorherige Nutzung des Gebäudes durch die IHK mache dabei keinen Unterschied im Brandschutzkonzept.
An die Mieter heranzutreten, sei der letztmögliche Schritt vor der Räumung des Gebäudes, so Stuckmann weiter. Die Stadt erhoffe sich davon, den Vermieter endlich zum Handeln zu bewegen. Zwar habe man schon ein Zwangsgeld in Höhe von 6000 Euro verhängt und ein weiteres über 11 000 Euro werde zeitnah folgen. „Doch mehr Druck können wir nicht machen“, bedauert die Amtsleiterin.
Die GWO hatte ihren Mietern bereits mit ihrem ersten Schreiben vom 16. November eine Kündigungsoption zum 30. November angeboten. Trotzdem zeigt sich GWO-Prokurist Carlos Christ zuversichtlich, die erforderlichen Unterlagen fristgerecht vorlegen zu können. Die Eigentümer „verurteilen diese Vorgehensweise des Bauamtes Offenbach aufs Schärfste. Unserer Meinung nach liegt hier grober Amts- und Machtmissbrauch der zuständigen Mitarbeiter des Bauamtes Offenbach vor“, kritisiert Christ. Gegen eine städtische Nutzungs- oder gar Räumungsuntersagung werde er gerichtlich vorgehen, kündigt er an. Immerhin: Heute trifft er sich mit dem Bauamt, um die strittigen Punkte zu besprechen.

Offenbach: Im schlimmsten Fall müssen alle am 12. Dezember raus
Sollte die Brandschutzgefahr jedoch weiterhin bestehen, kann das Bauamt laut Sonja Stuckmann nach der morgen ablaufenden Anhörungsfrist nur noch zwei Wochen Aufschub gewährleisten. Das bedeutet: Ab dem 12. Dezember würde das Gebäude versiegelt werden. Dann müssten alle Mieter aus ihren Wohnungen raus.
Die Stadt will sich in diesem Fall um Alternativbleiben für die Mieter kümmern. Sollten jedoch die Bescheinigungen über Brandschutz, Statik und Standsicherheit vonseiten des Eigentümers eingehen, sind die behördlichen Maßnahmen hinfällig und die Mieter können wieder zurück in ihre Wohnungen. Noch ist alles ungewiss. (Lisa Mariella Löw)