Offenbach: Parlamentschef sorgt sich wegen Corona-Krise um Zukunft der Stadt

In Offenbach hat die Corona-Krise Auswirkungen auf die Arbeit des Stadtparlaments. Dessen Vorsitzende Stephan Färber (SPD) sorgt sich deswegen.
Offenbach – Die Corona-Pandemie hält auch für die Kommunalpolitik einschneidende Veränderungen parat. Stadtverordnetenvorsteher Stephan Färber (SPD) über die veränderte Situation, Gefahren für die Demokratie und die nahende Kommunalwahl.
Nur 36 statt 71 Parlamentarier, die Tische weit auseinander, die Sitzung im Büsingpalais – Herr Färber, wie empfanden Sie die erste Stadtverordnetenversammlung unter Corona-Bedingungen?
Surreal. Der Jacques-Offenbach-Saal im Büsingpalais ist zwar ein wunderschöner Ort, aber nur die wenigen Stadtverordnete zu sehen, war sehr ungewohnt. Zumal wir nur über Punkte abgestimmt haben, für die es zuvor Übereinstimmung gab.
Es fehlte die Diskussion, der Austausch...
Unbedingt. Es gab gerade eine Wortmeldung des Kämmerers. Nach 22 Minuten war die Sitzung beendet. Das war zwar wegen Corona genau so besprochen, aber es fehlte etwas. Unsere demokratische Arbeit beruht auf dem gegenseitigen Austausch.
Offenbach: Viele Rechtsfragen für das Stadtparlament zu klären
Nun wurde ein Zentralausschuss eingerichtet: Am letzten gemeinsamen Ausschuss waren nur 13 Personen beteiligt...
Das hat sich geändert. Dem Zentralausschuss gehören nun 19 Personen an – das ist im Vergleich zu einer normalen Sitzung nicht viel, aber immerhin 30 Prozent der Stadtverordneten.
Womit beschäftigen Sie sich als Stadtverordnetenvorsteher momentan?
Natürlich könnte man meinen, dass ich wegen Verwaltungsstab und Zentralausschuss wenig zu tun hätte. Das Gegenteil ist der Fall: Es müssen etwa viele Rechtsfragen geklärt werden. Und ich muss Sorge tragen, dass alle Stadtverordneten zu jedem Zeitpunkt den gleichen Informationsstand haben.
Offenbach: Grundgesetz ausgehebelt
Bitte erklären Sie das etwas genauer.
Normalerweise würden in den Ausschüssen die anliegenden Themen behandelt, aber es tagen momentan weder Finanz-, noch Sozial- oder Bauausschuss. Nur der neue Zentralausschuss tagt und an dem kann nur eine bestimmte Personenzahl teilnehmen. Und ich betone: Ich will sicherstellen, dass auch in diesen Zeiten die Fraktionen informiert sind, sich alle Mandatsträger eine Meinung bilden können und Fragen an den Magistrat formulieren können. Deshalb habe ich mich schon zu Beginn der Krise mit dem Ältestenrat darauf verständigt, dass wir weiter als Gremium beratend tätig sind und die Fraktionen unterstützen, damit sich niemand überfahren vorkommt.
Notparlamente, Krisenstab, kein direkter Austausch: Besteht nicht die Gefahr, dass unser demokratisches System an diesem Ausnahmezustand Schaden nimmt?
Ich kann verstehen, dass es Verfassungsrechtler und Bürger gibt, die in dieser Situation Schnappatmung bekommen. Dass das Infektionsschutzgesetz von 2001 das Grundgesetz während einer Pandemie so weit aushebelt, haben viele so nicht vorhergesehen und erwartet. Laut Infektionsschutzgesetz wird nun der Schutz von Leib und Leben über alles gestellt.
Stephan Färber Offenbach: Zentralausschuss und Stadt müssen zusammen arbeiten

Offenbach: Zentralausschuss und Stadt müssen zusammen arbeiten
Etwa über Versammlungs- oder Bewegungsfreiheit. Ist es mit Blick etwa auf Kommunen wie Hanau nicht problematisch, dass die Oberbürgermeister mit Verordnungen quasi alles anordnen können?
Die Oberbürgermeister als direkt gewählte Vertreter sind nun der verlängerte Arm der Landesregierung und sie treffen mit ihren Krisenstäben die Entscheidungen vor Ort. Wie gesagt, ich kann gut verstehen, dass einige Leute damit erhebliche Probleme haben. Es wird hiermit auch massiv in das Selbstverständnis der Stadtverordneten eingegriffen, dessen müssen wir uns bewusst sein. Die Stadtverordneten haben ein Mandat vom Bürger übertragen bekommen, das haben sie ja nicht durch die Krise einfach an der Garderobe abgegeben.
Einige fürchten, dass nun an den Stadtparlamenten vorbeiregiert wird...
Ja, solche Befürchtungen gibt es. Ich betone aber: Der Zentralausschuss wird nicht an den Stadtverordneten vorbei arbeiten, im Gegenteil. Ich befürchte aber, dass nur überwiegend unstrittige Themen angegangen werden wie zuletzt, und anderes liegen bleibt.
Offenbach: Schlechte Haushaltslage verschlimmert sich
Dinge wie die Zukunft des Alessa-Areals, des Geländes am Güterbahnhof, die Innenstadt...
Ja, das alles muss im großen Plenum diskutiert werden. Und es sind wegen des Infektionsschutzes hohe Hürden aufgestellt, dass die Parlamente tagen. Zwar ist die Ausübung politischer Mandate von der Kontaktsperre ausgenommen, aber wir müssen darauf achten, dass sich niemand ansteckt. Ich würde ja sofort die Stadthalle mieten und dort alle tagen lassen, aber das löst unser aktuelles Problem nicht.
Werden wir vor der Sommerpause noch eine ordentliche Stadtverordnetenversammlung haben?
Das wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Am 2. Juli wäre normalerweise eine Sitzung und wir könnten, wenn sich die Lage normalisieren würde, auch eine Sitzung dazwischenschieben. Aber ich bin mir momentan nicht einmal sicher, ob der 2. Juli zu halten ist. Dabei müssten wir dringend über das weitere Vorgehen debattieren: Wenn ich allein an die zu erwartenden Gewerbesteuerausfälle denke, mache ich mir große Sorgen um die Zukunft unserer Stadt. Es erinnert an die Sisyphos-Sage: Gerade, wenn man denkt, dass für den städtischen Haushalt das Schlimmste überstanden sei und wir endlich etwas Land sehen, dann bricht alles wieder ein.
Offenbach: Unterstützung vom Staat?
Kommendes Frühjahr steht zudem die Kommunalwahl an...
Die von den Auswirkungen der Corona-Krise überschattet wird. Eigentlich brennen schon jetzt alle Parteien und Fraktionen darauf, sich für die Wahl zu präsentieren. Aus meiner Sicht sind nicht die vier Wochen vor dem Urnengang entscheidend, sondern die zwölf Monate zuvor: Da zeigt sich, wer welche Position hat und wer wie handelt. Was unter Corona-Bedingungen aber nur schwer möglich ist...
Hat aus Ihrer Sicht die Krise vielleicht dennoch etwas Gutes hervorgebracht?
Zwei Dinge fallen mir da ein: Zum einen haben die vergangenen Wochen gezeigt, dass bundesweit Verfassungsrechtler Gewehr bei Fuß stehen, die unser Grundgesetz und unsere Demokratie verteidigen. Das ist sehr beruhigend. Ein Demokratieabbau wie in einigen anderen Ländern kann es so bei uns nicht geben. Und zum anderen: Plötzlich begreifen alle, dass wir einen starken und funktionierenden Staat brauchen. Nehmen Sie das Beispiel der Schutzausrüstung: Es hat sich gezeigt, dass der Markt es eben nicht selbst regelt. Es bedarf des Staates, der hier handeln muss. Ich hoffe, die Leute behalten im Gedächtnis, wie wichtig ein funktionierendes Staatswesen ist.
Das Gespräch führte Frank Sommer.
Die ersten Geschäfte in Offenbach haben wieder geöffnet. Überall gelten strenge Schutzmaßnahmen. Dass das Virus auch wirtschaftlich tiefe Spuren hinterlassen wird, kündigte sich bereits an. Offenbach ist von der Corona-Krise sehr hart getroffen, es gibt eine dramatische Prognose.