1. Startseite
  2. Offenbach

Offenbach und Corona: Künstler klagen über bürokratischen Hürden bei Nothilfen

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Designerin Birgit Palt wehrt sich gegen Unterschiede in der Corona-Politik.
Designerin Birgit Palt wehrt sich gegen Unterschiede in der Corona-Politik. © Gries

Das Bekenntnis der Politik, in der Corona-Krise kleinen und mittleren Existenzen möglichst schnell und unbürokratisch zu helfen, ist eindeutig.

Offenbach - Wie berichtet, will die Stadt Offenbach ihren freien Kultureinrichtungen mit einem, ihren Mitteln entsprechend, bescheidenen Fonds helfen. Wie aber sieht es bei den örtlichen „Einzelkämpfern“ ohne eigene Spielstätte in Zeiten von Corona aus?

Konzertgitarrist Rudolf Klemisch musste sich erst einmal orientieren über die Hilfen – und sich besser digitalisieren als bisher. Die beim Kasseler Regierungspräsidium zu beantragende Soforthilfe des Hessischen Wirtschaftsministeriums hat er noch nicht in Anspruch genommen, da er derzeit hauptsächlich vom Gitarrenunterricht an der hiesigen Musikschule lebt. Für März erhielt er Zahlungen, als hätte er den ausgefallenen Unterricht gehalten. „Wie es weitergeht, wenn die Musikschule weiterhin geschlossen bleibt, weiß ich nicht“, sagt Klemisch, dem derzeit Konzerte unmöglich sind und der auch nicht wie geplant mit Theresa Buschmanns „Ariadne Projekt Ensemble“ der Musikschule proben darf.

Gambenvirtuose Christian Zincke hat sich in Schreiben an drei Abgeordnete unseres Kreises gewandt, „um Hilfe für uns Solo-Selbständige zu erbitten“. Deren Existenzgrundlage stehe schon in normalen Zeiten auf wackeligen Beinen und setze ein hohes Maß an Idealismus voraus. Die Einnahmequelle Konzerte sei im Moment völlig versiegt, auf Honorarkräfte könne bei Ausfall der von Schülereltern gezahlten Gelder ganz einfach verzichtet werden. 

Corona in Offenbach: „Nothilfe in Form eines zinslosen Darlehens keine Option“

„Die Nothilfe mancher Bundesländer in Form eines zinslosen Darlehens ist keine realistische Option“, findet Zincke, die Rückzahlung eines Kredits bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 14 500 Euro (laut Künstlersozialkasse) verlagere derzeitige Engpässe nur in die Zukunft. Der europaweit gefragte Solist befürchtet bis voraussichtlich August einen Verlust von mindestens 50 Prozent seines Jahresumsatzes. Angst macht ihm, dass er seine für Krankheit und Alter mühsam angesparten Rücklagen angreifen muss.

In Österreich, sagt Zincke, erhalten Musiker 1 000 Euro sofort, dann ohne Bürokratie bis zu 6 000 Euro in einer Woche. Im Übrigen hat er auf seine Anträge auf Soforthilfe bisher kein Geld bekommen, er stellt sie erneut.

Ähnlich wie Zincke sieht das Musikerehepaar Ozaki die Fakten. Trotz aller nötigen Unterlagen hat Lautenist Toshinori Ozaki bisher keine Soforthilfe bekommen. Der Vater zweier Kinder schreibt im Antrag, dass er zu 95 Prozent von Konzerten und Opernproduktionen lebt und im Liquiditätsengpass steckt. Erhält er keine Soforthilfe, bleibt nur der Weg ins Arbeitslosengeld II plus Kinderzuschlag. 

Corona in Offenbach: „In den Bewilligungsbehörden herrscht wohl Chaos“

Seine deutsch-tschechische Ehefrau, die Barockgeigerin Katherina Ozaki, sagt: „In den Bewilligungsbehörden herrscht derzeit wohl Chaos. Auch sind die schnell erstellten Anträge nicht für unsere Situation gemacht. Die Verfasser wissen nicht, wie sich freischaffende Musiker finanzieren.“

Das Bürgeler Künstlerehepaar Johannes Kriesche und Brigitte Gutwerk versucht nach vorne zu schauen. Kriesche mag das Betteln nicht, zu dem er sich mit den Formularen gezwungen sieht. Die beantragte Soforthilfe hat er nach einer Woche noch nicht bekommen. Seine Frau baut derweil an einer Corona-Stele aus Mosaikplättchen, einem kleinen Schrein und einer Corona-Strahlenplastik.

Bernd Fischer, an der HfG ausgebildeter Diplomdesigner und Ex-Städel-Dozent, stellt neueste Grafiken und Malereien ins Netz und verschickt einmal wöchentlich per E-Mail Bildergrüße an Menschen, die sich für seine Arbeit interessieren. Er beantragt nichts, denn er bekommt in wenigen Monaten Rente. Aber auch er klagt: „Die Corona-Situation ist hart. Ich zeichne weiter in der Natur und drucke in meiner Werkstatt im Butterladen. Ansonsten: keine Ausstellung, kein Auftrag, keine Lehrveranstaltung. Eine geplante Ausstellung habe ich verschoben für die Zeit nach den Beschränkungen“. Wie er warten auch andere Offenbacher Kulturschaffende.

Corona in Offenbach: Designerin darf keine Ware in ihrer Werkstatt verkaufen

Designerin Birgit Palt kann nicht warten bei ihrer existenzsichernden Porzellan-Produktion in Rumpenheim. Jetzt hat man ihr untersagt, bestellte und produzierte Ware vor oder in ihrer Werkstatt zu veräußern. Sie sieht sich als Kunsthandwerkerin benachteiligt gegenüber Supermärkten und anderen Läden und hat ihre Wut nun in einen Becher designt mit dem Buchstabenrelief „nicht systemrelevant“. 

Und beschwert sich: „Immerhin habe ich Soforthilfe bekommen. Aber durch den Ausfall eines Markts habe ich an die 5 000 Euro verloren.“ Auch die Neuentwürfe zur Verzinsung der Sofortdarlehen findet sie unsolidarisch. Sie liefert weiterhin ihre „Offebecher“ an die „Etagerie“ im Nordend. Deren Betreiberin Eva Kirchhoff, die ihren Kunstgewerbeladen schließen musste, wird bei Strafe untersagt, Ware aus dem Fenster herauszugeben.

Derweil wirbt die SPD-Initiative „Helft dem Offenbacher Einzelhandel“ im Internet genau für Läden wie von Palt und Kirchhoff.

Von Reinhold Gries

Dass das Virus auch wirtschaftlich tiefe Spuren hinterlassen wird, kündigte sich bereits an. Offenbach ist von der Corona-Krise sehr hart getroffen, es gibt eine dramatische Prognose.

Auch interessant

Kommentare