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„Wer realistisch ist, kommt zu diesem Schluss“: Gastronomen wünschen sich Lockdown

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Von: Christian Reinartz

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Kritisieren Regeln für die Gastronomie: Fleischeslust-Chef Karmel Boughriba (links) und Tafelspitz-Inhaber Youssef El Machit.
Kritisieren Regeln für die Gastronomie: Fleischeslust-Chef Karmel Boughriba (links) und Tafelspitz-Inhaber Youssef El Machit. © Reinartz

In Offenbach gilt in der Gastronomie die 2G-plus-Regel. Für die Betreiber der Lokale ist das im Vergleich mit der Nachbarschaft ein Ärgernis.

Offenbach – Offenbacher Gastronomen müssen seit vorgestern strikt die 2G-plus-Regel anwenden – und deshalb erneut herbe Umsatzeinbußen verkraften. Fleischeslust-Chef Karmel Boughriba und Tafelspitz-Inhaber Youssef El Machit sprechen im Interview über weggeworfenes Essen, sinnlose Regeln und das Ende ihrer Leidensfähigkeit.

Blicken Sie selbst bei den ganzen Corona-Regeln noch durch?

El Machit: Ehrlich gesagt ist das für keinen einfach. Wir selbst müssen uns immer wieder bei der Stadt rückversichern, ob wir auch alles richtig auslegen und umsetzen. Dieser Regelwirrwarr überfordert zur Zeit wirklich alle. Keiner blickt mehr so richtig durch. Erst kürzlich habe ich mit einer Apothekerin gesprochen, die nicht wusste, dass Geboosterte bei 2G-plus keinen Test vorzeigen müssen. Wenn also Leute vom Fach schon von den sich ständig ändernden Regeln überfordert sind, wie ist das dann mit dem normalen Bauarbeiter, Bäcker, Verkäufer oder Taxifahrer? Fakt ist, wir müssen jetzt die 2G-plus-Regel anwenden. Solange bis wir in Offenbach fünf Tage am Stück unter 350 liegen.

Was bedeutet das für Sie und ihre Restaurants?

Boughriba: Wir haben zur Zeit wirklich extreme Umsatzeinbußen. Und weil jetzt normalerweise das Weihnachtsgeschäft laufen würde, tut es besonders weh. Fast täglich werden Weihnachtsfeiern abgesagt, weil unter den Teilnehmern Ungeimpfte sind. Andere scheuen sich, sich zusätzlich testen zu lassen. Vielen ist das einfach ein zu großer Aufwand. Also verzichten sie auf den Restaurantbesuch und der Laden bleibt leer.

Aber bei so hohen Inzidenzen wie zur Zeit in Offenbach gibt es doch keine Alternative zum Testen...

El Machit: Die gibt es sicherlich nicht. Und ich will die Sinnhaftigkeit dieser Tests gar nicht in Abrede stellen. Aber so, wie die Regel zur Zeit angewendet wird, ist das geschäftsschädigend. Gerade in einer dicht besiedelten Gegend wie dem Rhein-Main-Gebiet.

Corona in Offenbach: Gastronom beklagt inzidenzbasierten Schwellenwert

Erklären Sie das.

El Machit: Die Leute haben zur Zeit Angst und wollen zu großen Teilen dem Testen am liebsten aus dem Weg gehen. Aktuell gelten die verschärften 2G-plus-Regeln in der Gastronomie nur im Stadtgebiet Offenbach. Wer also etwas essen gehen will, fährt mal eben über die Stadtgrenze nach Frankfurt oder Mühlheim und geht dort ganz entspannt ganz ohne Testen aus. Von dem zwei Minuten längeren Fahrtweg lässt sich jemand in einer hochmobilen Gesellschaft wie der unseren nicht abschrecken. Die Leidtragenden sind am Ende wir Gastronomen.

Sie halten einen inzidenzbasierten Schwellenwert für unsinnig?

Boughriba: Genau das ist er, zumindest in dieser Form. Denn so werden keine Infektionen verhindert. Die Leute geben ja nicht ihre Gewohnheiten auf, nur weil sie mit dem Auto zwei Minuten länger in die Nachbarstadt fahren müssen, um etwas Essen zu gehen. Deshalb würde die Einführung der 2G-plus-Regel unserer Meinung nach nur auf hessenweiter Ebene Sinn ergeben.

Dann würden die Leute wieder an den Wilhelmsplatz kommen?

El Machit: Dann wäre die Situation für uns wirtschaftlich zwar immer noch schwer. Aber es wäre zumindest erträglicher, weil es viele gibt, die einen Test grundsätzlich in Kauf nehmen würden, wenn es keine Alternative gibt.
Boughriba: So wie es im Moment ist, erhöht die 2G-plus-Regel die Sicherheit überhaupt nicht. Sie sorgt nur dafür, dass das Virus nicht in Offenbacher Restaurants, sondern in den Nachbarstädten weitergegeben wird. Dennoch werden wir als kleines Fleckchen isoliert. Eine undurchdachtere und realitätsfernere Regelung kann ich mir nicht vorstellen.

Corona-Regeln in der Gastronomie: „Etwas ausgedacht, das völlig an der Realität vorbei geht“

Sind Sie deshalb sauer auf die Politik?

El Machit: Ich bin sauer, dass offenbar ein paar Theoretiker sich etwas ausgedacht haben, das völlig an der Realität der Menschen vorbei geht. Die Folge von dieser Lebensfremdheit ist eine völlig unsinnige Benachteiligung von uns Offenbacher Gastronomen. Man könnte schon sagen, dass das sogar einen krassen Fall von Wettbewerbsverzerrung darstellt.

Was hätten Sie denn besser gemacht?

El Machit: Es ist immer einfach zu sagen, was man im Nachhinein hätte besser machen können. Aber jeder, der ein bisschen nachdenkt, weiß doch, dass man gerade in der Gastronomie Planungssicherheit braucht. Aber die habe ich nicht. Im Gegenteil. Fast jede Woche gibt es neue Änderungen, die Auswirkung auf unsere Belegung haben. Wir sind deshalb immer wieder gezwungen, eingekaufte Lebensmittel wegzuschmeißen. Das tut ja nicht nur finanziell weh. Dann lieber einen Lockdown. Harte, kurze Einschnitte, die alle betreffen und nicht nur die Gastronomen einer Stadt, die durch ihre Bevölkerungsstruktur einen Inzidenznachteil hat.

Sie wollen einen erneuten Lockdown?

El Machit: Wer realistisch ist, kommt doch automatisch zu diesem Schluss. Wenn wir wollen, dass die Zahlen fallen, dann muss ein Lockdown her. Da hilft auch alles Herumreden nichts. Nicht nur, dass die Wissenschaft das aus epidemiologischer Sicht für sinnvoll hält. Auch aus wirtschaftlicher Sicht wäre das für die Gastronomie der einzig richtige Weg, denn wir hätten Planungssicherheit. Wir müssten dann nicht mit der kompletten Mannschaft dastehen, um am Ende zwei Tische zu bedienen. boughriba: Ich sehe das genauso. Die Einbußen wären für uns Gastronomen immerhin überschaubar, und danach könnten wir relativ entspannt und wirtschaftlich rentabel wieder öffnen. Doch ich bezweifle, dass das geschehen wird, weil die Einbußen für die Wirtschaft insgesamt zu hoch wären.

Gastronomie in Offenbach: Einschränkungen durch Corona wirken sich auf Umsatz aus

Da wir gerade von Einbußen sprechen: Wie lief denn der erste Tag mit den Einschränkungen konkret?

El Machit: Wir haben es gleich am Umsatz gemerkt. Wir hatten tagsüber viel weniger als sonst zu tun. Direkt am Morgen kamen die ersten drei Absagen von Gruppen in der Größenordnung von sechs bis neun Personen. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll. So kommen wir jedenfalls an die Grenzen unserer finanziellen Belastbarkeit und auch Leidensfähigkeit. Denn das, was wir an festen Kosten haben, steht zur Zeit in keinem Verhältnis zu dem, was am Ende reinkommt. Das macht ja auch etwas mit einem. Wir sind in der Branche alle emotional sehr angeschlagen. Diese Situation macht keinen Spaß mehr, sondern depressiv.

Das heißt, Sie kämpfen gerade ums Überleben?

El Machit: Der größte Teil der Branche jedenfalls schon. Unsere Restaurants hier am Wilhelmsplatz liefen in den vergangenen Jahren sicher sehr gut, und wir konnten so natürlich auch ein Polster aufbauen, dass uns nun ein paar Monate das Überleben ermöglicht. Aber unendlich groß ist das auch nicht.
Boughriba: Doch für 90 Prozent der übrigen Gastronomiebetriebe gilt das nicht. Viele Läden standen schon vor der Regelverschärfung am Abgrund. Schon bald wird es deshalb ein bisher nie dagewesenes Gastronomiesterben geben. Das steht fest. (Interview: Christian Reinartz)

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