Mit „New Work“ gegen Fachkräftemangel

Neue Arbeitsformen wie Coworking Spaces setzen auf mehr Flexibilität und Gemeinschaft. Angebote schießen wie Pilze aus dem Boden.
Offenbach – Die Volksweisheit „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“ gilt in der modernen Arbeitswelt immer weniger. Freizeit und Arbeit überlagern sich: Die Gewerkschaften warnen zwar vor einer zunehmenden „Durchmischung“, gleichzeitig schießen „Coworking Spaces“, also Orte, in denen gemeinsames Arbeiten gefördert wird und die wenig mit dem klassischen Bürojob zu tun haben, wie Pilze aus dem Boden. Ein flexibles Konzept regt Mitarbeiter dazu an, ihr Potenzial voll auszuschöpfen.
Manche Anbieter sehen hier die Möglichkeit, gut zu verdienen und bieten für viel Geld Gemeinschafts-Arbeitsplätze an. Speziell in der Gründerstadt Offenbach gibt es aber auch einige Idealisten, die hinter Coworking ein grundlegendes neues Arbeitskonzept für die Zukunft sehen. Ein solcher Coworking-Ort ist „Schwarzraum 2.0“ in der Ludwigstraße. Auch das öffentlich geförderte Gründerzentrum Ostpol und die Zollamt Studios sehen sich als Orte gemeinschaftlicher Arbeit und stellen Kreativen und Künstlern bezahlbare Atelier- und Büroflächen zu Verfügung.
Es herrscht ein „War for Talents“, also ein Konkurrenzkampf um Fachkräfte, in der deutschen Wirtschaft. Dies betrifft branchenübergreifend einen Großteil der Firmen. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft vom April 2018 können Unternehmen zwei von drei Stellen nicht oder nur schwer besetzen. Mit neuen Konzepten wie Coworking soll auch dem Fachkräftemangel begegnet werden. „Um den Anschluss nicht zu verlieren und die besten digitalen Köpfe für sich zu begeistern, sollten Unternehmen daher auf den New-Work-Ansatz setzen“, sagt Christian Rampelt, Gründer und Geschäftsführer von dfind.com, eines auf Headhunting spezialisierten Unternehmens.
Beim Schlagwort „New Work“ geht es um die Frage nach dem Sinn der Arbeit. Der Kern des New-Work-Ansatzes geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück. Dieser baute in den 1970er Jahren das Konzept auf den drei Säulen Selbstständigkeit, Freiheit sowie Teilhabe an der Gemeinschaft auf.
Daran knüpft auch der aktuelle Zeitgeist an, der das Thema Individualität in den Fokus rückt. Nach eigenen Wünschen zu gestalten und mitzubestimmen, liegt im Trend, egal ob es sich um das persönliche Frühstücksmüsli oder das Lebensmodell handelt. Rampelt erklärt: „Ein flexibles Arbeitskonzept regt Mitarbeiter dazu an, ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Hier geben neue Technologien den Arbeitnehmern alles an die Hand, was sie benötigen, um zeit- und ortsunabhängig zu arbeiten.“
Da Berufstätige nicht mehr bis zum Feierabend oder zum Wochenende oder auf den Ruhestand warten möchten, um ihr Leben zu genießen, stelle der Nine-to-five-Job kein zeitgemäßes Konzept mehr dar. Stattdessen möchten Mitarbeiter flexibel auf das Leben mit seinen Aufgaben und Annehmlichkeiten reagieren. Für sie steht das Ergebnis im Mittelpunkt und nicht das Absitzen des klassischen Acht-Stunden-Tages. So verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit vermehrt.
Doch nicht nur die Arbeitszeiten, auch die Arbeitsplätze gestalten sich zunehmend flexibler. Beim Konzept des Shared Desk beispielsweise ist die Zahl der Arbeitsplätze geringer als die Anzahl der Arbeitnehmer. Das bedeutet, dass jeder am Ende seines Arbeitstages den Platz wieder räumt und sich am nächsten Arbeitstag einen neuen Platz sucht. Laut Studien des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation stärkt eine flexible Bürostruktur die Produktivität der Mitarbeiter, da sie den Ort ihrer jeweiligen tagesaktuellen Arbeit entsprechend wählen können. „Grundvoraussetzung für Arbeitnehmer ist dabei, dass sie durch Cloud-Working oder Collaboration-Tools auf alle Daten, die sie für ihre Arbeit benötigen, zugreifen können“, so Christian Rampelt.
Auch die herkömmliche Organisation in Abteilungen gilt als überholt. Nach dem New-Work-Ansatz stellen sich Teams interdisziplinär und je nach Projekt in unterschiedlicher Weise zusammen. So stehen die fachliche Kompetenz im Fokus und das, was jeder einzelne für das Projekt an „Soft Skills“, das heißt, weichen Einflussfaktoren, einbringen kann. Da Konsens in den seltensten Fällen das beste Ergebnis erzeugt, entstehen so bessere Resultate als bei einem homogenen Team. Außerdem beinhaltet das Konzept New Work, dass sich die Verantwortung durch flache Hierarchien gleichmäßig auf das Team verteilt. Durch eigenverantwortliches Arbeiten steigt die Motivation vor allem bei hoch qualifizierten Mitarbeitern. Führungskräfte nehmen dabei nicht mehr die leitende Funktion ein, sondern eher die Position eines Mentors.
In jeden Fall müssen New-Work-Konzepte schrittweise und behutsam umgesetzt werden. Coworking ist dabei eine Form des „neuen Arbeitens“. Wie die Arbeit der Zukunft aussieht, weiß keiner so genau. Klar ist nur: Mit alten Volksweisheiten lässt sich der Kampf um Fachkräfte nicht gewinnen.
VON ACHIM LEDERLE