Dramatischer Fall: Mann tödlich erkrankt - doch er fällt durchs Raster

In einem Sozialstaat wiegt man sich leicht in Sicherheit. Doch der 69-jährige Jan M., der aus Polen nach Offenbach kam, ist lebensbedrohlich erkrankt – und steht vor dem Nichts.
Offenbach – Sein Fall zeigt auf, wie Hilfssysteme in Deutschland und Offenbach funktionieren – und woran sie scheitern. Er beschäftigt gleich mehrere Stellen in der Stadt, die sich um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern: die Caritas-Straßenambulanz, Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung, aber auch die Ökumenische Hospizbewegung. Sein Schicksal macht die Helfer betroffen und ratlos zugleich.
Nach seiner Ankunft in Deutschland lebt Jan M. viele Jahre mit seiner polnischen Partnerin in einer Wohnung in Offenbach. Er verdient sich seine Brötchen mit wechselnden (Hilfs-)Arbeiten. Im hiesigen Sozialsystem aber kommt es niemals zur Anmeldung. „Wahrscheinlich auch, weil dies seine Arbeitgeber boykottierten“, sagt Edith Heilos von der Caritas-Straßenambulanz. Oft würden die Menschen regelrecht davon abgehalten, dies als unnötig abgetan – Hilfe bekomme man sowieso. So sei es leichter, sie auszunutzen und in eine gewisse Abhängigkeit zu bringen. Eine Masche, der noch heute viele Menschen vor allem aus Südosteuropa ausgeliefert sind. Hinzu kommt, dass M. nur gebrochen deutsch spricht.
Dramatischer Fall in Offenbach: Jan M. landet auf der Straße
2019 die bittere Wende: Seine Lebensgefährtin wird zum Pflegefall, die Wohnung aufgelöst, er landet auf der Straße. Fortan lebt von der Hand in den Mund, campiert in einem Notzeltverschlag. Der Gesundheitszustand des Mannes, der an Herz- und Nierenschwäche leidet, verschlechtert sich zusehends.
Er wird regelmäßiger Gast der Malteserpraxis für Menschen ohne Krankenversicherung – der einzige Ort, an dem er unbürokratisch und trotz fehlender Leistungsansprüche medizinische Hilfe erhält. Sie finanziert sich ausschließlich aus Spenden.
Offenbach: Ärzte stellen bei Jan M. einen Blasentumor fest
Im vergangenen Jahr folgt der nächste Schicksalsschlag: Die Ärzte stellen bei ihm einen Blasentumor im Endstadium fest. Aufgrund seiner schweren Vorerkrankungen und seiner Lebenssituation ist dieser inoperabel. Seine geschätzte Lebenserwartung beträgt zum jetzigen Zeitpunkt noch etwa ein Jahr.
Den Winter kann er dank einer Spendenaktion der Caritas vorübergehend in einem Zimmer bei der Diakonie an der Gerberstraße verbringen. An warme Mahlzeiten gelangt er als regelmäßiger Gast der ökumenischen Aktion „Essen und Wärme“, die sich auch darüber hinaus für ihn einsetzt und ihm mittels Spenden ein günstiges Hotelzimmer finanziert.
Caritas-Straßenambulanz in Offenbach pflegt Jan M. regelmäßig
Doch das ist kein Dauerzustand. Zum einen sind die finanziellen Mittel erschöpft, zum anderen ist es ungewiss, wie lange er mit seinem Krankheitsbild noch in der Lage sein wird, alleine zu leben. Es geht ihm schubweise mal besser, mal schlechter, akute Phasen verbrachte er bereits im Krankenhaus. „Er ist vom Typ her niemand, der Forderungen stellt oder die Hand aufhält. Er ist unglaublich schicksalsergeben und bescheiden, ein Überlebenskünstler“, sagt Heilos, deren Team der Caritas-Straßenambulanz ihn regelmäßig pflegt. Die Malteserpraxis versorgt ihn mit Medikamenten. „Unsere medizinischen Möglichkeiten sind damit ausgeschöpft“, bedauert Koordinatorin Gabriele Türmer. Da es nun vor allem darum gehe, sein Leid zu lindern, hat sie die ökumenische Hospizbewegung ins Boot geholt.
Spenden
Ein Spendenkonto für die Finanzierung von günstigen Hotelzimmern für Menschen ohne Obdach hat der Caritasverband Offenbach eingerichtet: Pax-Bank e.G. IBAN: DE45 3706 0193 4002 5000 30 Swift-BIC: GENODED1PAX Verwendungszweck: „Übernachtungshilfen“
„Wir begleiten die Menschen dort, wo sie sind. Würde er unter der Brücke leben, kämen wir auch dorthin“, sagt Koordinatorin Birgit Winter, wobei dies für sie die erste palliative Versorgung eines Menschen ohne festen Wohnsitz ist. Ihr Team geht der Arbeit ehrenamtlich nach, die Bedingungen sind jedoch beschwerlich, auch wegen der Sprachbarriere. Ein Platz in einem Hospiz würde mit 15 000 Euro im Monat zu Buche schlagen – völlig utopisch für einen Menschen ohne Versicherung. „Niemand kann sagen, was er am Lebensende wirklich brauchen wird“, zeigt Winter die Problematik auf. „Und jede Stelle kann am Ende sagen, sie ist nicht für ihn zuständig, weil er durch alle Raster fällt.“
Dramatischer Fall in Offenbach: Anmeldung bei den Behörden hätte geholfen
Der Rechtsanspruch scheitert ausgerechnet daran, weil er EU-Bürger ist. „Die Menschen, die sich innerhalb der EU-Freizügigkeit nicht in ihrem eigenen Land aufhalten, haben selbst für ihren Lebensunterhalt und Wohnraum zu sorgen“, erläutert Heilos. „Hätte er jemals auch nur einmal eine Anmeldung bei den hiesigen Behörden gemacht, könnte die Situation heute anders sein.“ Doch ändern lasse es sich nachträglich nicht mehr, und keine Krankenversicherung sei bereit, ihn noch aufzunehmen. Zum Herkunftsland besteht keinerlei Verbindung mehr.
Den Todkranken wieder auf die Straße zu entlassen, das gehe gar nicht, betont Heilos. Mit einem Zimmer, einer Gartenlaube, irgendeinem Dach über dem Kopf oder einer Spende sei ihm am besten geholfen. Für die letzten Monate in Würde... (Veronika Schade)