Entsetzen über Vorhaben: Kein Boxkampf in ehemaliger Synagoge

Die Box-Weltmeisterschaft im Halbschwergewicht soll in Offenbach stattfinden. Entsetzen herrscht über den Wunsch nach dem Capitol-Theater als Schauplatz des Kampfes.
Offenbach - Eine Meldung sorgt für Unruhe: Michael Cinqueoncie, Vater des mehrfachen Junioren-Boxweltmeisters Luca Cinqueoncie, hatte vergangene Woche erklärt, dass sein Sohn im kommenden Jahr die Weltmeisterschaft im Halbschwergewicht in Offenbach bestreiten soll – doch nicht auf dem Bieberer Berg oder in der Stadthalle, sondern im Capitol-Theater, der ehemaligen Synagoge.
Der Verein der „Freunde des Capitols“ sowie die Salomon-Formstecher- / Max-Dienemann-Gesellschaft zeigen sich entsetzt über dieses Ansinnen. „Ganz offensichtlich ist den Organisatoren die Ungeheuerlichkeit eines solchen Ansinnens nicht bewusst geworden. Sonst hätten sie erkennen müssen, dass die Historie dieses Gebäudes die Aufführung eines Spektakels Boxkampf mit all den damit verbundenen Begleiterscheinungen sich geradezu verbietet“, schreibt Thomas Lanio, Vorsitzender des Fördervereins des Capitol-Theaters.
Kein Boxkampf in ehemaliger Synagoge: „Respektlos und geschichtsvergessen“
„Respektlos und gegenüber den in der Schoa verfolgten und ermordeten Offenbacher Juden geschichtsvergessen“ nennt Anton Weinberger, Vorsitzender der Dienemann-Formstecher-Gesellschaft, den Plan, in der ehemaligen Synagoge einen Boxkampf abhalten zu wollen. Es gebe andere, geeignetere Orte in der Stadt, an dem der junge Boxweltmeister seine Titel verteidigen könne.
Das Capitol-Theater
Das heutige Kultur- und Veranstaltungszentrum Capitol-Theater wurde ursprünglich als Synagoge errichtet. Am 16. April 1916 wurde die Synagoge an der Kaiser-/Goethestraße feierlich eröffnet. Während der Reichspogromnacht am 10. November 1938 wurde die Synagoge durch SA-Leute geschändet und das Innere demoliert. Die israelitische Gemeinde musste das Gebäude zwangsweise weit unter Wert an die Stadt verkaufen, die es an das Ehepaar Ruttmann verkaufte, die dort eine Tourneetheater-Spielstätte einrichteten, auch NS-Propaganda wurde dort gezeigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt zunächst der jüdische Rückerstattungsverband das Gebäude, der es 1954 an die Stadt verkaufte, die es seitdem als Kulturstätte betreibt – seit 1998 unter dem Namen „Capitol“.
Birgit von Hellborn, Geschäftsführerin des Capitols und der Stadthalle, gibt jedoch Entwarnung: Weder existiert ein entsprechender Mietvertrag noch habe man vor, einen solchen abzuschließen. „Ein Boxkampf passt null zur Historie des Ortes noch zu unserem Programm“, sagt sie, zudem sei das Theater auch baulich in keiner Weise für einen derartigen sportlichen Wettbewerb geeignet.
Michael Cinqueoncie bringt erneut das Capitol als Ort für einen Boxkampf ins Gespräch
Dass Michael Cinqueoncie das Capitol erneut als Ort für einen Boxkampf ins Gespräch bringe, sei kurios: Denn bereits im vergangenen Jahr hätte er für einen Wettkampf, der schließlich auf dem Bieberer Berg abgehalten wurde, beim Capitol angefragt und eine Absage erhalten. Er wurde sogar zu einer Besichtigung eingeladen, um ihm vor Ort zu zeigen, weshalb schon aus baulicher Hinsicht das Capitol nicht geeignet sei. „Steht der Boxring auf der Bühne, sieht man im Parkett nichts und bauen wir die Bestuhlung ab, passen vielleicht noch 200 Leute hinein – unser Haus ist dafür denkbar ungeeignet“, sagt von Hellborn.
Wichtiger sei jedoch, dass die Historie des Hauses eine solche Veranstaltung verbiete, es werde sehr genau darauf geachtet, dass die Veranstaltungen zum Capitol passen. „Wir bekommen regelmäßig Anfragen für Mixed-Martial-Arts-Käfigkämpfe, die sofort abgelehnt werden“, sagt sie. Politische Wahlkampfauftritte sind ebenso unerwünscht wie „Hip-Hop- oder Rap-Konzerte“ mit gewaltverherrlichenden, sexistischen oder rassistischen Texten.
Oberbürgermeister und Sportdezernent Felix Schwenke betont, dass die Stadt nach ihren Möglichkeiten gern alles in ihrer Macht stehende tun werde, um das Offenbacher Boxtalent Cinqueoncie zu unterstützen – aber an anderem Ort. „Ich halte das Capitol für eine solche Veranstaltung für ungeeignet, es gibt wesentlich bessere Orte für einen Boxkampf“, sagt Schwenke. „Wenn Offenbach eine Sportfabrik hat, dann sollte die auch für Sportveranstaltungen genutzt werden“, erklärt von Hellborn.
Die Stadt stehe für Cinqueoncie gern für Gespräche zur Verfügung, betont Schwenke, mit Stadthalle oder Sportfabrik habe man passendere Veranstaltungsräumlichkeiten..
Von Frank Sommer
Kommentar: Der völlig falsche Ort
Dass ein Vater das Beste für seinen Nachwuchs haben möchte, ist verständlich. Mit zum Besten in Offenbach gehört zweifelsohne das Capitol-Theater. Doch ein Boxkampf in der ehemaligen Synagoge, die von den Nationalsozialisten erst geschändet und dann für Propaganda-Veranstaltungen missbraucht wurde? Bei aller Sorge um das Wohl des Nachwuchses: Etwas mehr Fingerspitzengefühl darf man erwarten. Zumal es ja bereits im vergangenen Jahr eine wohlbegründete Absage durch die Geschäftsleitung des Theaters gab.
Damit es verständlich ist: Es geht nicht darum, einem vielversprechendem jungen Mann irgendwelche Steine in den Weg zu legen. Luca Cinqueoncie ist ein sympathischer junger Offenbacher, der zeigt, was man mit Fleiß und Disziplin alles erreichen kann. Der zu seiner Heimatstadt steht und nicht wie manch anderer ein Zerrbild von Offenbach vermittelt.
Gerade deshalb ist es aber erforderlich, dass mehr Sensibilität im Umgang mit der Geschichte an den Tag gelegt wird. Das Capitol-Theater ist ohne Zweifel der völlig falsche Ort für ein Box-Spektakel. Mit der Sportfabrik aber gibt es etwa einen passenden Ort, an dem sicher alle Offenbacher dem jungen Sportler die Daumen drücken, seine Titel zu verteidigen. (Von Frank Sommer)
Roter Teppich in Offenbach: 2021 wurde der Hessische Film- und Fernsehpreis im Capitol verliehen. Zur Gala, die mit 350 geladenen Gästen kleiner als normal ausfiel, kam auch Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff.